Zunehmende Falscheinnahme von Antibiotika nicht nur in der Schweiz ein Problem
Repräsentative Umfrage zur Einstellung gegenüber der Antibiotikaresistenz.
Die Schweizer Bevölkerung nimmt zwar das Problem der Antibiotikaresistenz heute stärker wahr als vor vier Jahren und ist etwas besser darüber informiert. Doch gleichzeitig bereitet ihr das Thema heute weniger Sorge, und die Falscheinnahme von Antibiotika hat zugenommen. Dies hat eine repräsentative Umfrage des Forschungsinstituts gfs.bern im Auftrag des Nationalen Forschungsprogramms "Antibiotikaresistenz" ergeben.
64 Prozent der Schweizer Bevölkerung haben von der Problematik der Antibiotikaresistenz gehört. Noch mehr kennen die richtigen Ursachen, wenn ihnen der Begriff erklärt wird: Etwa 85 Prozent der Leute machen den unnötigen Einsatz und die falsche Einnahme von Antibiotika für die Zunahme des Resistenzproblems verantwortlich. Für etwa 79 Prozent ist mangelnde Spitalhygiene mitschuldig.
Damit hat sich die Wahrnehmung und der Wissensstand der Schweizer Bevölkerung gegenüber des Antibiotikaresistenz-Problems seit 2003 verbessert, wie eine repräsentative Umfrage1 des Forschungsinstituts gfs.bern bei 1226 Personen ergeben hat, die in der zweiten Hälfte April 2007 durchgeführt wurde. Im Jahr 2003 hatten erst 54 Prozent der Befragten das Problem wahrgenommen. Seither ist auch der Anteil jener gestiegen, welche die Antibiotikaresistenz spontan mit einem Wirkungsverlust in der Humanmedizin in Verbindung bringen (2003: 25%, 2007: 34%). Statt der Einsatzhäufigkeit und der falschen Einnahme von Antibiotika wurden 2003 eher Nahrungsmittel, die mit Antibiotika oder resistenten Bakterien belastet sind, als Ursache betrachtet (2003: 80%, 2007: 76%). Auch die Spitalhygiene wurde seltener als wichtige Ursache genannt (71%).
Gleichzeitig mit der verbesserten Wahrnehmung ist jedoch die Sorge um die Antibiotikaresistenz von 72 auf 66 Prozent gesunken und der Anteil der Gleichgültigen von 11 auf 18 Prozent gestiegen. Dies hat sich auf die Antibiotikaeinnahme ausgewirkt: Haben 2003 erst 4 Prozent angegeben, die verschriebenen Antibiotika falsch eingenommen zu haben, so sind es 2007 bereits 11 Prozent. Mit Hilfe einer Regressionsanalyse haben die Meinungsforscher nachgewiesen, dass die Sorge um das Thema einen Einfluss auf die Art und Weise der Antibiotikaeinnahme hat: Wer besorgter ist, hält sich eher an die Einnahmevorschriften. "Die Emotionalität des Themas ist seit 2003 gesunken, was zu einer häufigeren Falscheinnahme von Antibiotika geführt hat", folgert der Studienleiter Lukas Golder.
Grosse Defizite im Tessin
Am stärksten wird die Falscheinnahme von Antibiotika jedoch von der Sprachregion bestimmt. Im Tessin haben stattliche 34 Prozent der Befragten angegeben, die Einnahmevorschriften missachtet zu haben (Deutschschweiz: 12%, Romandie: 4%). Gleichzeitig ist im Tessin die Wahrnehmung des Resistenzproblems mit 22 Prozent klar unterdurchschnittlich, und der Anteil der Gleichgültigen mit 42 Prozent überdurchschnittlich hoch. "Im Tessin bestehen die grössten Defizite im Umgang mit Antibiotika", folgern die Studienautoren.
Die Umfragen zur Wahrnehmung und zur Einstellung der Bevölkerung zum Thema "Antibiotikaresistenz" in den Jahren 2003 und 2007 wurden im Auftrag des Nationalen Forschungsprogramms "Antibiotikaresistenz" (NFP 49) durchgeführt. Ziel war es, den Informationsstand und die Einstellung der Bevölkerung zur Antibiotikaresistenz sowie die Kommunikationswirkung des NFP 49 zu messen. Die Studienautoren attestieren dem NFP 49 eine gewisse kognitive Wirkung. Die Emotionalität des Themas sei jedoch nicht gesteigert worden. "Eine Sensibilisierungskampagne zu führen, liegt außerhalb der Möglichkeiten eines NFP", sagt Jean-Claude Piffaretti, Präsident der Leitungsgruppe des NFP 49. Hauptaufgabe des Programms war es vielmehr, wissenschaftliche Grundlagen und Lösungsvorschläge für ein besseres Antibiotikaresistenz-Management in der Schweiz zu erarbeiten.
Sensibilisierung der Bevölkerung dringlich
"Doch eine stärkere Sensibilisierung der Bevölkerung für das Thema ist dringlich", sagt Piffaretti. Dies hat kürzlich auch der European Academies Science Advisory Council (EASAC), ein Zusammenschluss der nationalen Wissenschaftsakademien der Europäischen Union (EU), in einem Bericht2 festgehalten. Denn während 59 Prozent der Befragten glaubt, die moderne Medizin werde das Problem der Resistenzen dank immer neuer Behandlungsmethoden im Griff behalten, rechnet der EASAC damit, dass die Antibiotikaresistenz in Europa immer mehr Todesfälle fordern wird. Auch in der Schweiz ist die moderne Medizin in manchen Fällen bereits heute machtlos: Die Antibiotikaresistenz fordert etwa 80 Menschenleben pro Jahr, wie die ersten Resultate des im NFP 49 entwickelten Monitoringsystems ergeben haben.
- Zunehmende Falscheinnahme von Antibiotika trotz verstärkt wahrgenommener Resistenzproblematik Schlussbericht zur Evaluation der Kommunikation zur Antibiotikaresistenz im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms "Antibiotikaresistenz" (NFP 49) Lukas Golder, Monia Aebersold, Stephan Tschöpe, Silvia Ratelband-Pally Die Studie ist im pdf-Format erhältlich unter: www.gfsbern.ch
- Tackling antibacterial resistance in Europe EASAC policy report, June 2007 Der Bericht ist im pdf-Format herhältlich unter: www.easac.eu
Quelle: Bern [ snf ]