Erbgutvariante lässt früher zur Zigarette greifen

Eine winzige Änderung in den Genen scheint einen bedeutsamen Einfluss auf die Entwicklung einer Nikotinsucht zu haben. Zu diesem Schluss kommen Forscher der Universitäten Bonn und Heidelberg zusammen mit US- Kollegen der Harvard Medical School jetzt in der Zeitschrift Neuropsychobiology (Band 56; Seite 47-54). Darin zeigen sie, welche Rolle zwei Erbanlagen bei der Entstehung der Nikotin-Abhängigkeit spielen. Ist das so genannte TPH1-Gen verändert, werden Betroffene insgesamt häufiger und stärker abhängig. Der Austausch eines einzigen Buchstaben im TPH2-Gen lässt sie dagegen früher zur Zigarette greifen. Die Forscher fanden aber auch Anzeichen, dass Umweltfaktoren die Entstehung der Sucht beeinflussen.

Zum Raucher wird man geboren - zumindest teilweise: Auf 50 bis 75 Prozent schätzen Forscher den Einfluss des Erbguts. Den Rest machen Umweltbedingungen wie Stress oder Negativ-Vorbilder aus. Die in der Studie untersuchten TPH-Gene sind wichtig für die Produktion des Hirnbotenstoffs Serotonin. Diese Substanz spielt bei emotionalen und kognitiven Prozessen eine wichtige Rolle. Serotonin-Mangel wird mit Depressionen oder Angsterkrankungen in Verbindung gebracht. Er gilt aber auch als Risikofaktor für eine Drogensucht. Auch unter Nikotinentzug verringert sich der Serotonin-Spiegel im Gehirn; gleichzeitig sinkt die Stimmung. Die niedrigere Serotonin- Konzentration ist zudem für einen Nebeneffekt verantwortlich, den wohl jeder Raucher kennt, der schon einmal gegen seine Sucht gekämpft hat: Den erhöhten Appetit in der ersten Phase der Entwöhnung.

Verschiedene Studien berichten denn auch von einer Rolle des TPH1-Gens bei der Entstehung einer Nikotinabhängigkeit. "In jüngerer Zeit gab es an dieser Interpretation aber einige Kritik", erklärt der Bonner Psychologe Professor Dr. Martin Reuter. "Wir wollten diesen Befund daher noch einmal in einer breit angelegten Studie überprüfen." Zusätzlich nahmen die Forscher die erst 2003 entdeckte Erbanlage für TPH2 unter die Lupe. Sie steht ebenfalls als "Raucher-Gen" unter Verdacht.

Erbgutvariante macht stärker abhängig

Die Wissenschaftler werteten in ihrer Studie die anonymisierten Daten von mehr als 4.300 Deutschen aus. Darunter waren Raucher und Nichtraucher. Die Testpersonen hatten sich in den vergangenen Jahren für zwei unabhängige genetische Studien zur Verfügung gestellt. Die Teilnehmer der ersten Stichprobe waren im Schnitt 53 Jahre alt, die der zweiten erheblich jünger: Sie zählten im Mittel knapp 25 Lenze.

TPH1-Daten gab es nur für diese jüngere Gruppe. "Probanden, bei denen das TPH1-Gen an einer bestimmten Stelle verändert war, griffen tatsächlich signifikant häufiger zur Zigarette", bestätigt Reuter das Ergebnis vorheriger Studien. Unter Rauchern war diese Erbgut-Änderung 10 Prozent häufiger als unter Nichtrauchern. Die Betroffenen gaben überdies im Schnitt eine stärkere Nikotinabhängigkeit zu Protokoll.

Komplizierter sind die Befunde zum TPH2-Gen. "Der Austausch eines einzigen Bausteins in dieser Erbanlage führt dazu, dass die Betroffenen deutlich früher mit dem Rauchen beginnen", erläutert der Psychologe. Doch so einfach, wie es sich anhört, ist die Sache nicht: Denn in der "älteren" Gruppe war dieser Effekt lediglich bei Frauen statistisch signifikant. Sie griffen im Schnitt bereits mit 19,8 Jahren zu ihrem ersten Glimmstengel - bei Raucherinnen mit unverändertem TPH2-Gen lag das Einstiegsalter bei 20,7 Jahren. Ganz anders in der jüngeren Gruppe: Hier machte sich der "TPH2-Effekt" lediglich bei den Männern bemerkbar. Sie begannen durchschnittlich drei Jahre früher zu rauchen, wenn sie Träger der Genvariante waren.

Entspannte Frauen, gestresste Männer

Träger eines veränderten TPH2-Gens sind laut Studien im Schnitt ängstlicher als Vergleichspersonen. Das ist wahrscheinlich auch ein Grund, warum die Betroffenen eher zur Zigarette greifen: Angst und Unsicherheit als wichtige Auslöser für Drogenmissbrauch. Stress scheint diesen Effekt noch zu verstärken. "Die Raucher aus der älteren Gruppe sind oft schon seit den 50er Jahren nikotinabhängig", erklärt Professor Reuter. "Damals lastete auf Frauen ein viel größerer gesellschaftlicher Druck als heute, sich rollenkonform zu verhalten - mehr Stress, wenn man so will. Unter diesen Bedingungen wirkte sich die TPH2-Variante bei ihnen eventuell viel stärker aus als bei Männern." Heute seien es dagegen vielleicht eher die Männer, die mit ihrer veränderten Rolle zu kämpfen hätten, spekuliert Reuter. Das würde erklären, warum der Buchstabentausch im TPH2-Gen jetzt vor allem beim starken Geschlecht Wirkungen zeige.

Quelle: Bonn [ RFWU ]

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