Essverhalten zwischen Vernunft und Emotion: warum, Verbraucher anders essen, als sie sich ernähren sollten
Angela Schilling Schmitz berichtet vom Jahresmeeting 2008 des IVBFF: Ein Vortrag von Prof. Dr. Volker Pudel, Universität Göttingen
„Gesunde Ernährung“ ist in letzter Zeit auch zum zentralen Thema der Politik geworden, da ernährungsabhängige Krankheiten - insbesondere das Übergewicht - das Gesundheitssystem erheblich belasten und die Lebensqualität mindern. Die geplanten Maßnahmen der Regierung zielen vor allem auf bessere Information der Verbraucher, damit sie das Wissen haben, um so zu essen wie sie sich ernähren sollten. Doch mit Information wird dieses Ziel nicht erreicht werden. Das Essverhalten wird nicht durch kognitive Information, sondern durch erlebtes Training beeinflusst.
„Die Ernährungsaufklärung der letzten 50 Jahre hat leider nicht erreicht, dass sich die Ernährung verändert hat. Aber viele Menschen essen heute das, was sie essen, mit einem schlechten Gewissen“, erklärt der Ernährungspsychologe. „Die Ernährungsaufklärung hat den Kopf, nicht aber den Bauch erreicht.“ Menschliches Essverhalten ist jedoch ein überwiegend emotional gesteuertes Verhalten, das sich nur durch Wissen kaum beeinflussen lässt.“
So zeigt eine bevölkerungsrepräsentative Erhebung zu den beiden Begriffen „Ernährung“ und „Essen“, dass diese nicht synonym verwendet werden. Auf die Frage „Worauf legen Sie bei Ihrer Ernährung besonderen Wert?“ antworteten 75% der Bevölkerung mit Begriffen wie Kalorien, Fett, abwechslungsreich oder nicht dick werden. Mit dem Begriff „Essen“ assoziieren die Menschen hingegen emotionale Aspekte wie Geschmack oder Ambiente.
Eine repräsentative Erhebung Prof. Pudels bei 2.900 Familien konnte schon vor mehr als 20 Jahren zeigen, dass die Ernährungsaufklärung in Deutschland Wirkung hat. Den Kindern wurden 32 Kärtchen mit Lebensmittelphotos mit der Aufgabe vorgelegt, alle jene Lebensmittel heraus zu suchen, die „gesund sind“ und „stark machen“, dann jene zu suchen, die „dick machen“ und „nicht gesund“ sind. Diese Aufgabe lösen deutsche Kinder treffsicher. So bewerten sie z.B. Vollkornbrot mit Essverhalten zwischen Vernunft und Emotion: warum, Verbraucher anders essen, als sie sich ernähren sollten „gesund“ und „macht stark“, Schokolade „macht dick“ und ist „nicht gesund“. Allerdings mögen sie die „gesunden“ Lebensmittel nicht, während sie die „ungesunden“ Lebensmittel gerne mögen.
Die Ernährungsaufklärung mit Ge- und Verboten erzielt ein Wissen bei den Kindern, erreicht aber das Gegenteil. Die kognitive Ernähungsaufklärung leidet darunter, dass sie einen zu hohen „Belohungsaufschub“ verlangt“
„Wenn die Mutter ihrer 6-jährigen Tochter sagt: „Du musst Milch trinken, damit Du, wenn Du so alt bist wie Oma, nicht an Osteoporose leidest“, erklärt der Ernährungsexperte, „dann ist diese Aufforderung richtig, aber wirkungslos. Die Mutter verlangt über 50 Jahre Belohnungsaufschub!“
Die Ernährungswissenschaft erforscht den Nährstoffbedarf des Organismus; es sind jedoch die Bedürfnisse, die als Motive auf das Essverhalten einwirken.
„Ernährung und Gesundheit“ ist für Menschen, die sich gesund fühlen und gut essen wollen, kein Thema. Der „kluge“ Verbraucher antwortet auf die Frage, wie möchten Sie essen: „Gut und gesund“ - im Zweifel entscheidet er sich jedoch für gut.
Unsere Ernährungsprobleme resultieren aus der Diskrepanz zwischen Bedarf und Bedürfnis.
Die Forschung der letzten 15 Jahre hat die Einflüsse der Evolution auf das Essverhalten und die Gewichtsregulation des Körpergewichts bestätigt. So gibt es „gute“ und „schlechte Futterverwerter“.
Mit einer großen Adoptionsstudie konnte bewiesen werden, dass zwischen dem Gewicht früh adoptierter Kinder und ihren Adoptiveltern kein Zusammenhang zu finden war, wohl aber zwischen dem ihrer biologischen Eltern. Inzwischen bestätigen auch viele Zwillingsstudien, dass von einer Veranlagung zum Übergewicht ausgegangen werden muss.
Verstärkt wird die Entwicklung einer positiven Energiebilanz in der modernen Gesellschaft durch den Überfluss an Nahrung bei gleichzeitig vorherrschender Immobilität.
Der reduzierte Energieverbrauch ist einer der Hauptfaktoren für die Entwicklung des Übergewichtes, insbesondere auch bei Kindern und Jugendlichen.
Breit angelegte Studien konnten zeigen, dass die Nährstoffrelation, also das Verhältnis von Fett zu Kohlenhydraten, mit dem Körpergewicht in Zusammenhang steht. Übergewichtige (Erwachsene und Jugendliche) verzehren mehr Fett-, aber weniger Kohlenhydratkalorien als Normalgewichtige. Da Fett einen geringen Sättigungswert hat und wenig Volumen auf den Teller bringt, entsteht mit diesem „Kalorien-Mix“ schnell eine positive Energiebilanz. Hinzu kommen gute Vorsätze, denen sich Menschen unterwerfen, um ihr Essverhalten günstig zu verändern. Dabei wird häufig auf „Alles-oder-Nichts-Vorsätze“ gesetzt, wie z.B. „Ich esse nie mehr Schokolade“, die allerdings bei der geringfügigsten Verletzung in sich zusammenbrechen. „Jetzt ist es auch egal“, denkt der Mensch, wenn er auch nur ein Stückchen Schokolade verzehrt hat, und fällt in sein gewohntes Verhalten zurück.
Quelle: Heidelberg [ IVBFF ]