Familiengeführte Fleischunternehmen: eine Alternative zu den Großen der Branche?
Round-Table-Gespräch in Brüssel
Am 27. und 28. August 2008 trafen sich Fachjournalisten aus Deutschland, Frankreich, Italien und Belgien in Brüssel zu einem Rundtischgespräch mit belgischen Fleischexporteuren. In Anspielung auf die jüngste Welle von Fusionen und Übernahmen in der Fleischbranche lautete das Thema dieser dritten Edition „Familiengeführte Fleischunternehmen: eine Alternative zu den Großen der Branche?“. Den Auftakt der zweitägigen Veranstaltung bildete eine Besichtigung des Zerlegebetriebes und der Fleischverarbeitungsabteilung der Q-group.
Belgien ist ein bedeutender Lieferant von Schweine-, Kalb- und Rindfleisch. Angesichts der zentralen Lage in Europa liegt es nahe, dass die belgischen Fleischlieferanten die internationale Marktentwicklung sehr aufmerksam beobachten. Im europäischen Kontext fällt auf, dass der Fleischkonsum insgesamt stagniert; weltweit nimmt der Handel dagegen zu. Rezent zeichnet sich eine aktuelle Welle von Fusionen und Übernahmen in den Nachbarländern ab.
VION-Grampian, Bigard-Socopa, Tönnies, JBC-Inalca und Danish Crown sind nur einige Beispiele für diesen Trend zu immer größeren Fleischunternehmen. Ist dies eine Reaktion auf die großen Marktplayer in Nord- und Südamerika oder ist dies die Folge einer Konzentration auf der Nachfrageseite? Ist das die richtige Antwort auf die Herausforderungen?
Fest steht: diese Bewegung ist nicht nur auf die Fleischbranche beschränkt. Auch im niederländischen und deutschen Obst- und Gemüsesektor hat eine deutliche Tendenz zu größeren Betrieben eingesetzt. In Frankreich findet eine ähnliche Entwicklung in der Geflügelfleischbranche statt. In Belgien scheint es in Sachen Fusionen und Übernahmen momentan eher ruhig zuzugehen; jedenfalls hat sich in den meisten Betrieben die Familienstruktur behauptet. Diese Tatsache bildete dann auch das Hauptthema des Round-Table-Gespräches.
Der Besuch bei Q-group lieferte ein schönes Beispiel dafür, wie sich ein typischer belgischer Familienbetrieb auf geänderte Marktverhältnisse umgestellt hat. Q-group gliedert sich in drei verschiedene Abteilungen, die nach dem gleichen Konzept geführt werden: Q-beef (Rindfleischerzeugung), Q-meat (Fleischzerlegung) und Q-food (Fleischverarbeitung). Q-food ist zwar der jüngste Spross, entwickelt sich aber am schnellsten und bedient die wachsende Nachfrage nach Convenience- und maßgearbeiteten Erzeugnissen. Mit über 1.300 verschiedenen Endprodukten hält das Unternehmen für jeden Kunden eine wunschgerechte Lösung bereit. Seinen Platz hat Q-group in einem Nischenmarkt für HoGa, Catering, Krankenhäuser, Schulen u.ä. gefunden. Dieser Zielgruppe kann eindeutig ein besonderer Service und Mehrwert angeboten werden.
Q-group dokumentierte sehr anschaulich, was viele Familienbetriebe auszeichnet: ein hohes Maß an Engagement und eine einfache Betriebsstruktur. So ist es möglich, auch Sonderwünsche schnell zu erfüllen.
Denn der Gesprächspartner, mit dem der Kunde am Telefon verhandelt, ist zugleich auch Entscheidungsperson. Flexibilität ist schließlich weitgehend eine Frage schneller Entscheidungen.
Hiernach folgen einige Highlights aus der fesselnden Round-Table-Diskussion von Donnerstag, 28. August 2008 in Brüssel. René Maillard, der das Gespräch moderierte, sagte anschließend:
„Die Professionalität und die Vision dieser belgischen Unternehmensleiter haben mich tief beeindruckt. Sie schaffen es, ihre Trümpfe maximal auf dem Weltmarkt auszuspielen und sind so eine vollwertige Alternative zu den Weltspielern. Das erklärt, weshalb Belgien schon so lange ein so gewichtiger Fleischproduzent in Europa ist. Ferner möchte ich mich auch recht herzlich bei den ausländischen Fachjournalisten für ihre konstruktiven Beiträge zur Debatte bedanken.“
Wie sieht Ihr Zehnjahresplan aus?
Martin Taelman (Q-group):
„Bisher haben wir uns auf lokale Kunden im Nischenmarkt Foodservice konzentriert wie Krankenhäuser, Großküchen, Schulen, Ministerien, .... Wir möchten uns in Zukunft mehr auf den LEH konzentrieren.“
Johan Heylen (Van Lommel):
„Die Konsolidation im belgischen Kalbfleischsektor ist schon 15 Jahre abgeschlossen. Ich erwarte für die kommenden zwei bis fünf Jahre eine neue Konsolidierungswelle in unseren Nachbarländern, als Antwort auf die größere Konzentration im LEH. Insbesondere für vorverpackte Endprodukte ist es klar, dass der Aktionsradius auf ungefähr 500 Kilometer beschränkt ist. Für größere Entfernungen führt das große Luftvolumen in den Kleinverpackungen zu hohen Transportkosten. Ich erwarte deshalb, dass der Trend in Richtung grenzüberschreitende Zusammenarbeit geht und regionale Partner gesucht werden müssen.“
Philippe Van Damme (Locks):
„Zehn Jahre scheint mir doch zurzeit eine sehr lange Zeitspanne, denn der Markt entwickelt sich bedeutend schneller als früher. Locks hat sich inmitten der Lebensmittelkette etabliert. Ich gehe davon aus, dass wir uns in den kommenden Jahren in beide Richtungen entwickeln müssen: sowohl in Richtung Anfuhr als auch in Richtung Verbraucher. Was die Verbraucherorientierung anbelangt, so müssen wir in erster Linie für eine Produktaufwertung einstehen. Diese Entwicklung heißt im Klartext: vertikale Integration. Die Zukunft wird uns zeigen, ob wir das eigenständig bewerkstelligen oder ob wir hierfür spezielle Partnerschaften eingehen müssen.“
Luc Verspreet (Covavee):
„Zehn Jahre sind in der Tat eine lange Zeit. Unsere Mission ist es, ein nachhaltiges Unternehmen für die Produzenten zu schaffen. Derzeit führen wir eine Studie durch, um zu überprüfen, wie sich die Branche entwickelt. Wir erwarten zwar, dass Bewegung in unsere Branche kommt, gehen aber davon aus, dass dies langsamer als in unseren Nachbarländern verlaufen wird. Auch in Belgien wird es Partnerschaften und Fusionen geben. Die Landschaft wird bereits in fünf Jahren völlig anders aussehen und es werden neue Gruppen entstanden sein. Wer weiß, vielleicht wird auch Covavee dann einem größeren Ganzen angehören. So können wir unseren heutigen Marktanteil von 10 bis 13 Prozent vielleicht auf 20 bis 25 Prozent ansteigen lassen. Größer zu werden ist allerdings kein Ziel an sich. Unser Motto lautet „Gemeinsam stärker werden“; dabei wollen wir uns insbesondere dafür einsetzen, dass alle Parteien profitieren: Eins plus eins muss drei ergeben! Wir sind keinesfalls neidisch auf die Großen und gehen stets von unseren Stärken aus. Diese Stärken werden wir nie zugunsten eines Wachstums aufgeben!“
Marc De Moor (Jademo):
„In der Sauenfleischproduktion größer zu werden ist keine Option innerhalb Europas; sie hat bereits ihre Grenzen erreicht. Auch ist unser Produkt nicht für Convenience geeignet. Mein persönlicher Traum ist es, eine Fleischwarenfabrik zu übernehmen. Ob dieser sich jemals erfüllen wird, hängt von den Plänen meiner Nachfolger ab.“
Wie gestaltet sich die Zukunft von Genossenschaften?
Luc Verspreet (Covavee):
„Derzeit gibt es in Belgien eine einzige Genossenschaft in der Fleischbranche. Und sie hat Erfolg: Während die Gesamtproduktion in Belgien stabil ist, wächst die Genossenschaft jedes Jahr aufs Neue. Die Gründe für diese Entwicklung? Die Produzenten stellen sich dieselben Fragen, wie wir es heute bei diesem Round Table tun. Wir können zwar in puncto Produktion und Ertrag Klassenbester sein, doch ohne eine Entwicklung innerhalb der Branche sind Probleme für die Zukunft vorprogrammiert. Wenn wir zusammen arbeiten, können wir stärker werden und das ist unserer Meinung nach die beste Möglichkeit um zu überleben und im Wettbewerb mit unseren großen Playern zu stehen.
Wichtig ist, dass für den weiteren Ausbau der Genossenschaft auch Investitionsmittel außerhalb des Produktionscircuits gesucht werden müssen. Die Produzenten brauchen ihre eigenen Mittel für ihren eigenen Betrieb; sie bleiben aber auf jeden Fall immer finanziell mit einbezogen, was sie wiederum extra stimuliert und sie anspornt, weiter zu machen.“
Wie entwickelt sich in Belgien die SB- und Convenience-Abteilung im Vergleich zur Bedienungstheke?
Philippe Van Damme (Locks):
„In Belgien sehen wir den Anteil an Convenience-Produkten deutlich wachsen. Das macht derzeit drei bis vier Prozent des Umsatzes aus und wir erwarten nicht, dass diese Entwicklung sich schnell ändern wird. Die Zeit, in der wir zwei Stunden in der Küche standen, um das Essen zuzubereiten ist vorbei. Die Rolle der Bedienungstheke nimmt – unter anderem aus Kostengründen - deutlich ab.“
Luc Verspreet (Covavee):
„Es wird immer schwieriger, gute Metzger für die Bedienungstheken zu finden. Wenn der Kunde schlecht bedient wird, wird sich das negativ auf das Vertrauensverhältnis auswirken.“
Martin Taelman (Q-group):
„Nicht nur im LEH sind Convenience-Produkte gefragt. Auch in Großküchen sehen wir einen Trend zu „Assemblage“-Küchen, wo die Mahlzeit aus verschiedenen Fertiggerichten zusammengestellt wird. Die Produkte der Q-group füllen hier, im wahrsten Sinne des Wortes, das Loch, das zum Beispiel Metzger hinterlassen haben. Gleichzeitig wird auf diese Art der Mangel an Küchenpersonal aufgefangen.“
Luc Verspreet (Covavee):
„Die Verbraucher reagieren auf den Convenience-Trend: wir liefern Produkte mit Mehrwert und tragen so zu Geselligkeit bei.“
Welchen Platz nehmen Bio-Produkte auf dem belgischen Markt ein?
Philippe Van Damme (Locks):
„Die belgische LEH-Kette Delhaize hat sich in Belgien voll dem Biotrend angepasst. Diese Nische ist nach wie vor sehr klein und wächst äußerst langsam. Ich glaube zwar an die Möglichkeiten von Bio, doch das Problem liegt darin, dass der Preis für Bio-Produkte sehr hoch liegt. Der Durchschnittsverbraucher gibt sein Geld aber lieber für Urlaub als für Nahrungsmittel aus.“
Johan Heylen (Van Lommel):
„Durch den Bio-Trend wurde auch die Einstellung in puncto Tierwohlsein sensibilisiert. Dies hat sich auf die Vorschriften der traditionellen Landwirtschaft ausgewirkt. Das Problem ist, dass europäische Länder, in denen inzwischen strenge Regeln vorherrschen, im Wettbewerb mit Drittländern stehen, wo sich in Sachen Tierwohlsein nicht viel verändert hat.“
Philippe Van Damme (Locks):
„Unsere Vorschriften verändern sich eigentlich permanent und es kommen stets mehr Auflagen hinzu. Deshalb erreichen unsere Produkte auch ein sehr hohes Qualitätsniveau. In Brasilien beispielsweise gelten ganz andere Bedingungen – und das kann dazu führen, dass wir nicht wettbewerbsfähig sind.“
Große Fleischbetriebe können auch sehr flexibel reagieren und unter dem Druck der Discounter nehmen sie kleinere Margen in Kauf. Sollten sich die belgischen Betriebe nicht in erster Linie auf ihre Position auf den Nischenmärkten konzentrieren und sich so aus der Schusslinie der Preiskriege halten?
Martin Taelman (Q-group):
„Wir konzentrieren uns als Q-group in der Tat auf einen Nischenmarkt: Lokale Kunden im Foodservice (Krankenhäuser, Catering, Schulen, Ministerien…).“
Philippe Van Damme (Locks):
„Was den Ertrag anbelangt, sehen wir einen großen Unterschied zwischen belgischem und ausländischem Fleisch. Manchmal kaufen wir Teilstücke im Ausland und stellen fest, dass der Ertrag des zweiten Schnittes in Belgien deutlich höher liegt. Das ist auf die genetischen Vorzüge der in Belgien gezüchteten Rassen zurückzuführen.“
Luc Verspreet (Covavee):
„Die kleineren Betriebe sind es gewohnt, zu kämpfen. Es wurde ihnen sozusagen in die Wiege gelegt. Wir wachsen langsam und können so dafür sorgen, dass wir unsere Stärken nicht verlieren: wir können schnell Entscheidungen treffen, einen persönlichen Service bieten und verfügen über eine tiefgehende Fach- und Produktkenntnis. Und darüber hinaus bieten die belgischen Lieferanten den billigsten Kilogrammpreis für mageres Qualitätsfleisch. In den vergangenen 20 Jahren wurde permanent an verschiedenen Fronten in die Qualität investiert.
Der Ertrag lag immer auf einem sehr hohen Niveau. Mitte der 80er Jahre wurde weiter an der Qualität gefeilt. Damals haben wir mit der systematischen Einkreuzung stressnegativer Tiere angefangen. Mit der Folge, dass wir immer noch einen sehr hohen Ertrag anbieten können – und das in Kombination mit Top-Qualität.
Solange wir alle diese Trümpfe ausspielen können, sind wir konkurrenzfähig. Dass diese Strategie funktioniert, beruht auf der Tatsache, dass belgische Unternehmen auf allen Märkten vertreten sind. Früher hat man die Rolle von belgischem Fleisch unterschätzt. Heute sind wir sogar der wichtigste Fleischlieferant Deutschlands.“
Die Teilnehmer aus der belgischen Fleischwirtschaft:
Covavee - Luc Verspreet
- Die einzige belgische Schweinegenossenschaft und deshalb einer der wichtigsten Player am belgischen Markt.
- Zugehörige Betriebe:
- Comeco (Meer) – Schweineschlachthof und –zerlegebetrieb
- Covameat (Heuvelland) - Schweineschlachthof und –zerlegebetrieb
- Adriaens (Zottegem) – Rinderschlachthof und –zerlegebetrieb
- Carniportion (Zottegem) – Hersteller von Convenience-Produkten
- Covavee exportiert mehr als die Hälfte seiner Produkte. Deutschland ist hierbei einer der wichtigsten Zielmärkte.
- In Belgien konzentriert sich Covavee in erster Linie auf den LEH und die Lebensmittelindustrie.
Locks - Philippe Van Damme
- Sehr moderner Schweinezerlegebetrieb, der durch eine ausgefeilte Automatisierung hervorsticht.
- In erster Linie exportorientiert. Lediglich zehn Prozent der Produktion sind für den belgischen Markt bestimmt.
Vanlommel - Johan Heylen
- Integrierter Kalbfleischproduzent in Familien-Hand.
- 65 Prozent des Umsatzes wird im Exportgeschäft erzielt. In Belgien liegt der Schwerpunkt beim LEH.
Q-group - Martin Taelman
- Familienbetrieb
- Drei unabhängige Abteilungen: Q-beef (Produktion von Rindfleisch), Q-meat (Fleischzerlegung) und Q-food (Fleischverarbeitung).
- Nischenmarktplayer: Konzentriert sich in erster Linie auf lokale Kunden im Foodservice (HOGA , Catering, Krankenhäuser und Schulen).
Jademo - Marc De Moor
- Auf die Zerlegung von Sauenfleisch spezialisierter Betrieb.
- Im Jahre 2003 aus der Fusion von zwei kleineren Betrieben hervorgegangen.
- Sehr stark exportorientiert.
Quelle: Brüssel [ VLAM ]