Eiweiß und Lifestyle: zwischen Ästhetik und Ethik

Godesberger Ernährungsforum 2004

Heute wird in Sport- und Lifestyle-Magazinen eine Supplementierung mit unspezifischen und spezifischen Aminosäurengemischen in Form von Eiweiß-Drinks unter leistungs- und regenerationsfördernden Aspekten allgemein propagiert. Ob im Rahmen eines körperlich aktiven Lebensstils der Eiweißstoffwechsel allerdings längeranhaltend einer eiweißhaltigen Nahrungsergänzung bedarf, hängt von der Art, der Intensität und dem Umfang der körperlichen Belastungen ab.

Unstrittig ist, dass die muskuläre Proteinsynthese durch ein intensives erschöpfendes Krafttraining anabol beeinflusst wird. Akut erfolgt eine Aktivierung der Aminosäurenutilisation im Bereich der kontraktilen Proteine der Muskelfilamente (Myosin, Aktin), chronisch tritt eine Hypertrophie der belasteten Muskelgruppen ein. Demgegenüber sind bei intensiven Langzeit-Ausdauerbelastungen akut eher katabole Rückwirkungen auf den Eiweißstoffwechsel zu erwarten. Einige Aminosäuren werden im muskulären Energiestoffwechsel direkt verbraucht, andere im Rahmen der zunehmenden Glykogenverarmung als Substrat für die verstärkte Glukoneogenese genutzt.

Während die Eiweiße in Ruhe mit ca. 2,5% zum Energiestoffwechsel beitragen, kann dieser Anteil unter einer Ausdauerbelastung bis auf 10% ansteigen. Als Fazit ist festzuhalten, dass nur bei einem erschöpfenden Krafttraining oder einem intensiven Ausdauertraining eine Erhöhung der alimentären Eiweißzufuhr zu empfehlen ist. So wird auf der Grundlage von Untersuchungen zur Stickstoffbilanz der tägliche Eiweißbedarf  bei einem regelmäßigen Ausdauertraining mit 1,2 bis 1,4 g/kg Körpergewicht und bei einem intensiven Krafttraining mit 1,4 bis 1,8 g/kg Körpergewicht veranschlagt.

Einer überproportionalen alimentären Versorgung mit einzelnen Aminosäuren wie z.B. dem Arginin, Lysin und dem Ornithin wird ein verstärkter anaboler Effekt auf die kontraktilen Muskelproteine zugeschrieben. Der Aminosäure Glutamin wird ein allgemeiner regenerationsfördernder Effekt sowie eine spezifische Wirkung in der lokalen und der systemischen Immunabwehr (z.B. Schleimhautabwehr der Atemwege) beigemessen. Den verzweigtkettigen Aminosäuren Valin, Leucin und Isoleucin wird eine hemmende Wirkung auf die bei Langzeit-Ausdauerbelastungen eintretende so genannte zentrale Ermüdung zugeschrieben, die möglicherweise durch einen belastungsinduzierten Anstieg der 5-Hydroxytryptaminkonzentration im Gehirn ausgelöst wird.

Aufgrund der niedrigen Evidenzstufe der vorliegenden Studien ist die Wertigkeit der bisher publizierten wissenschaftlichen Daten zu diesen spezifischen Wirkungen einzelner Aminosäuren allerdings eingeschränkt. Aus rationaler Sicht erscheint es ziemlich fragwürdig, wenn für sportlich aktive Menschen ein leistungs- und regenerationsfördernder Nutzen einer nahrungsergänzenden gezielten Supplementierung dieser vorgenannten Aminosäuren generell propagiert wird.

Unter ethischen Gesichtspunkten ist für die allgemeine Bevölkerung vielmehr zu empfehlen, den täglichen Eiweißbedarf ausschließlich über eine ausgewogene Zufuhr von biologisch hochwertigen tierischen und pflanzlichen Nahrungsmitteln abzudecken. Im Leistungs- und Hochleistungssport scheint es allerdings unstrittig zu sein, dass durch eine möglichst frühzeitige orale Substitution der essenziellen und nicht essenziellen Aminosäuren in Form von synthetisch angereicherten Eiweiß-Drinks die nach einer intensiven Kraft- oder Ausdauerbelastung verstärkt einsetzende muskuläre Proteinsynthese beschleunigt und damit die Leistungsfähigkeit und die Regeneration der Muskulatur positiv beeinflusst werden kann.

Quelle: Bad Godesberg [ PD Dr. med. Martin Huonker, Federseeklinik, Bad Buchau ]

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