Dioxin in Futter- und Lebensmitteln - Ein Paradebeispiel für Carry over-Vorgänge und ihre Folgen
39. Kulmbacher Woche
"Dioxin in Lebensmitteln, Papiertüten, Kupferschlacken, Futtermitteln etc." Solche Schlagzeilen tauchen regelmäßig in den Medien auf. Meldungen dieser Art sind oft Grund für große Verunsicherungen und Unsicherheiten bei Verbrauchern, Lebensmittelproduzenten und Handel. Dieser Beitrag möchte am Beispiel der Stoffklasse der Dioxine (PCDD/F) die wesentlichen Zusammenhänge zum Übergang (Carry over) in Nahrungsketten aufzeigen und damit Grundwissen zur objektiven Bewertung solcher Nachrichten vermitteln.Unter der Bezeichnung "Dioxin" werden die beiden Substanzklassen der Dibenzo-p-Dioxine (PCDD) und die der Dibenzofurane (PCDF) - mit insgesamt 75 bzw. 135 Einzelverbindungen oder Kongenere - zusammengefasst. Von diesen insgesamt 210 Kongeneren wurden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 16 PCDD/F-Einzelverbindungen sogenannte TEF (Toxizitätsäquivalentfaktoren) zugewiesen. Der WHO-TEF drückt dabei die relative Toxizität eines Kongeners im Vergleich zum 2,3,7,8-TCDD (Seveso-Dioxin) aus, dem ein WHO-Äquivalentfaktor von 1 zugewiesen wurde.
Unter Carry over-Vorgängen versteht man den Transport von meist unerwünschten Stoffen in Nahrungsketten, wobei es zu Ab- oder Anreicherungen - letzteres sind naturgemäß die wichtigeren - in den Endgliedern dieser Ketten kommt. Ziel der Carry-over-Forschung ist es deshalb, die Transportkaskade möglichst genau aufzuklären, um dann letztendlich Aussagen machen zu können, wie man die Schadstoffeinträge in die Nahrungsketten möglichst weit vorne in der Kaskade verhindert oder soweit möglich reduziert.
Um dieses Ziel zu erreichen, muss man zuerst klären, woher die unerwünschten Stoffe herkommen. Dioxine stammen zum allergrößten Teil aus den unterschiedlichsten Verbrennungsvorgängen. Mit den Abgasen gelangen sie - gebunden an feinste Partikel - in die Atmosphäre und werden dort durch die Luftströmungen verteilt. Das führt, weil es viele verbrennungsabgasliefernde Prozesse gibt, zu einer mehr oder weniger starken ubiquitären Verteilung der Dioxine in der Atmosphäre. Aus dieser gelangen sie dann über Schwebstaubniederschläge auf die Oberflächen von Futterpflanzen und pflanzlichen Nahrungsmitteln. Über die Futterpflanzen nehmen die Nutztiere diese Substanzen auf. In Abhängigkeit von ihren physiko-chemischen Eigenschaften werden sie dann im Tierorganismus abgebaut und ausgeschieden oder in den Organen der Tiere - beim Dioxin vor allem im Fettgewebe und in der Leber - angereichert. Das führt zu einer entsprechenden Dioxinkontamination der vom Tier stammenden Lebensmittel, wobei wegen ihrer Fettlöslichkeit Fleisch, Milch, Fisch und Eier betroffen sind.
Entsprechend der das ganze Jahr über erfolgenden Anreicherung auf der Oberfläche von pflanzlichen Nahrungsmitteln und Futterpflanzen sind diese in Zeiten geringen Wachstums höher kontaminiert als etwa im Frühsommer bei rascher Vermehrung der Biomasse, die unter solchen Umständen zwangsläufig zu einer Verminderung der Kontaminationen führt. Dadurch werden jahreszeitliche Futterkontaminationsschwankungen verursacht, die z. B. bei der Gewinnung von Futterkonserven oder auch bei der Freilandhaltung Beachtung finden sollten.
Durch die Dioxinablagerung über den Feinstaub hat man es bei den meisten Pflanzen mit Oberflächen- oder Randschichtkontaminationen zu tun, die gewisse Dekontaminationsmöglichkeiten wie z. B. Waschen oder Schälen zulassen. Die beispielsweise beim Schälen anfallenden Reste sind dann zwangsläufig höher mit Dioxinen kontaminiert als das geschälte Gut. Da diese Überreste oder Schälabfälle meist aber zu Futtermitteln weiter verarbeitet werden - ein Beispiel sind Kleien aus der Mehlgewinnung - entfernt man damit die Dioxine nicht aus den Nahrungsketten hin zum Menschen, sondern leitet sie nur um auf die Nutztiere, worüber diese unerwünschten Stoffe dann schließlich doch zum Menschen gelangen.
Gerade am Beispiel Kleien, die in großen Mengen in den Mühlen anfallen, zeigt sich, dass es nicht möglich ist, die Dioxinkontamination durch gesetzliche Maßnahmen, die auf einer Maßregelung solcher Zwischenprodukte bei der Veredelung von Lebensmitteln beruhen, zu vermeiden. Man muss vielmehr das Übel an der Wurzel packen, was im vorliegenden Fall heißt: Man muss die Dioxin-Emissionen soweit wie nur möglich reduzieren, also die Verbrennungsvorgänge dahingehend beeinflussen, dass möglichst wenig Dioxine gebildet werden. In diesem Bereich, in dem gerade in der Bundesrepublik Deutschland schon viel erreicht wurde, wie Zeitreihenuntersuchungen der Dioxine und der Dioxinkontaminationen bestätigen, muss aber trotzdem immer noch weiteres veranlasst werden, um alle bestehenden Reduktionsmöglichkeiten auszuschöpfen.
Quelle: Kulmbach [ K.H. SCHWIND und H. HECHT ]