Das Cervelas_Problem: Existenz gesichert – Die Arbeit geht weiter
Die aktuelle Versorgungslage und ihre politische Dimension
Vor einem Jahr, d.h. gegen Ende 2007, haben wir realisiert, dass die Vorräte an brasilianischen Rinderdärmen zur Neige gehen, der Nachschub unterbrochen ist und er aus Brasilien in absehbarer Zeit nicht mehr in Gang kommen werde. Damit war die Produktion des wichtigsten Fleischerzeugnisses der Schweiz in der gewohnten Form in Frage gestellt.
Die wirtschaftliche Sorge um einen Umsatzträger unserer Mitgliederbetriebe stand natürlich am Ursprung unserer Aktivitäten. Es zeigte sich aber bald, dass das Problem verschiedene Dimensionen hat.
- Große Teile der Bevölkerung haben eine starke emotionale Bindung an den Cervelas. Sein Genuss ist verbunden mit Festen, freundschaftlichem Beisammensein, Naturerlebnissen. Er war und ist „das Filet der Arbeiter“. Er ist im besten Wortsinne eine „Volkswurst“ – oder eben: die Nationalwurst.
- Selbstverständlich sind das Fleisch und die Zutaten – der Inhalt der Wurst – entscheidend. Aber die Qualitätsoptimierung und die lebensmittelrechtlichen Gegebenheiten führten zu den Wursthüllen aus brasilianischen Rinderdärmen: Auch das „typisch Schweizerische“ ist also global vernetzt.
- Der Darmhandel bemühte sich erfolgreich, die Abhängigkeit von einer bestimmten Bezugsquelle zu durchbrechen. Wir wollen die EU-Harmonisierung des Lebensmittelrechts, was aber ebenfalls gewisse Abhängigkeiten bewirkt. Wir müssen lernen mit ihnen umzugehen, ohne auf eigene Initiativen zu verzichten.
Behörden-Wissenschaft-Wirtschaft: Erfolgreiche Parnterschaft
Damit ist das Beschaffungsproblem bei den Rinderdärmen für unseren Cervelas fast so etwas wie ein „Lehrstück“ geworden. Die Bildung der „Task Force“ soll uns am Beispiel des Cervelas zu lernen helfen, wie wir – auch künftig – derartige Probleme lösen. Wir dürfen nach einem Jahr intensiver Arbeit doch feststellen, dass die Kooperation von Behörden, Wissenschaft und Wirtschaft Früchte getragen hat. Die Öffentlichkeit und die Medien haben im Verlaufe des Jahres großes Interesse und viel Sympathie für unsere Anstrengungen gezeigt. Deshalb möchten wir heute Bilanz ziehen. Ich kann das Resultat auf die folgende Kurzformel bringen:
Die Existenz des Cervelas ist gesichert, aber wir sind noch nicht alle Sorgen los.
Drei Stossrichtungen – weitgehend erfolgreich bearbeitet
Die Task Force hat mit drei Stossrichtungen gearbeitet. Wir rekapitulieren sie, um ein differenzierteres Bild der Situation vermitteln zu können.
- Qualitätsprüfungen: Durch die Forschungsanstalt „Agroscope“ des Bundes wurden Wursthüllen aus verschiedenen Ländern geprüft und mit dem brasilianischen Rinderdarm als Referenzprodukt verglichen. Gleichzeitig wurden die Vor- und Nachteile von Wursthüllen mit alternativen Technologien dokumentiert. Diese Unterlagen dienen vor allem den schweizerischen Wurstherstellern zur Qualitätssicherung und zur Vorbereitung von Alternativen, wenn sich Versorgungslücken ergeben sollten. Diese Arbeit ist erfolgreich abgeschlossen.
- Alternative Beschaffungsländer: Die Qualitätsvergleiche anfangs Jahr haben gezeigt, dass die üblichen Rinderdärme aus Argentinien und Uruguay bezüglich Kaliber und Fetteinschlüssen ursprünglich nicht genügten. An diesem Problem wurde im Verlaufe des Jahres intensiv gearbeitet. Es konnten in diesen Ländern neue Bezugsquellen erschlossen und Massnahmen zur Qualitätsverbesserung installiert werden. Dem Darmhandel ist es gelungen, sich Ware zu sichern, die unseren Qualitätsstandards entsprechen. Unsere Delegation vor Ort und große Unterstützung durch viele Stellen hat – zufälligerweise – mit dem heutigen Tag einen weiteren Erfolg gebracht: Paraguay und ihr größter Darmproduzent sind von der EU ab dem 22. Dezember 2008 als Exporteur zugelassen.
- Neubeurteilung in der EU: Wir wollen uns aber auch aktiv in die Diskussion der EU einbringen. Ist es tatsächlich richtig, wenn die Rinderdärme aus Ländern mit kontrolliertem BSE-Risiko grundsätzlich nicht als Wursthüllen verwendet werden dürfen? Das ist nicht zuletzt eine wissenschaftliche Frage. Wir haben deshalb anerkannte internationale Experten auf die Frage angesetzt und sie gebeten, sie nicht nur aus schweizerischer, sondern aus europäischer Sicht zu beantworten.
Antrag an die EU-Kommission
Wir sind der entschiedenen Meinung, dass die heute den Medien vorgestellte Risikoanalyse als eine unabhängige Studie anerkannter Experten zu betrachten ist. Sie liefert genügend wissenschaftliche Argumente, Rinderdärme aus Ländern mit kontrolliertem BSE-Risiko, also aus Europa und Brasilien, als Wursthüllen zuzulassen. Dies kann und soll den EU-Instanzen in aller Form beantragt werden. Wir danken dem Bundesamt für Veterinärwesen, dass es die Studie am Freitag, 19. Dezember 2008 in diesem Sinne offiziell der EU-Kommission weitergeleitet hat.
Wir benötigen diesen politischen Entscheid der EU-Instanzen. Unsere Partnerorganisationen im europäischen Ausland warten übrigens ebenfalls darauf, dass weitere Fortschritte in der von der EU-Kommission entworfenen sogenannten „Road map“ zur Neubeurteilung dessen, was heute des „Spezifischen Risikomaterials“ ist, erzielt werden. Insofern leisten wir den Wurstfabrikanten der europäischen Länder mit unserer Intervention einen Dienst.
Ausreichende Versorgung 2009
Aber auch die Umfrage bei den großen schweizerischen Fleischverarbeitern zeigt, dass sich die Versorgung mit Wursthüllen zwar gegenüber anfangs Jahr deutlich verbessert hat, aber dieser weitere Schritt nötig ist. Die Situation kann wie folgt zusammengefasst werden: Die Vorräte der Fleischwarenproduzenten sind wieder so aufgestockt, dass sie bei einzelnen Betrieben jedenfalls bis Ende Grillsaison 2009, teils bis Ende Jahr reichen. Für die Zeit danach wagen die Betroffenen keine Prognose. Alle sind sich einig, dass größere Anstrengungen bei der Beschaffung nötig sind. Alternative Technologien wurden von den Anbietern getestet und bereitgestellt. Sie sind aber nicht als „Plan B“ zu bezeichnen, weil nächstes Jahr keine Notwendigkeit dafür besteht.
Die Arbeit geht weiter
Wir kommen also über die Runden, doch definitiv gelöst ist das Problem erst dann, wenn das große Reservoir Brasiliens wieder zur Verfügung steht. Inzwischen kämpfen wir weiterhin mit den Problemen knapper Beschaffungsmärkte. Die Task Force hat von drei Stossrichtungen zwei mit Erfolg bearbeitet. Bei der dritten Stossrichtung – der Neubeurteilung der Rinderdärme durch die EU – haben wir heute eine wichtige Etappe hinter uns gebracht, sind aber noch nicht am Ziel. Dieses ist erst erreicht, wenn die EU-Kommission auf unsere Intervention positiv reagiert. Wir bleiben also dran.
Quelle: Bern [ Ständerat Rolf Büttiker, Präsident des Schweizer Fleisch-Fachverbandes SFF ]