Medienfreiheit und Verbraucherschutz – und wie sie sich miteinander vereinbaren lassen

Eine Rede von EU-Kommissar David Byrne beim Medienforum NRW Köln vor dem Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger am 21 Juni 2004

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich freue mich, dass der Bundesverband der deutschen Zeitungsverleger mich eingeladen hat, heute zu Ihnen zu sprechen. Ich weiß, dass eine Reihe von europäischen Initiativen, für die ich verantwortlich zeichne, Besorgnis in einigen Bereichen der deutschen Medien ausgelöst hat. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Initiativen gut begründet sind und die Gesundheit und das Wohlbefinden der europäischen Bürger fördern werden.

Verbraucherschutz versus Medienfreiheit?

Sie haben mich gebeten, eine Rede unter dem Titel „Medienfreiheit gegen Verbraucherschutz“ zu halten. Dieser Titel impliziert, dass es dabei zu einem Aufeinanderprallen von zwei sich widersprechenden und unvereinbaren Kräften kommt. Während ich natürlich anerkenne, dass dies eine anregende Überschrift ist, würde ich dennoch davor warnen, zu vereinfachen, was in Wirklichkeit eine sehr komplexe Debatte ist. Deshalb habe ich meine Recht auf Redefreiheit ausgeübt und einen Untertitel hinzugefügt: „und warum sie vereinbar sind“.

Lassen Sie mich anfangen, in dem ich die gemeinsame Basis, die wir haben, unterstreiche. Genauso wie Sie glaube ich an die fundamentale Bedeutung von Medienfreiheit. Eine freie Presse hilft sicherzustellen, dass Regierungen – und europäische Kommissare – für ihre Taten verantwortlich gehalten werden. Ohne freie und unabhängige Medien gibt es keine Debatte, keine Verantwortlichkeiten und folglich keine Demokratie.

Aus dieser Perspektive gesehen, kommt eine Bedrohung der Medienfreiheit einer Bedrohung der Demokratie gefährlich nahe. Damit steht viel auf dem Spiel. Aber ist es wirklich dies, was wir sehen, wenn wir uns die europäische Verbraucherschutzpolitik ansehen?

In keinster Weise. Keine der EU-Politiken oder Initiativen auf diesem Gebiet greift in die redaktionelle Freiheit der Medien ein. Keine von ihnen stört die Freiheit von Journalisten, Geschichten zu recherchieren oder zu berichten. Keine von ihnen versucht, Programme im Fernsehen oder Rundfunk zu kontrollieren.

Versucht die Kommission zu verhindern, dass Journalisten ihre Arbeit tun, indem sie Informationen versteckt? Im Gegenteil! Der wissenschaftliche Rat und die Expertenberichte, auf denen die Kommission ihre Verbraucherschutzpolitik basiert, werden routinemäßig auf dem Internet veröffentlicht. Dokumentation und Tagesordnungen der zahlreichen Ausschusssitzungen, die wir mit den Beamten der Mitgliedstaaten haben, werden routinemäßig auf dem Internet veröffentlicht. In den letzten 5 Jahren haben meine Pressesprecher zahlreiche Pressemitteilungen herausgegeben und ich selbst habe auf Dutzenden von Pressekonferenzen gesprochen und viele Medieninterviews gegeben.

So woher stammt die Anschuldigung, dass EU-Verbraucherschutzpolitik die Medienfreiheit einschränkt? Was wird uns vorgeworfen? Einfach gesagt, dass unsere Politiken die Freiheit von Werbetreibenden und Marketingfachleuten einschränken können. Dass sie den verfügbaren Werbekuchen verkleinern, und somit zu einer Verringerung der Einnahmen von Medienunternehmen führen. Und deshalb die Medien in ihrer Freiheit und Gestaltungskraft limitieren. Dies ist nun eine stark vereinfachte Gedankenkette – aber mein Verdacht ist, dass die Diskussion, die ich in den letzten Jahren besonders in Deutschland zu diesem Thema miterlebt habe, so vereinfacht abläuft. Aber eine derartige Vereinfachung funktioniert nicht immer, noch ist sie immer zwangsläufig wahr!

Ich akzeptiere natürlich, dass Werbung und Marketing eine positive Rolle in der Wirtschaft spielen können. Sie sind manchmal sogar von entscheidender Bedeutung, wenn neue Marktteilnehmer die Alteingesessenen herausfordern, was – im Rahmen des Binnenmarktes der EU – sie zu einer treibenden Kraft für wirtschaftliche Integration und Wettbewerbsfähigkeit machen kann.

Aber kein Land in der EU gewährt Unternehmen uneingeschränkte "freie gewerbliche Sprache". Deutschland tut dies sicher nicht.

Ihr Land hat einige sehr detaillierte Regeln über Marketingpraktiken, die Unternehmen verwenden dürfen. Einige basieren auf EU-Gesetzgebung, einige sind nationale Rechtsvorschriften. Zum Beispiel haben Sie Regeln darüber, wie Angaben über Preisnachlässe und Rabatte geltend gemacht werden. Sie haben Regeln, wenn Geschäfte Sonderverkäufe machen können. Sie haben Regeln für die Werbung im Fernsehen, Rundfunk und in den Printmedien.

Alle Mitgliedstaaten der EU regeln Werbung und Marketing. Welches der Hauptgrund ist, warum wir von Zeit zu Zeit EU-Regeln brauchen. Unterschiedliche nationale Regeln können – und manchmal tun sie dies auch ganz praktisch –Handelsschranken innerhalb des Binnenmarktes der EU schaffen und verzerren damit den Wettbewerb. In einigen Fällen sind Wirtschaftsorganisationen an der vordersten Front derjenigen gewesen, die gemeinsame EU-Regeln fordern. Sie werden es vielleicht nur schwerlich glauben, wenn man die Art und Weise betrachtet, in der die deutschen Medien die Geschichte berichtet haben, aber es gibt tatsächlich europäische Lebensmittelunternehmen, die unseren Vorschlag zu EU-Gesetzgebung über gesundheits- und nährwertbezogene Angaben unterstützen. Und tatsächlich – im Großen und Ganzen unterstützen ihn auch die Medien außerhalb Deutschlands.

Vor einigen Jahren spielten die Medien in Deutschland und anderen EU-Ländern eine zentrale Rolle dabei, Lebensmittelsicherheit an die Spitze der politischen Tagesordnung zu setzen. Sie fragten, ob Landwirtschaftsministerien in Deutschland und anderen Ländern genug taten, Verbraucher vor der neuartigen Creutzfeld-Jakob Krankheit zu schützen, die mit BSE verknüpft wird. Dies war ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass Medien ihrer Arbeit in einer Demokratie nachkommen, indem sie die Regierung verantwortlich halten. Es war auch in ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie Medien manchmal eine starke Kraft zugunsten des Verbraucherschutzes sein können. Der politische Druck, der dadurch entstand, zwang nationale Regierungen und die EU, zu handeln.

Während der BSE-Krise verlangten die Medien stärkere Verordnungen für Schlachthäuser, Tierbeseitigungsanlagen und Tierfutterproduzenten, um Verbraucher zu schützen. Sie haben sie erhalten. Seit den späten neunziger Jahren hat die EU ein ganzes Bündel von Gesetzen verabschiedet, die die Produktionsbedingungen in diesen Sektoren verschärfen. Vor kurzem äußerten die Medien die Bedenken europäischer Verbraucher über genetisch veränderte Nahrung und verlangten striktere Gesetze zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit. Im Jahre 2003 erhielten Sie diese ebenfalls.

Jedoch, und ist ein ernsthafter Punkt, wenn die Medien meinen, dass ihre Interessen beeinträchtigt werden, wirkt sich dies auf die Art und Weise der Berichterstattung aus. Medien fungieren als Lobbyisten in eigener Sache und damit gehen manchmal Objektivität und Ausgewogenheit verloren. Während ich verstehe, warum dies geschieht, existiert dennoch unter diesen Umständen die Gefahr, dass die Medien eher zu einem Hindernis für die demokratische Debatte als ein Förderer ihrer werden.

Und sogar, gelegentlich, riskieren, den Verbraucher in die Irre zu führen – ihre eigene Leserschaft.

In diesen Fällen wird es sehr schwierig, neutrale und objektive Informationen über einen Politikvorschlag Verbrauchern und anderen Interessengruppen zu vermitteln. Zum Beispiel bin ich mir sicher, dass viele deutsche Verbraucher meinen, unser Vorschlag zur Regelung von gesundheitsbezogenen Angaben verbietet Lebensmittelwerbung – und dass Tausende neuer Bürokraten beschäftigt würden, um die Werbung zu untersuchen. Nichts davon ist wahr. Ich erinnere mich, dass ich schon vor ungefähr einem Jahr dementierte, dass ein populärer Slogan wie "Haribo macht Kinder froh" verboten wird. Dennoch wird dies wieder und wieder als eine sehr wahrscheinliche Möglichkeit in vielen Artikeln wiederholt – die Nuancierung der Berichterstattung hängt von der Agenda und dem Interesse der jeweiligen Medien ab.

Ich akzeptiere, dass Medien als Lobbyisten agieren. Aber wenn Sie meinen, – so wie ich dies tue, – dass die Medien eine wesentliche Rolle im demokratischen Prozess zu spielen haben, dann müssen sie die Verantwortlichkeiten anerkennen, die dies bringt. Manchmal muss ihre öffentliche Verpflichtung über ihren privaten Interessen Vorrang haben.

Verbraucherschutz versus persönliche Freiheit?

Wenn wir annehmen, dass die EU unter gewissen Umständen das Recht hat, Werbung und Marketing zu regeln, bleiben doch noch mehrere sehr legitime Fragen offen:

    • Ist die Art und Weise wie die Kommission versucht hat, die Werbung und das Marketing zu regeln, unverhältnismäßig?
    • Bedeutet es im Falle gemeinsamer EU-Regeln immer, die strikteste nationale Gesetzgebung zu nehmen und sie europaweit umzusetzen?
    • Versucht die Kommission, einen "Kindermädchenstaat" zu schaffen, indem Verbraucher behandelt werden wie Kinder und als unmündig angesehen werden?

Ich würde argumentieren, dass die Antwort auf alle diese Fragen "nein" ist. Die Kommission hat beim Setzen von EU Regeln auf den Druck reagiert, der durch unterschiedliche nationale Regeln verursacht wurde. Die Lösungen, die wir vorgeschlagen haben, basierten auf umfassender Konsultation mit den betroffenen Interessengruppen, einschließlich der Werbeindustrie und der Medien sowie Verbraucherorganisationen, NRO und anderen Beteiligten. Wo EU-Gesetze verabschiedet worden sind, sind sie das Ergebnis langer Debatten im Ministerrat und im Europäischen Parlament gewesen. Das endgültige Ergebnis reflektiert den Konsens, der unter direkt gewählten MdEP und politisch verantwortlichen nationalen Ministern erreicht wird. Dieser Konsens begünstigt gewöhnlich ein hohes Niveau des Verbraucherschutzes, aber nicht – nach meiner Ansicht – ein übermäßiges oder unverhältnismäßiges.

Wir schaffen sicher keinen „Kindermädchenstaat“. Noch packen wir immer noch eins drauf und versuchen, die EU-weit restriktivsten nationalen Gesetze anzuwenden. Um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Schweden verbietet die gesamte Werbung, die auf Kinder abzielt. Jedoch hat die Kommission nie vorgeschlagen, dass es ein EU-weites Verbot von solcher Werbung geben sollte.

Verbraucherschutz versus Werbung?

Ich wende mich nun dem zu, was die Kommission unternommen hat, um die Werbung im Namen des Verbraucherschutzes zu regeln. Ich möchte mit Ihnen drei wichtige Stücke der EU-Gesetzgebung in meiner Verantwortung untersuchen:

    1. Die Tabakwerberichtlinie
    2. Der Vorschlag für eine EU-Verordnung über Lebensmittelangaben
    3. Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken

Tabakwerberichtlinie

Mir wird gesagt, dass die deutschen Zeitungen "ernste Bedenken" über die Richtlinie über die Tabakwerbung haben, die im Mai letztes Jahr verabschiedet wurde.

Nun, auch ich habe ernste Bedenken über Tabakwerbung – und sogar Tabakgebrauch im Allgemeinen. Bedenken über die Anzahl von Gräbern – über 650.000 pro Jahr, – die verfrüht jedes Jahr wegen der Todesfälle europäischer Staatsbürger gefüllt werden, die an Krankheiten sterben, die mit dem Rauchen verbunden sind.

Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Tabakwerberichtlinie die breite Unterstützung aller Mitgliedstaaten außer Deutschland erhielt. Ich muss bekennen, dass ich noch immer die deutsche Haltung zu diesem Thema sehr schwer zu verstehen finde.

Tabakwerbung in deutschem Radio oder Fernsehen war als eine nationale Maßnahme schon verboten lange bevor die EU Tabakwerberichtlinie verabschiedet wurde.

Warum wurde dann gegen den EU Richtlinienentwurf so heftig opponiert, der dieses Verbot auf die Printmedien und das Internet ausweitete? Wo ist die intellektuelle Übereinstimmung hinter dieser Position?

Während ich anerkenne, dass das Werbeeinkommen für Zeitungen und Zeitschriften wichtig ist, besonders wenn das wirtschaftliche Klima schwierig ist, war doch trotzdem die Fortsetzung der gedruckten Werbung für Produkte, die Gesundheit von Verbrauchern schädigen, ziemlich einfach gesagt, moralisch und politisch untragbar. In den EU Ländern, in denen solche Werbung schon jahrelang verboten ist, ist die Presse noch sehr lebendig! Die Welt ist weitergegangen. Europa ist weitergegangen. Und Deutschland sollte weitergehen.

Und während ich akzeptiere, dass der Rückzug von Tabakwerbung wahrscheinlich keinen einzelnen Nikotinsüchtigen dazu bringen wird, aufzuhören zu rauchen, so bildet er doch einen wichtigen Teil unserer breiteren Bemühungen, Verbraucher, insbesondere junge Menschen, zu ermutigen, erst gar nicht anzufangen.

Er ist auch ein wesentlicher Bestandteil der "De-Normalisierung" des Rauchens – damit meine ich die zunehmende Reduzierung der sozialen Akzeptanz des Rauchens, die von der zunehmenden Förderung der Rechte von Nichtrauchern, den Rauch anderer nicht einatmen zu müssen, begleitet wird.

Somit stimmt das Verbieten der Tabakwerbung ganz mit unserem Hauptziel, dem Verbraucherschutz, überein.

Lebensmittelangaben

Ich werde mich jetzt dem Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über Lebensmittelangaben zuwenden, oder Gesundheits- und Nährwertangaben, die in bezug auf Lebensmittel geltend gemacht werden, um genauer zu sein.

Ich sollte es von Anfang an absolut klarmachen, dass Lebensmittelfragen und Tabakfragen ganz getrennt gesehen werden müssen. Man sollte nicht vom einen zum anderen leiten. Der Tabak ist das einzige gesetzliche Produkt, das den Verbraucher schädigt, wenn man es gemäß den Instruktionen der Hersteller verwendet. Im totalen Kontrast dazu ist Nahrung für das Leben von entscheidender Bedeutung.

Dieser Punkt kann Ihnen zu offensichtlich klingen, – aber er muss gemacht werden, weil einige Sie glauben lassen - obwohl falsch, - dass der starke Ansatz der Kommission zur Tabakkontrolle ein Vorläufer für drakonischere Maßnahmen ist, wie dem Verbot der Werbung für Alkohol, oder für bestimmte Lebensmittel und sogar für schnelle Autos! Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass die Kommission keine solchen Entwürfe in der Schublade hat. Wie ich schon sagte, ist es nicht die Absicht der Kommission, einen "Kindermädchenstaat" zu schaffen.

Deshalb werde ich Ihnen zuerst sagen, was der Vorschlag zu Lebensmittelangaben nicht tun wird:

    • Kein Produkt wird verboten werden.
    • Kein Produkt wird dämonisiert oder gezwungen werden, negative Botschaften zu tragen.
    • Keinem Produkt wird verboten werden, zu werben.

Wenn man betrachtet, was der Vorschlag tatsächlich tun wird, sollte ich zuerst ein allgemeines Sprachmissverständnis klären. Das Wort "Claim" im Englischen oder "Allegation" im Französischen hat eine sehr unterschiedliche Bedeutung von „advertising“ oder „publicité – Werbung also. Mir wird gesagt, dass die Unterscheidung im Deutschen nicht so klar ist. Eine „Angabe“, also „claim“ ist einfach eine Behauptung einer speziellen Eigenschaft die das betreffende Produkt enthält – es ist keine Werbung als solches.

Natürlich können solche Eigenschaften verwendet werden, um für Produkte zu werben – und sollten tatsächlich dazu verwendet werden. Aber, wie Sie zweifellos wissen, im letzten Jahrzehnt hat es eine stetige Zunahme von Anzeigen und Slogans gegeben, die mit Nahrung und Gesundheits-Angaben im Lebensmittelsektor zusammenhängen. Dieses Phänomen ist besonders in Deutschland und im Vereinigten Königreich auffallend gewesen. Unser Vorschlag konzentriert sich jedoch eher auf die Korrektheit der Angaben (claims), wenn diese zur Werbung benutzt werden. Also ist der Fokus auf der Korrektheit der Angabe, nicht auf ihrem Gebrauch in der Werbung.

Er umfasst nährwertbezogene Angaben – wie zum Beispiel "Reich an Ballaststoffen" oder "geringer Fettgehalt", – indem er definiert, was sie bedeuten und Schwellenwerte für ihren Gebrauch setzt. Kurz gesagt nährwertbezogene Angaben müssen gerechtfertigt sein, aber sie werden nicht verboten. Wenn ein Produkt eine Angabe wie zum Beispiel " geringer Fettgehalt" trägt, wird der Verbraucher wissen, dass dies eine wirkliche und quantitativ bestimmbare Bedeutung hat. Und ein Produkt wie "Philadelphia leicht" wird von der gleichen Definition von "leicht" in 25 Ländern profitieren, – dies ist gegenwärtig nicht der Fall.

Der Vorschlag umfasst auch gesundheitsbezogene Angaben, die, wie der Name suggeriert, über einen Nutzen für die Gesundheit für den Verbraucher Auskunft geben – zum Beispiel „Cholesterin reduziert". Wieder ist das Prinzip das Gleiche, – wenn ein Lebensmittelhersteller eine gesundheitsbezogene Angabe auf seinem Produkt geltend machen möchte, muss die Angabe wissenschaftlich gerechtfertigt sein. Innerhalb von drei Jahren nach dem Inkrafttreten der Verordnung werden wir eine Liste etablierter Angaben zusammenstellen, die prinzipiell autorisiert sind, wie zum Beispiel „Kalzium ist gut für Ihre Knochen“.

Andere gesundheitsbezogene Angaben – aber das wird eine Minderheit sein - erfordern eine wissenschaftliche Rechtfertigung und Vorabgenehmigung bevor sie verwendet werden können, wie dies heute schon in den USA und anderen Drittländern der Fall ist.

Durch Klärung, wenn und wie Angaben geltend gemacht werden können, wird der Vorschlag der EU-Lebensmittelindustrie sowie Verbrauchern helfen. Gegenwärtig haben wir eine große Divergenz nationaler Regeln in den 25 Mitgliedstaaten. Es gibt wenig Übereinstimmung zwischen einem Mitgliedstaat und dem nächsten.

Der Vorschlag der Kommission zielt darauf ab, dringend benötigte Harmonisierung innerhalb der EU zu schaffen. Er wird helfen, den freien Verkehr von Waren innerhalb des Binnenmarktes zu verbessern. Jedermann wird mit dem gleichen Satz von Regeln spielen. Er wird nicht eine begrenztere, sondern vielmehr eine liberalere Umwelt für sowohl Lebensmittelhersteller als auch –Werber schaffen.

Außerdem ergänzt der Vorschlag die Richtlinie über unlautere kommerzielle Praktiken, die der Ministerrat letzten Monat unterstützte, indem er darauf abzielt, einen fairen Wettbewerb zu fördern - durch die Beseitigung unechter, irreführender oder falscher Angaben in bezug auf Lebensmittel oder tatsächlich jedes anderen Produktes.

Der Vorschlag würde falsche gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmittelprodukten ächten, also Angaben, denen es an Klarheit und Genauigkeit mangelt und die nicht gerechtfertigt werden können.

Dies bezieht sich auf vage Angaben wie zum Beispiel "Reinigt Sie von innen heraus", "Hat eine positive Auswirkung auf Ihren Stoffwechsel" oder "Erhält Ihre Jugend".

Er würde auch gesundheitsbezogene Angaben auf Produkten verbieten, die ein nachteiliges Ernährungsprofil im Hinblick auf Zucker, Fett oder Salzgehalt hätten. Und ich glaube eben nicht, das Frühstückmüslis, die „gesunde Knochen“ versprechen, weil ihnen Vitamine beigefügt wurden, die aber gleichzeitig 40% Zucker enthalten, auf eine solche Weise vermarktet werden sollten. Es gibt andere Mittel, dieses Produkt zu bewerben als mit solch einer sehr irreführenden Angabe.

Gleichzeitig öffnet der Vorschlag tatsächlich die Tür für eine neue Kategorie von Angaben über die Reduzierung eines Krankheitsrisikos. Im Augenblick sind diese nach EU und nationalen Rechtsvorschriften verboten. Solche Angaben, vorausgesetzt sie können wissenschaftlich gerechtfertigt werden und erhalten die EU-Genehmigung, werden erlaubt werden, d.h. zum Beispiel eine Angabe wie "Produkt xx enthält Kalzium, das das Risiko von Osteoporosis verringern kann".

Der Vorschlag ist deshalb kein Durchgreifen bei gesundheits- und nährwertbezogenen Angaben – vielmehr ist es eine regelnde Maßnahme, die bessere Angaben bei der Kennzeichnung und Werbung ergeben wird.

Es ist interessant und vielleicht sogar ziemlich ironisch, wenn man bemerkt, dass die Hauptpunkte der Verordnung sehr eng mit dem gegenwärtigen deutschen innerstaatlichen Recht auf dem Gebiet der Lebensmittelangaben übereinstimmen – mit der möglichen Ausnahme von Angaben zur Krankheitsreduzierung, bei denen unser Vorschlag weitergeht.

Der Vorschlag zu den Lebensmittelangaben ist ein wichtiger Bestandteil der Strategie der Kommission zu Ernährung und Gesundheit und einer, der vollständig mit der globalen Strategie über Ernährung, körperliche Tätigkeit und Gesundheit der WHO übereinstimmt.

Wir erkennen alle an, dass es keine einfache Lösung dafür gibt, Fettsucht zu bekämpfen. Der Vorschlag zu den Lebensmittelangaben ist nur ein Werkzeug im Werkzeugkasten – ein Element einer Reihe von Initiativen, die Situation anzugehen. Aber er ist nichtsdestoweniger wichtig. Lassen Sie mich darüber im Klaren sein, was hier auf dem Spiel steht. Das Ziel unseres Vorschlags besteht darin, Verbrauchern zu ermöglichen, einfache, auf Tatsachen beruhende, verständliche Informationen zu erhalten, um sie zu bevollmächtigen, bessere Entscheidungen darüber zu treffen, was sie essen, und was sie ihren Kindern zu essen geben.

Niemand wird gezwungen. Nochmals, die Kommission versucht nicht, wie ein "großer Bruder" zu handeln oder einen "Kindermädchenstaat" zu schaffen.

Unlautere Handelspraktiken

Lassen Sie mich enden, indem ich noch einiges über die Richtlinie zu unlauteren Handelspraktiken sage, die gleichermaßen für die Medien wichtig ist, über die aber längst nicht soviel in deutschen Artikeln berichtet wird. Dieses neue Gesetz wurde letztes Jahr im Juli von der Kommission vorgeschlagen und hat eine erste Lesung sowohl im Europäischen Parlament als auch im Rat bereits hinter sich. Sein Ziel besteht darin, die Rechte der Verbraucher zu klären und grenzüberschreitenden Handel zu erleichtern, indem es gemeinsame, EU-weite Regeln gegen aggressives oder irreführendes Marketing in den Beziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern festlegt.

Bei der Definition gemeinsamer EU-Regeln haben wir versucht, ein Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Verbraucher und der Freiheit von Werbern und Marketingexperten herzustellen, die innovativ und kreativ sein wollen. Zum Beispiel ist das Recht Übertreibungen zu benutzen, ausdrücklich geschützt - also Erklärungen, die nicht wörtlich zu nehmen sind wie zum Beispiel „Carlsberg: wahrscheinlich das beste Lager in der Welt“ oder „Red Bull verleiht Ihnen Flügel“. Wir gehen natürlich davon aus, dass Verbraucher relativ intelligente Erwachsene sind, die fähig sind, diese Übertreibungen für das zu nehmen, was sie sind, - selbst wenn es denkbar ist, dass einige atypische Verbraucher sie wörtlich nehmen könnten.

Interessanterweise – sowohl der Carlsberg als auch der Red Bull Werbeslogan – tauchten in der deutschen Berichterstattung als gesundheitsbezogene Angaben (claims) auf, die verboten würden. Dies ist falsch. Sie sind einfache Werbeslogans, keine Angaben, und sie werden nicht verboten werden.

Abschließende Anmerkungen

Dieses Beispiel zeigt jedoch noch einmal die Punkte, die ich versucht habe, Ihnen heute zu übermitteln: Ich möchte an Sie alle appellieren, EU-Initiativen im Verbraucherschutz in ihrem richtigen Zusammenhang zu betrachten – und den Wahrheitsgehalt vieler immer wiederholter Mythen zu überprüfen.

Medien haben die Freiheit und das Recht und die Verpflichtung, über politische Initiativen zu berichten. Aber Medien haben auch eine Verantwortung, die Wahrheit nicht zu verbiegen. Darf ich ein letzten Mal den Vorschlag zu gesundheitsbezogenen Angaben hier verwenden, um diesen Punkt zu unterstreichen: Im Gegensatz zu Missverständnissen, die gegenwärtig besonders in Deutschland zirkulieren, ist der Vorschlag nicht tot. Das Europäische Parlament hat bloß die Abgabe einer Stellungnahme dazu bis nach den Europawahlen aufgeschoben. Das neu gewählte Parlament, das im Juli wieder zusammentritt, wird im Laufe dieses Jahres die erste Lesung unseres Vorschlags abschließen. Aber, was wahr ist, ist, dass die Verzögerung im Parlament von deutschen MdEPs organisiert wurde - viele von ihnen hatten Angst vor negativem Presseecho gerade vor den Wahlen.

Ich weiß von deutschen Verbraucherorganisationen, dass sie fühlen, dass ihre Unterstützung unseres Vorschlags nie in der deutschen Presse zum Ausdruck kommt. Dann ist die offensichtliche Frage, die aufgeworfen wird, die der Objektivität von Medien bei der Umsetzung ihrer Verantwortung, ihrer Öffentlichkeit zu berichten und sie zu informieren.

Dies bringt mich zurück zum Titel meiner Rede: Medienfreiheit und Verbraucherschutz. Die wirkliche Frage ist, wie wir die beiden in Einklang bringen können. Ich hoffe, dass wir dies weiter in den bevorstehenden Fragen und Antworten erforschen können.

Vielen Dank.

Quelle: Köln [ eu - David Byrne ]

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