Jeder vierte Autofahrer sitzt übermüdet am Steuer
Jeder vierte schwere Autounfall in Deutschland ereignet sich infolge des sogenannten "Sekundenschlafs". An der Universitäts-Augenklinik Tübingen entwickelte die Arbeitsgruppe Pupillenforschung einen Test zur Messung der Schläfrigkeit von Kraftfahrern. Aktuelle Studienergebnisse zeigen, "dass jeder vierte Autofahrer zu müde hinter dem Steuer sitzt", mahnte PD Dr. Barbara Wilhelm von der Tübinger Universitäts-Augenklinik auf der 105. Jahrestagung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) in Berlin.
Wer am Steuer gähnt, sich die Augen reibt, sich streckt und schlechte Laune bekommt, sollte diese Frühwarnzeichen ernst nehmen: am besten hilft ein Kurzschlaf und vorher eine Tasse Kaffee - diese wirkt erst nach 15 bis 20 Minuten. Doch viele Fahrer überschätzen ihre Fahrtauglichkeit und reagieren nicht rechtzeitig auf eindeutige Alarmsignale. "Die Müdigkeit ist nicht das Problem, sondern deren richtige Einschätzung. 99 Prozent der Menschen merken, dass sie müde sind. Doch wie nahe sie am Sekundenschlaf sind, merken sie nicht. Denn das Ausmaß der Müdigkeit entgeht unserer Wahrnehmung". Dr. Barbara Wilhelm von der Arbeitsgruppe Pupillenforschung an der Universitäts- Augenklinik Tübingen entwickelte mit ihrer Arbeitsgruppe den sogenannten pupillographischen Schläfrigkeitstest (PST), der in mehreren Studien an Autobahnraststätten eingesetzt wurde. Das Fazit dieser Studien: zu viele Fahrer sitzen übermüdet am Steuer, einige schliefen sogar während des Tests ein.
Nur 43 Prozent der Fahrer sind hellwach.
Absolut alarmierend sind die Ergebnisse der aktuellsten deutschen Studie, unterstützt vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, die Barbara Wilhelm auf der Berliner Tagung präsentiert. 63 Autofahrer wurden an einer deutschen Autobahnraststätte für den freiwilligen Müdigkeitstest zufällig ausgewählt. Sie sollten während der elfminütigen Messung in einem völlig abgedunkelten Raum in die Richtung eines Lichtes in der Öffnung einer Infrarot-Kamera blicken. Die Bewegungen der Pupille - ein Maß der Müdigkeit - wurden automatisch ausgewertet und in drei Kategorien aufgeteilt: normal, grenzwertig und auffallend schläfrig. Außerdem füllten die Probanden einen Fragebogen aus, in dem sie über ihre Wach-, Schlaf- und Fahrzeit, die gefahrene Strecke, den Kaffee- und Nikotinkonsum, sowie ihre subjektiv gefühlte Schläfrigkeit Auskunft gaben.
Das Fazit: nur 43 von 100 Autofahrern waren normal wach, jeder dritte an der Grenze zur Übermüdung, jeder vierte auffallend schläfrig.
Auffällig schläfrigen Fahrern empfahlen die Untersucher eine kurze Schlafpause von 15 Minuten, die dafür zu Verfügung stehenden Motelräume nahm indes keiner der betroffenen Fahrer in Anspruch.
"Müdigkeit als Unfallrisiko wird von den meisten Fahrern gefährlich unterschätzt", resümmiert Wilhelm.
Ebenso beunruhigend sind die Ergebnisse der bisher größten Studie zum Thema Verkehr und Müdigkeit in Österreich. Von September 2005 bis August 2006 wurde im Land Oberösterreich die Schläfrigkeit von 1180 LKW- und Busfahrern mit Hilfe des Pupillographischen Schläfrigkeitstests gemessen. Weniger als die Hälfte der Kraftfahrer war bedenkenlos fahrtauglich, 30 Prozent waren nur bedingt fahrtauglich, jeder fünfte war zu müde, ein Fahrzeug zu lenken. Die
Lenk- und Ruhezeiten der LKW-Fahrer werden zwar mit dem Fahrtenschreiber kontrolliert, doch "der Fahrtenschreiber überprüft lediglich die Arbeitszeit des Fahrzeugs, nicht aber die des Lenkers", gibt Dipl. Ing. Robert Hagen, Unfallsachverständiger und Projektleiter der österreichischen Pupillomat-Studie zu bedenken. Wenn ein Fahrer etwa Nebenjobs annehme, könne die tatsächliche Arbeitszeit von der "offiziellen" deutlich abweichen. Der Einsatz des Pupillomaten soll in Österreich, ähnlich wie der des Alkomaten, gesetzlich verankert werden.
Verfahren in der Warteschleife.
"Im Interesse der Sicherheit auf deutschen Straßen besteht dringender Handlungsbedarf, doch die entsprechende Gesetzesgrundlage wurde noch nicht geschaffen", bedauert Wilhelm. Immerhin werden die Anlagen 4 und
5 der Fahrerlaubnisverordnung derzeit geändert. Bei der Erteilung und der Erneuerung des Führerscheins soll in Zukunft auch die Tagesmüdigkeit erfragt und gemessen werden.
"In der Zukunft wird der Gesetzgeber - analog zum Sehvermögen - hier genau angeben müssen, wie die Tagesschläfrigkeit gemessen werden soll.
Auf subjektive Verfahren allein kann man sich nicht verlassen, wenn es um den Führerschein geht", so Wilhelm.
Dass Schläfrigkeit das Unfallrisiko erhöht, ist einleuchtend. Bevor jedoch die Pupillographie in Deutschland bei Verkehrskontrollen eingesetzt werden kann, gilt es noch justitiable Grenzwerte anhand genauerer Untersuchungen zu ermitteln. "Doch dafür sind momentan keine Fördermittel vorhanden."
Quelle: Berlin [ DOG ]