„Die gesamte Wertschöpfungskette steht gewaltig unter Druck"

Über 150 Experten beim 1. Tönnies Forschungs Symposium zum Thema Tierschutz und Nutztierhaltung / Zwischenergebnisse von vier geförderten wissenschaftlichen Projekte vorgestellt

Wie lassen sich Tierschutz und Nutztierhaltung sinnvoll miteinander vereinbaren? Wie können etwa die Bedingungen für Tiere, die in konventionellen Ställen leben, verbessert werden, wie kann die Haltung von Schweinen in Großbetrieben tiergerechter werden? Antworten auf einige zentrale und aktuelle Fragen im Spannungsfeld Tierschutz und Nutztierhaltung konnte das Tönnies Forschung Symposium geben, das heute in Berlin zum ersten Mal durchgeführt wurde.

Über 150 geladene Experten aus Wissenschaft, Branche und Politik, Vertreter von Tierschutzorganisationen, Veterinäre und Branchenkenner diskutierten in zwei Themenblöcken konkrete Forschungsfelder und –ergebnisse sowie allgemeine politisch-gesellschaftliche Fragestellungen.

Einleitend führte Josef Tillmann, Geschäftsführer der Tönnies Gruppe, in das Thema des Symposiums ein. Er stellte fest, dass sich das Thema Tierschutz in der Nutztierhaltung im Bewusstsein der Verbraucher immer stärker breit macht und nahezu alle Branchenteilnehmer wie auch die rahmengebende Politik dieses Spannungsfeld auf die öffentliche Agenda gesetzt haben. Von den Bauern, über die Schlachtbetriebe, die Veterinäre, bis hin zum Handel seien nun alle gefordert, Antworten zu finden und kontinuierlich Verbesserungen im Tierschutz zu erzielen, sagte Tillmann. Gerade hierzu sei sie Einbindung der Wissenschaft und der Fachaustausch wie auf dem Symposium enorm wichtig.

In Kurzvorträgen stellten Wissenschaftler dann erste Zwischenergebnisse der vier Projekte vor, die aktuell von der Tönnies Forschung gefördert werden. Alle Projekte verfolgen das Ziel, Nutztierhaltung, insbesondere die Haltung von Schweinen in Großbetrieben, tiergerechter zu machen.

So referierte Dr. Dr. Kai Frölich, Tierpark Arche Werder e.V., zu der Frage, ob Mastschweine gesünder sind, wenn robuste Schweinerassen eingekreuzt werden. In einem Versuch beschäftigen sich Professor Dr. Dr. Heinrich H.D. Meyer und Dr. Heike Kliem von der Technischen Universität München mit dieser Aufgabenstellung.

Professor Dr. Steffen Hoy und Stephan Welp von der Justus-Liebig-Universität Gießen erarbeiten Lösungsmöglichkeiten zur Senkung des Ferkelverlustes bei hochfruchtbaren Sauen. Professor Hoy zeigte erste positive Ergebnisse, etwa durch Abtrennung der schwersten Ferkel beim Wurf oder bessere Temperatureinstellungen.

Wie man Schwanzbeißen bei Mastschweinen reduzieren kann, wollen Dr. Lars Schrader und Dr. Sabine Dippel vom Friedrich-Loeffler-Institut in ihrer Studie herausfinden. Dr. Schrader stellte dar wie diese Problematik untersucht wird, um das Schwanzbeißen und die damit verbundenen Schmerzen, den Stress sowie auch die wirtschaftlichen Verluste zu verringern.

In einem gemeinsamen Forschungsprojekt von Professor Dr. Klaus Troeger vom Max Rubner Institut und Dr. Michael Marahrens vom Friedrich-Loeffler-Institut wird die schonende Betäubung von Schweinen mit „nicht aversiv wirkenden Narkoseverfahren“ geprüft, wie etwa Helium. Ziel ist es, Narkoseverfahren jenseits vom aktuell meist gebrauchten CO2 zu testen.

Im zweiten Teil des Symposiums widmeten sich die Symposiumsteilnehmer der Frage, wie moderne Nutztierhaltung mit Tiergerechtigkeit zu vereinbaren sei. Bei seiner Einführung in das Thema beschrieb Professor Dr. Peter Kunzmann vom Ethikzentrum Jena das zentrale Dilemma der Verbrauchererwartungen: man erwarte gute, gesunde, qualitativ hochwertige Produkte, die gleichzeitig preiswert sind. Dazu käme nun sukzessive auch noch die Vorstellung einer idealen Tierhaltung und Aufzucht, tiergerecht und dem Tierschutz verpflichtet. Es gebe deshalb einen permanenten Kampf um die Deutungshoheit zu der Frage „Was ist gute Tierhaltung?“ Dabei sei der Maßstab eine Art Kuscheltierperspektive: Die Menschen lebten heute mit Tieren, aber nicht mehr von Tieren. Diesem Wandel in der Wahrnehmung von Tieren durch Menschen müsse man sich in der Nutztierhaltung stellen. Seine Zusammenfassung aus ethischer Sicht: Der Anspruch der Bevölkerung auf tiergerechte Haltung in der Nutztierhaltung sei legitim, nicht aber der Wunsch nach „Haustier-Idylle“. Die Industrie habe das Recht, professionelle technische Standards zu fordern, und auch auf Hinweise zur ökonomischen Nutztierhaltung. Sie müsse aber permanent nach besseren Alternativen in der Nutztierhaltung suchen.


Bei der abschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Franz-Josef Möllers, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hartwig Borstedt, erimitierter Hochschullehrer der Veterinärmedizin, Dr. Christoph Maisack, Richter und Mitglied des Ethik-Beirats der Albert-Schweizer-Stiftung, Professor Dr. Dr. h.c. Jörg Hartung, Direktor des Instituts für Tierhygiene und Nutztierethologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover, sowie Friedrich Ostendorff, MdB und Agrarpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Zentrale Aussagen der Teilnehmer auf dem Podium:

Franz-Josef Möllers:“Die gesamte Wertschöpfungskette steht gewaltig unter Druck. Wir müssen uns verbessern und diese Errungenschaften dann auch kommunizieren. Dabei müssen wir aber immer auch die wirtschaftlichen Grundlagen im Auge behalten.“

Professor Hartwig Borstedt: „Tierwohl ist zuerst einmal eine Basisgesundheit der Tiere. Diese steht im Vordergrund. Die Leistungszucht hat hier durchaus auch Schwierigkeiten geschaffen. Das kann man aber nur angehen, wenn man von staatlicher Seite auch ausreichend Personal hat um zu kontrollieren, zu beraten und zu verändern.“

Dr. Christoph Maisack: „Wenn ein Bedürfnis eines Tieres unterdrückt wird, wird es darunter leiden. Daran orientiert sich das Tierwohl. Dem stehen immer noch Praktiken wie etwa die Fixierung und der Kastenstand bei Sauen oder das Zähneschleifen entgegen. Das Staatsziel Tierschutz wird aus meiner Sicht zu wenig umgesetzt.“

Professor Jörg Hartung: „Die mentale und physische Unversehrtheit der Tiere ist Grundlage jeder Verbesserung in der Nutztierhaltung. Die Landwirtschaft hat die Bevölkerung bei den Veränderungen in der Nutztierhaltung, vor allem bei der Intensivierung, nicht mitgenommen. “

Friedrich Ostendorff: „Wir haben eine Fehlsteuerung in der Politik und Wirtschaft. Die Haltung, in der das Tier am günstigsten zu halten war, ist immer auch die richtige. Auch in der Landwirtschaft selbst wird die Nutztierhaltung immer kritischer gesehen.“

In seiner Tageszusammenfassung stellte Professor Dr. Dr. h.c. Thomas C. Mettenleiter, Präsident des Friedlich-Loeffler-Instituts und Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit, heraus, dass es nun eine wichtige Aufgabe sei, die geführte Diskussion aus dem engeren Kreis der Branche hinaus zu führen. Die kritischen Diskussionen wie auch die guten Ansätze für Verbesserungen müssten nun einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden und zudem Umsetzungen folgen.

Quelle: Berlin [ Tönnies ]

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