Lust statt Last – Beim Stillen gilt Norwegen als Vorbild
Internationales Symposium am BfR zum 10jährigen Bestehen der Nationalen Stillkommission
Muttermilch ist die beste, die praktischste und die preiswerteste Nahrung für das Neugeborene. Stillen sollte für Mütter deshalb eigentlich selbstverständlich sein. Ist es aber nicht, wie ein Blick auf aktuelle Statistiken zeigt. Zwar werden in Deutschland über 90 Prozent der in Krankenhäusern entbundenen Säuglinge an die Mutterbrust gelegt. Im Alter von 6 Monaten kommen aber nur noch 48 Prozent der Säuglinge in den Genuss des Supercocktails. Zu wenig, meint das BfR, weil Muttermilch genau auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmt ist und Mutter wie Kind vor Erkrankungen schützt. „Die Nationale Stillkommission am BfR, die vor 10 Jahren ins Leben gerufen wurde, hat sich norwegische Verhältnisse zum Ziel gesetzt,“ erläutert die Vorsitzende Professor Hildegard Przyrembel. „Dort werden im Alter von 6 Monaten noch 80% der Kinder voll gestillt.“Die Ursache dieses norwegischen „Still-Wunders“ ist eines der Themen des Internationalen Symposiums, zu dem die Nationale Stillkommission aus Anlass ihres 10jährigen Bestehens Fachleute aus aller Welt geladen hat. Vor rund 30 Jahren befand sich Norwegen in einer ähnlichen Situation wie Deutschland heute: Durch die Medikalisierung der Geburt, die Trennung von Mutter und Neugeborenem aus Gründen der Hygiene und die jederzeit zum richtigen (von den Medizinern verordneten) Zeitpunkt verfügbare Mahlzeit aus der Flasche war die Zahl der im sechsten Monat nach der Geburt noch stillenden Mütter auf 30% gesunken. „Die Trendwende setzte in den 70iger Jahren ein,“ sagt Professor Gro Nylander vom Rikshospitalet in Oslo. „Sie spiegelt das neue Selbstverständnis der Frauen wieder, folgt aber auch daraus, dass der Staat und das öffentliche Gesundheitswesen gemeinsam mit den Arbeitgebern Bedingungen geschaffen haben, die es den Norwegerinnen erlauben, ihre Kinder über sechs Monate voll zu stillen. Hinzu kommt ein grundlegender Wandel in der öffentlichen Meinung, die Stillen nicht mehr als Last, sondern als Lust wahrnimmt.“
Dass in Deutschland inzwischen die Zahl der Mütter wieder zunimmt, die über sechs Monate hinaus stillen, ist sicherlich auch ein Erfolg der unermüdlichen Aufklärungsarbeit der Nationalen Stillkommission am BfR. In ihr arbeiten Ärzte, Hebammen, Still-Beraterinnen und Selbsthilfegruppen gemeinsam für verbesserte Stillbedingungen in der Klinik, am Arbeitsplatz und im Privatbereich. Es ist eine Politik der kleinen, aber wirksamen Schritte, die hier gefahren wird. Und sie zeigt Erfolge. So wurde unter anderem erreicht, dass die Herstellung von Gratis-Tagesportionen von Säuglingsanfangsnahrung 2004 eingestellt wurde. Derartige Proben verführten manche Mütter in der Vergangenheit dazu, den Weg des Stillens erst gar nicht einzuschlagen, sondern die Säuglinge gleich ans Fläschchen zu gewöhnen.
Weitere thematische Schwerpunkte des Symposiums beschäftigen sich mit der Frage, welchen Einfluss das Stillen auf Infektionen und die Entwicklung von Allergien, von Übergewicht oder von Diabetes mellitus bei Kindern hat: Stillen ist kein Allheilmittel und bietet keinen absoluten Schutz, aber gestillte Kinder erkranken seltener an Infektionen der oberen Luftwege und des Magendarmtraktes. Langjährige Beobachtungen deuten darauf hin, dass Muttermilch durchaus in gewissem Umfang vor Allergien schützen kann und dass Stillen das Risiko für Fettleibigkeit vermindert. Gestillte Kinder haben außerdem ein geringeres Risiko an Diabetes mellitus Typ 1 zu erkranken.
Auch die Frage, wann kranke Mütter ihr Kind aus gesundheitlichen Gründen nicht stillen sollten, wird auf dem Symposium diskutiert. Nur sehr wenige Erkrankungen werden als Stillhindernis betrachtet: Mütter mit einer Hepatitis-C-Infektion etwa, können nach Meinung der Experten durchaus stillen. Anders HIV-infizierte Mütter: Sie sollten nicht stillen. Betroffene Mütter sollten in jedem Fall qualifizierte Beratung einholen.
Auch kranke und unreife Kinder sollten nach Möglichkeit in den Genuss von Muttermilch kommen. Dazu bedarf es besonderer Anstrengungen des Personals in den Entbindungskliniken.
Quelle: Berlin [ bfr ]