Universität Hohenheim entwickelt veganen Schinken mit Biss

Ham without Oink: Wie der vegane Kochschinken bei potenziellen Kund:innen ankommt, wollen Studierende bei einer Verkostung vor der Mensa testen. | Bildquelle: Universität Hohenheim / Schmid

Es geht immer noch um die Wurst: Alternativprodukte auf Basis pflanzlicher Proteine spielen jedoch zunehmend die Hauptrolle am einstigen Fachgebiet „Fleischtechnologie“, das inzwischen „Lebensmittelmaterialwissenschaften“ heißt. Doch woran liegt es eigentlich, dass bestimmte vegane Wurstsorten näher ans tierische Original herankommen als andere? Junge Forschende und Studierende des Bachelor-Studiengangs Lebensmittelwissenschaft und Biotechnologie gehen dieser Frage an der Universität Hohenheim in Stuttgart gemeinsam auf den Grund und suchen nach innovativen Lösungen. In einem Projektseminar haben sie ein Produkt entwickelt, das Lebensmittelhersteller bisher noch vor Herausforderung stellt: Ein schmackhafter veganer Kochschinken mit Biss. Wie das Ergebnis bei anderen Studierenden ankommt, wollen die Teilnehmerinnen des Seminars am Mittwoch, 17. Mai bei einer Verkostungsaktion vor der Mensa testen. Medienvertreter:innen sind dazu ebenfalls herzlich eingeladen.
 

Geflieste Räume, silbrige Maschinen, die an überdimensionale Küchenmaschinen erinnern, Räucherkammern: Das Technikum sieht auf den ersten Blick ähnlich aus wie eine Fleischerei. Sogar Fleischerhaken gibt es. Halbe Schweinehälften hängen hier inzwischen allerdings nur noch höchst selten. Einmal im Jahr demonstriert ein Metzgermeister das fachgerechte Zerlegen für Studierende. Der Schwerpunkt der Forschung hat sich inzwischen jedoch verlagert.

Das spiegelt sich sogar im Namen des Fachgebiets: Aus der einstigen „Fleischtechnologie“ wurde „Lebensmittelmaterialwissenschaft“. Sebastian Mannweiler, Dominic Oppen, Maurice König und Theresa Scheuerer sind vier von insgesamt neun Promovierenden am Lehrstuhl. Sie befassen sich in ihren Forschungsprojekten vorwiegend mit Produkten, die auf pflanzlichen Proteinen basieren.

„Für die Produktion veganer Wurst-Alternativen benötigt man im Wesentlichen die gleiche Ausstattung wie für das fleischhaltige Original“, erklärt Sebastian Mannweiler. „Wir konnten unser Forschungsspektrum deshalb ohne große Investitionen in den letzten Jahren enorm erweitern. Aus dem gleichen Grund ist es übrigens auch Herstellern von Fleisch- und Wurstwaren gelungen, sich im neuen Marktsegment sehr erfolgreich zu etablieren. Rügenwalder Mühle beispielsweise verkaufte 2022 sogar erstmals mehr Vegetarisches als Fleisch.“

„Fleischiges“ Mundgefühl stellt Herausforderung dar
Die jungen Lebensmittelwissenschaftler:innen wollen dieser Entwicklung durch ihre Forschung an der Universität Hohenheim weitere Impulse geben. „Die steigende Nachfrage nach Fleischersatzprodukten ist vor allem auf eine wachsende Zahl an Flexitarier:innen zurückzuführen“, erklärt Maurice König. „Diese Zielgruppe lehnt Fleisch nicht wegen des Geschmacks ab, sondern will ihren Konsum z.B. aus Gründen der CO2-Bilanz oder des Tierwohls bewusster gestalten. Die Marktforschung zeigt, dass sich diese Personen insbesondere von veganen Produkten überzeugen lassen, die ihren tierbasierten Vorbildern in Aussehen, Textur und Geschmack möglichst gut nacheifern.“

Und genau hier beginnt die Mission der jungen Forschenden. Denn während sich für einige tierische Produkte wie Hackfleisch oder Brühwürste bereits eine Vielzahl überzeugender pflanzlicher Analogprodukte auf dem Markt finden, stellen härtere Wurstsorten wie Kochschinken oder Salami, nach wie vor eine große Herausforderung dar. Der Grund hierfür ist ihre komplexe Textur mit Muskelfasern, die sich beim Kauen durch ein spezifisches „fleischiges“ Mundgefühl auszeichnet.

Studierende forschen mit
An der Suche nach innovativen Lösungen sind auch Studierende des Bachelorstudiengangs Lebensmittelwissenschaft und Biotechnologie beteiligt. Einen optimalen Rahmen dafür bietet „Humboldt reloaded“, eine preisgekrönte Initiative an der Universität Hohenheim, die es Studierenden bereits im Grundstudium ermöglicht, in kleinen Gruppen an echter Forschung teilzuhaben.

„In unserem Projektseminar ‚Ham without Oink‘ haben wir gemeinsam einen veganen Kochschinken mit Räucherkruste entwickelt, der fest, aber gleichzeitig auch elastisch und saftig ist und beim Kauen an das Original erinnert“, fasst studentische Teilenehmerin Saskia zusammen. Dazu konnten die Studierenden im letzten halben Jahr das Technikum der Lebensmittelmaterialwissenschaften mehrere Tage für ihre Versuche nutzen. „Unsere erste Aufgabe bestand darin, die richtigen Zutaten zu finden. Dazu haben wir im Vorfeld zunächst nach bestehenden Rezepturen recherchiert und diese anschließend im Technikum selbst ausprobiert und variiert“, berichtet Kommilitonin Rebecca.

Der optimalen Rezeptur auf der Spur
Die erste Erkenntnis? In vielen veganen Wurstalternativen kommen pflanzliche Verdickungsmittel zum Einsatz, z. B. Guarkernmehl, Carrageen, Agar-Agar oder Pektin. Sie sorgen beispielsweise dafür, dass eine vegane Lyoner saftig und zugleich schnittfest ist. Für den veganen Schinken eignen sich solche Hydrokolloide jedoch weniger, weil dem Endprodukt der notwendige Biss und die gewünschte Textur fehlt.

Stattdessen probierten die beiden Studentinnen das Weizenprotein Gluten als wasserbindende Alternative aus. Ein Vorteil: Durch einfaches Dehnen der Grundmasse lassen sich die langkettigen Eiweißmoleküle in eine gleichförmige Ausrichtung bringen. So entsteht eine faserige Struktur, die im Mund an Fleisch erinnert.

Im Anschluss geht es ans Fine Tuning: Um die Masse für den veganen Schinken noch fester zu machen, haben die Studierenden sie mit dem Enzym Transglutaminase behandelt, welches eine bessere Quervernetzung der Proteine bewirkt. Außerdem galt es, die Zutaten ins optimale Verhältnis bringen, die richtige Gewürzmischung und passende natürliche Farbstoffe finden. Der letzte Prozessschritt war schließlich die Räucherung für eine schmackhafte Kruste und mehr Haltbarkeit.

Verköstigung vor der Mensa & Presse-Termin
Am Ende müssen die unterschiedlichen Produktvarianten natürlich auch noch den Geschmackstest bestehen. Ihre Favoriten haben die Studierenden mit fachkundiger Unterstützung durch ihre Betreuer:innen und einen echten Metzgermeister bereits ausgewählt. Nun möchten sie wissen, ob diese auch potenzielle Kund:innen überzeugen würden.

HINTERGRUND: Humboldt reloaded
Die Initiative „Humboldt reloaded“ will Studierende an der Universität Hohenheim von Beginn an für die Wissenschaft begeistern. Die Studierenden arbeiten in kleinen Forschungsgruppen mit optimaler Betreuung, wobei die Projekte im Block oder über ein bis zwei Semester durchgeführt werden. Der Startschuss zu „Humboldt reloaded“ fiel im Jahr 2011.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierte „Humboldt reloaded“ durch den „Qualitätspakt Lehre“ in zwei Förderperioden von 2011-2020 mit insgesamt rund 15 Mio. Euro. Seit Ende der maximal möglichen Förderzeit durch das Bund-Länder-Programm im Frühjahr 2021 führt die Universität Hohenheim das Reformprojekt aus eigenen Mitteln weiter, als eigenes Referat innerhalb der Abteilung Studium und Lehre. Infos: https://humboldt-reloaded.uni-hohenheim.de

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