Das Betriebsklima und die Grenzen der Belastbarkeit - Studie zu Folgen des ökonomischen Drucks
Die Untersuchung beschäftigt sich mit den psycho-sozialen Auswirkungen des Wandels der Arbeitswelt beschäftigt, Haubl hat jetzt die Ergebnisse gemeinsam mit Günter Voß, Professor für Industrie- und Techniksoziologie der Technischen Universität Chemnitz, veröffentlicht. Gefördert wurde dieses Projekt von der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv). Basis der Studie sind Intensivbefragungen und Gruppendiskussionen mit Supervisoren und Supervisorinnen sowie Organisationsberatern und -beraterinnen der DGSv und eine standardisierte Umfrage unter circa 1.000 Mitgliedern der DGSv.
Diese Experten gewähren einen professionellen Blick hinter die Kulissen, beraten seit Jahren überwiegend Profit- und Non-Profit- Organisationen im sozialen Bereich wie Krankenhäuser, Schulen, Kinder- und Jugendhilfe und sind mit der Arbeitswirklichkeit und ihren Veränderungsprozessen sehr vertraut. Bei der Supervision oder beim Coaching geht es meist um Zusammenarbeit und Konflikte im Team und Fragen der Organisationsentwicklung. "Ihre Einschätzungen sind besonders aussagekräftig, weil die Supervisoren einerseits als kritische Zeitzeugen derartige Prozesse beobachten und tiefe Einblicke in das Innenleben von Organisationen haben, andererseits aber auch gemeinsam mit den Teams nach konstruktiven Handlungsmöglichkeiten suchen", erläutert Dr. Bettina Daser, Sozialpsychologin im Frankfurter Team von Prof. Haubl.
Ein Großteil der Organisationen befindet sich nach der Studie mitten in turbulenten Veränderungsprozessen, wenige sind bereits dabei, erneut umzudenken, weil sie die Folgen der Ökonomisierung als negativ bilanzieren. "Der ökonomische Druck der letzten Jahre und der daraus entstehende ständige Reformzwang hat zu einer höchst problematischen 'Blase' sich verdichtender Probleme in Organisationen geführt, die lange Zeit kaum wahrgenommen wurde, nun aber 'platzen' könnte", befürchtet Haubl und weist auf die Parallelen zur aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise hin. Den permanenten Umbau können die Beschäftigten oft nicht mehr nachvollziehen. Das führt dazu, dass sich viele Mitarbeiter nicht mehr mit ihrer Organisation identifizieren können und sie sich gleichzeitig gezwungen sehen, professionelle Standards und Arbeitsqualität zu verletzen, um kurzfristige ökonomische Zielmargen zu erfüllen.
Die Führungskräfte verstehen sich in diesem Prozess primär als hart drängende 'Change-Agents', die den ökonomischen Druck nach unten weitergeben und ihre Mitarbeiter mit den Folgen weitgehend allein lassen. "Die Beschäftigten beklagen, dass ihre Chefs oft die notwendigen Führungskompetenzen nicht mit bringen, um den Wandel für die Mitarbeiter erträglich zu unterstützen - kurz: Führungskräfte scheinen in vielen Bereichen selber überfordert", so Daser. Die Aussagen der Interviewten belegen, dass heute Positionen von Managern besetzt werden, die vermeintlich profitable Veränderungen durchsetzen, weil sie kein Verständnis für die Qualitätsstandards 'guter Arbeit' haben und deshalb auch nicht beurteilen können, welche Ressourcen zu deren Erfüllung unentbehrlich sind.
Kollegialität und Solidarität schwinden, die Beschäftigten setzen sich weniger häufig gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen ein, beobachten die Supervisoren. "Oft ist die Belegschaft in Gruppen gespalten, die sich wechselseitig das Leben schwer machen. So werden zum Beispiel aus Gründen der Statussicherung junge Beschäftigte von alten nur unzureichend eingearbeitet. Im Gegenzug versuchen sich junge Beschäftigte zu profilieren, indem sie die Traditionsbestände entwerten", erläutert Haubl. Auch unterschiedliche Arbeitsverhältnisse führen häufig zu Spannungen: Da immer mehr Beschäftigte nur befristete Arbeitsverträge haben oder auch in ungeschützten oder prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, werden Mitarbeiter mit unbefristeter Vollzeitstelle beneidet.
Die Arbeitsintensität hat in den meisten Organisationen in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen: Arbeitsprozesse werden verdichtet und beschleunigt, Nischen beseitigt. Für manche Beschäftigte ist diese Intensivierung eine Quelle der Arbeitsmotivation, für die meisten bedeutet dies Belastungen, die sie über kurz oder lang nicht mehr bewältigen. "Besteht die betriebliche Erwartung an die Beschäftigten, jederzeit an die eigenen Grenzen der Arbeitskraft zu gehen, dann steht die physische und vor allem die psychische Gesundheit auf dem Spiel, besonders dann, wenn Arbeiten zu leisten sind, für die ihnen keine entlastenden Routinen zur Verfügung stehen", so der Frankfurter Sozialpsychologe, der neben seiner Professur an der Goethe-Universität auch als einer der beiden Direktoren des Frankfurter Sigmund-Freud-Instituts tätig ist. Anhaltende Überforderung führt nicht selten zu einer 'Kultur des Klagens' - dazu schreiben Haubl und Voß in einem Beitrag zur Studie: "Dieses Klagen ist keine angemessene Auseinandersetzung mit dem Problem, sondern dessen Ritualisierung, die es eher aufrecht erhält. Und es lädt manche Beschäftigte zu Versuchen ein, einer tatsächlichen Überlastung durch vorauseilendes Klagen und damit der Einforderung einer Schonhaltung - auf Kosten von Kollegen und Kolleginnen - zu entgehen."
Der angestoßene Wandel innerhalb der Organisationen ist äußerst ambivalent - so haben die Wissenschaftler bei ihren Befragungen festgestellt, dass Veränderungsprozesse oft abgebrochen und durch neue ersetzt werden, ohne dass man die Ergebnisse eines der Prozesse abwartet. Diese Überlagerung von Veränderungsprozessen ist nicht zuletzt eine Folge eines bestimmten Karrieremechanismus: Wer über Veränderungsideen verfügt, steigt auf, und muss seinen Aufstieg mit neuen Veränderungsideen rechtfertigen. "Können sich die Beschäftigten dem Innovationstempo nicht so schnell anpassen, neigen sie dazu, lediglich die Rhetorik zu wechseln, um sich selbst zu schützen, was eine ungeschönte Bilanzierung der Erfolge der Veränderungen erschwert", ergänzt Haubl. "Und sie und ihre Führungskräfte entwickeln die Sehnsucht nach Abkürzungen, was sie anfällig macht, Beratern zu glauben, die suggerieren, sie würden über schnelle 'Erfolgsrezepte' verfügen."
Die Autoren der Studie plädieren dafür, dass Beschäftigte, die unter permanentem Druck stehen, sich ständig neuen Arbeitsbedingungen anpassen zu müssen, aktive Selbstfürsorge betreiben: "Doch damit sind nicht wenige überfordert", fügt Daser hinzu. Je mehr projektförmige Arbeit zunimmt, umso wichtiger erscheint es den Wissenschaftlern, dass Beschäftigte inner- und überbetriebliche soziale Netzwerke aufbauen und pflegen. Darüber hinaus tun sich Entlastungsmöglichkeiten auf, wenn es den Beschäftigten, aber auch den Führungskräften gelingt, Handlungsspielräume zu finden, "in denen der Effizienzdruck sanktionsfrei vermindert ist", sagt Haubl. "Dazu müssen sie allerdings vermeintliche Sachzwänge auch als Ausdruck von Machtverhältnissen durchschauen können."
Quelle: Frankfurt am Main [ GU ]