Ausnahmegenehmigung zum Schächten

Hessischer Verwaltungsgerichtshof bestätigt Anspruch eines muslimischen Metzgers - Keine Revision zugelassen - Die Urteilsgründe

Der 11. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat in Bestätigung eines Urteils des Verwaltungsgerichts Gießen festgestellt, dass ein muslimischer Metzger grds. einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Schächten hat, um Muslime mit geschächtetem Fleisch versorgen zu können, die das Verbot des Verzehrs von Fleisch nicht geschächteter Tiere als für sie zwingende religiöse Vorschrift ansehen. Erstritten hat das Urteil ein in Deutschland lebender muslimischer Metzger, der zunächst bis 1995 und seit Januar 2002 eine vorläufige Ausnahmegenehmigung zum Schächten besitzt.

Vorausgegangen war eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das mit Urteil vom 15. Januar 2002 - 1 BvR 1783/99 - anderslautende Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Gießen und des 11. Senats aufgehoben hatte. In diesen früheren Entscheidungen waren das Verwaltungsgericht Gießen und der Hessische Verwaltungsgerichtshof der Auffassung, es sei nicht nachgewiesen , dass es für Muslime objektiv zwingende religiöse Vorschriften gebe, die ihnen den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagten.

Nach den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes ( § 4 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 TierSchG ) kann eine Ausnahmegenehmigung zum Schächten erteilt werden, wenn sie erforderlich ist, um den Bedürfnissen von Angehörigen einer Religionsgemeinschaft zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihres Glaubens den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen. Das Bundesverfassungsgericht stellte hierzu im Jahr 2002 fest, diese Vorschrift sei so auszulegen, dass muslimische Metzger eine Ausnahmegenehmigung für das Schächten erhalten könnten. Durch Gesetz vom Juli 2002 hat der Bundestag in Art. 20a des Grundgesetzes auch den Schutz der Tiere in das Grundgesetz aufgenommen. Diese Grundgesetzänderung konnte das Bundesverfassungsgericht im Januar 2002 noch nicht berücksichtigen. Der 11. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs kommt in seiner jüngsten Entscheidung unter Berücksichtigung dieser Änderung des Grundgesetzes zum Ergebnis, dass die Bindungswirkung des genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts , das grundsätzlich alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden bindet, nach dieser Verfassungsänderung hinsichtlich der Auslegung der einschlägigen Vorschrift des Tierschutzgesetzes ( § 4 Abs. 2 Nr. 2 TierSchG ) entfallen sei. Diese Vorschrift sei nunmehr unter Beachtung des von dem Gesetzgeber mit der im Jahr 1986 beschlossenen Regelung verfolgten Zwecks des Tierschutzes und der rechtlichen Bedeutung des seit Juli 2002  im Grundgesetz verankerten Staatszieles Tierschutz anzuwenden. Da es aber nicht in der Kompetenz der Rechtsprechung, sondern des Gesetzgebers liege, den Anwendungsbereich dieser Vorschrift grundlegend zu verändern, müsse die Vorschrift deshalb so ausgelegt werden, dass für sie auch nach Einfügung des Staatszieles Tierschutz in das Grundgesetz ein praktischer Anwendungsbereich für das Anliegen des Gesetzgebers bleibe, dem Schächten als Bestandteil zwingender religiöser Vorschriften vor allem in der islamischen und jüdischen Glaubenswelt Rechnung tragen zu können.

Die Aufnahme des Staatszieles Tierschutz in das Grundgesetz muss nach Auffassung des 11. Senats aber dazu führen, dass die Anforderungen an die Erfüllung der Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Schächten verschärft werden. Es könne deshalb nicht mehr ausreichen - wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt habe -, dass nur "substantiiert und nachvollziehbar" dargelegt werde, nach der gemeinsamen Glaubensüberzeugung von Mitgliedern einer Religionsgemeinschaft setze der Verzehr des Fleisches von Tieren zwingend eine betäubungslose Schlachtung voraus. Das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung zum Schächten müsse vielmehr tatsächlich nachgewiesen werden. Dieser Nachweis erfordere zum einen , dass als Religionsgemeinschaft im Sinne der Vorschrift nur eine religiöse Gruppe qualifiziert werden könne, die belegbar durch gemeinsame, als verbindlich angesehene Glaubensüberzeugungen verbunden sei. Dies sei für die Gruppe der Muslime innerhalb des Islam, die den Verzehr des Fleisches geschächteter Tiere als zwingend religiöses Gebot beurteilten, grundsätzlich zu bejahen. Dem stehe nicht entgegen, dass es auch islamische entgegen, dass es auch islamische Glaubensrichtungen gebe, die ein solches Gebot nicht als verbindlich ansähen. Das Vorliegen "zwingender Vorschriften" setze des weiteren den Nachweis voraus, dass die Religionsgemeinschaft das Verbot des Genusses von Fleisch nicht geschächteter Tiere aus einer religiösen Vorschrift herleite, dieses Verbot für sich als verbindlich beurteile und tatsächlich praktiziere. Dies sei von dem Kläger im vorliegenden Verfahren nachgewiesen worden. Er habe belegt, dass ein gewichtiger Teil der Muslime in Deutschland und insbesondere auch in vorwiegend islamisch geprägten Ländern aus dem Koran das Verbot des Verzehrs von Fleisch nicht geschächteter Tiere herleiteten. Er habe ferner durch Vorlage mehrerer hundert eidesstattlicher Versicherungen von Kunden nachgewiesen, dass diese das Verbot des Genusses von Fleisch nicht geschächteter Tiere für sich als verbindlich ansähen und dies, wie der Kauf solchen Fleisches bei dem Kläger belege, auch tatsächlich praktizierten. Nach dem insoweit weiter maßgeblichen Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe der Staat solche bindenden Glaubensüberzeugungen zu berücksichtigen und sich einer Bewertung dieser Glaubenserkenntnisse zu enthalten.

Der Senat hat das Land Hessen deshalb verpflichtet, den Kläger hinsichtlich der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Schächten entsprechend der Rechtsauffassung des Gerichts  neu zu bescheiden. Das Gericht betont jedoch, die zuständige Behörde sei allerdings berechtigt, der Ausnahmegenehmigung Nebenbestimmungen zur Ausführung des Schächtens beizufügen, wie dies der gesetzgeberischen Intention entspreche. Der Behörde komme insoweit aufgrund besonderer Fachkunde ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der fachlich notwendigen Nebenbestimmungen zu, mit denen die Belange des Tierschutzes soweit wie möglich gewahrt werden müssten. Dabei könne es sich insbesondere um Anforderungen an die Fixierungsmöglichkeiten der Tiere, das Vorhalten eines geeigneten Betäubungsgeräts, die Art und Weise des Hautschnitts, die Anwesenheit von für die Schlachtung erforderlichen Personen, die Art und Beschaffenheit des Schächtinstrumentes, die Anbringung des Schächtschnittes, die Art und Dauer tierärztlicher Überwachung u. ä. handeln.

Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen. Dagegen kann Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig erhoben werden.

Quelle: Kassel [ vgh ]

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