Nitrofen-Ermittlungen werden eingestellt

Foodwatch kritisiert: Sprüche statt Taten

Die Staatsanwaltschaft hat foodwatch mit Schreiben vom 29.3.2004 mitgeteilt, dass die Ermittlungen aufgrund unserer Strafanzeige gegen die Firmen NSP und HaGe Nordland eingestellt worden sind. Wie befürchtet, ist am 14.4. nun auch offiziell die Einstellung des Nitrofen-Verfahrens öffentlich bekannt gegeben worden. Warum wieder einmal ein Futter- und Lebensmittelskandal ungesühnt bleibt, lesen Sie hier.

Im Folgenden geht foodwatch auf die Argumentation der Staatsanwaltschaft ein, die auch als PDF-Dokument am Ende dieses Artikels im Orginal abrufbar ist. Wer sich die Stationen des Nitrofen-Skandals noch einmal ins Gedächtnis rufen möchte, sollte vorher das foodwatch Nitrofen-Dossier lesen, oder sich die zusammenfassende Grafik ansehen [1].

Staatsanwaltschaft: Damit es zu einem Strafverfahren kommen kann, muss nach gegenwärtiger Rechtslage nachgewiesen werden, dass die menschliche Gesundheit konkret gefährdet worden ist (§ 20 Abs.1 Futtermittelgesetz (FMG) und § 51 Abs. 1 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG). Eine derartige konkrete Gefährdung konnte nicht nachgewiesen werden.

foodwatch Kommentar: Eine solche konkrete Gefährdung kann - selbst bei einer vielfachen Überschreitung von Grenzwerten - praktisch kaum nachgewiesen werden, weil die Gifte sich im Fettgewebe anreichern (bioakkumulativ sind) und langfristig wirken. Putenfleischproben waren bis zum 600-fachen über dem zulässigen Grenzwert mit Nitrofen belastet.

Staatsanwaltschaft: Die strafrechtliche Ahndung lediglich wegen Überschreitung von Grenzwerten ist nur möglich, wenn sich Vorsätzlichkeit nachweisen lässt (§ 52 Abs. 1 LMBG in Verbindung mit § 1 Abs. 6 Rückstandshöchstmengenverordnung). Hierfür reicht aus, dass der Täter die Gesundheitsgefährdung billigend in Kauf nimmt, also trotz Kenntnis der Gefährdungssituation handelt. Für eine solche Art des Vorsatzes hat die Staatsanwaltschaft keine hinreichenden Beweise gefunden.

foodwatch Kommentar: Die Begründung der Staatsanwaltschaft ist nicht nachvollziehbar - dass eine konkrete Verunreinigung vorlag, haben mehrere Gutachter nachgewiesen. Die Verunreinigung war auch ohne Schwierigkeiten wahrnehmbar. Zum einen war der mit Pflanzenschutzmitteln kontaminierte Bereich in der Halle abgegrenzt, zum anderen war die offensichtliche Verunreinigung als deutliche Geruchsbelästigung wahrnehmbar. Wenn selbst Anwohnern bekannt war, dass die Halle eine lange Geschichte als Lager für Pflanzenschutzmittel hatte, dürfte auch der Firmenleitung oder leitenden Angestellten nicht verborgen geblieben sein, welches Gefährdungspotenzial von der Lagerstätte ausging. Zumindest hätten sie sicherstellen müssen, dass für die Futtermittel keine Kontaminationsgefahr droht.

Staatsanwaltschaft: Das Umweltstrafrecht greife auch nicht, weil nitrofen-haltiges Getreide nicht als "objektiver Abfall" (Zitat Staatsanwaltschaft, Schreiben vom 29.03.2004) anzusehen sei. Es ist nämlich erlaubt, nitrofen-haltiges Getreide weiterzuverarbeiten. Darunter fällt auch das Vermischen mit unbelastetem Getreide, sodass die Konzentrationen unter den zulässigen Grenzwert sinken können.

foodwatch Kommentar: Das Nitrofen–Getreide gilt objektiv nicht als Abfall, obwohl es im vorliegenden Fall als "Sondermüll" entsorgt werden musste. Nachdem die Firma NSP zunächst einen kostengünstigen Entsorger in Dänemark angefragt hatte, musste nach Ablehnung der dänischen Behörden die Verbrennung in einem Heizkraftwerk in Demmin durchgeführt werden. Die Verbrennung und anschließende Entsorgung der Asche auf einer Deponie in Ihlenberg wurde von der zuständigen Behörde, dem "Staatlichen Amt für Umwelt und Natur Neubrandenburg" (StAUN), überwacht.

Staatsanwaltschaft: Es liegt Fahrlässigkeit vor und damit kein strafbewehrter Vorgang. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb das Verfahren an die zuständigen Verwaltungsbehörden übergeben. Diese sollen prüfen, ob eine Ordnungswidrigkeit vorliegt.

foodwatch Gesamteinschätzung:

Nach dem Nitrofen Skandal versprach die Politik Abhilfe. Renate Künast erklärte am 6. Juni 2002 vor dem Deutschen Bundestag:

„Eines sage ich aber ganz klar: Die Verursacher sind der Kern des Problems. Das sind die, die schnöde ihren Profit über die Sicherheit von Lebensmitteln und die Gesundheit der Verbraucher gestellt haben. Das ist ganz eindeutig kein Kavaliersdelikt, auch wenn es mancherorts so behandelt wurde. Das muss nicht nur aufgeklärt, das muss auch bestraft werden.“

Wie so oft, ist es bei der Ankündigung geblieben. Passiert ist praktisch nichts. Nur die Meldepflichten wurden etwas verschärft. Nötig ist jedoch Vorbeugen, und nicht nur das schnellere Melden von Skandalen.

Die Begründung der Staatsanwaltschaft legt die völlig unbefriedigende rechtliche Situation bei Lebens- und Futtermittelskandalen offen. Der Nachweis für eine vorsätzliche Tatbegehung erweist sich sehr häufig als schwierig; überdies liegen konkrete Gefährdungssituationen bei langfristig und kumulativ wirkenden gesundheitsgefährdenden Stoffen vielfach nicht vor. Deshalb werden solche Verstöße - wenn überhaupt – als Ordnungswidrigkeit mit sehr geringen Bußgeldern (Höchstbetrag nach geltendem Recht 25.000 Euro!) verfolgt, die in keinem Verhältnis zu den gesundheitsgefährdenden Auswirkungen eines solchen Vorfalles auf den Verbraucher sowie dem wirtschaftlichen Wert der betreffenden Ware stehen. Im gegenwärtigen Fall ging es um mindestens 1.500 Tonnen Getreide mit einem geschätzten Wert von etwa 200.000 Euro. Eine ordnungsgemäße Entsorgung dieses Getreides beinhaltet nicht nur den Warenverlust, sondern zusätzlich hohe Entsorgungskosten. Es bestehen also keine wirkungsvollen Abschreckungsmechanismen.

Erforderlich sind eine bessere Selbstregulierung der Branche und eine wirkungsvolle Abschreckung (Bußgelder/Strafbewehrung), einschließlich effektiver Haftungsregeln. Schärfere Kontrollen und Meldepflichten allein reichen nicht aus, weil aufgedeckte Verstöße in der Praxis bisher ohne gravierende Folgen für die Unternehmen geblieben sind.

Ein Fall wie Nitrofen kann sich jederzeit wiederholen, solange die Regierung nicht das gesetzliche Eingriffs- und Sanktionsinstrumentarium verschärft. Auch handelt es sich nicht, wie auch manchmal von der Politik behauptet, bei solchen Fällen um "mafiöse Strukturen". Es geht nicht um organisierte Kriminalität, sondern darum, dass Ereignisse wie Nitrofen anschaulich machen, wie normal der Wahnsinn in der Futtermittelbranche ist: Es ist diese Normalität, die zu solchem Handeln einlädt.

foodwatch Forderungen:

    • Futtermittel müssen Lebensmitteln rechtlich gleichgestellt werden.
    • Die (Straf-)Vorschriften für die Lagerung und den Transport von Futtermitteln müssen präzisiert werden.
    • Die Bußgelder müssen drastisch angehoben werden.
    • Das fahrlässige Inverkehrbringen kontaminierter Lebensmittel, das bislang lediglich bußgeldbewehrt ist, muss als Straftatbestand ausgestaltet werden und folglich mit Geld- und/oder Freiheitsstrafe bewehrt werden.
    • Außerdem muss das zivilrechtliche Haftungsregime verschärft werden, damit die Unternehmen zum Abschluss entsprechender Versicherungen mit hohen Prämien gezwungen werden.

Zu den foodwatch-Nitrofen-Seiten kommen Sie [hier].

Quelle: Berlin [ foodwatch ]

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