Der aktuelle Stand des Wildfleisch-Skandals in Bayern

Schnappaufs Bericht vor Untersuchungsausschuss im Landtag

Bericht von Staatsminister Dr. Werner Schnappauf zu den Vorgängen und den getroffenen Maßnahmen in Zusammenhang mit der Firma Berger Wild, Passau München, am 23. Februar 2006 in der Manuskriptfassung:

Wie wir Anfang Februar beschlossen haben, möchte ich im Hinblick auf die Dringlichkeitsanträge der Fraktionen der CSU, der SPD und Bündnis 90 Die Grünen zu den Vorgängen und den getroffenen Maßnahmen in Zusammenhang mit der Fa. Berger Wild, Passau, berichten.

Das Bayerische Verbraucherschutzministerium hat erstmals am 13. Januar d.J. vom Verdacht auf lebensmittelrechtliche Verstöße bei der Firma Berger Wild GmbH erfahren. Es hat daraufhin schnell und entschlossen gehandelt.

  • Der Schutz der Verbraucher hat oberste Priorität.
  • Unverzüglich wurden alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, um beanstandete Ware sicherzustellen und rasch aus dem Handel zu entfernen.
    Gegen die Firma Berger Wild wurde dabei konsequent vorgegangen. Zulassungen wurden ehestmöglich entzogen.
  • Das Ministerium setzte eine Sonderkommission "Wild" ein, um seitens der Verwaltung den Vorgang rasch und umfassend aufzuklären.

Heute berichte ich Ihnen über die von den Behörden ergriffenen Maßnahmen und die jetzt vorliegenden Ergebnisse der Sonderkommission "Wild" vom 22.02.2006.

Die abschließenden Ergebnisse der staatsanwaltlichen Ermittlungen bleiben abzuwarten. Sie sind nicht Gegenstand dieses Berichts.

A. Zusammenfassende Wertung der Vorgänge

Nach dem heutigen Stand der Erkenntnisse und den Ergebnissen der Sonderkommission "Wild" zeigt sich zusammenfassend folgendes Gesamtbild:

1. Für die Verbraucher ist nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen des LGL auch durch beanstandete Chargen aus der Produktion der Firma Berger keine Gesundheitsgefahr entstanden.

2. Bei der Firma Berger Wild handelt es sich um ein Unternehmen,

  • das überdurchschnittlich expandierte und
  • letztlich mit dieser Expansion zunehmend personell und organisatorisch überfordert war.

Dies führte Anfang 2006 zu unhaltbaren hygienischen Zuständen, so dass die Schließung der Verarbeitungsstätten erfolgte.

  • Nach dem jetzigen Erkenntnisstand hat die Firma in erheblichem Umfang mit unlauteren Geschäftspraktiken gearbeitet, gesetzliche Vorschriften missachtet und gezielt staatliche Kontrollen umgangen.
  • Sichergestellte Unterlagen lassen den Verdacht zu, dass Kunden bei der Produktdeklaration (z. B. von Lieferung von Mufflonfleisch als "Gamsedelgulasch") getäuscht wurden.
  • Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Firma wegen Verstoßes gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften, wegen illegaler Beschäftigung ausländischer Mitarbeiter und wegen gewerbsmäßigen Betruges.

3. Bei den Kontrollen muss zunächst unterschieden werden

  • zwischen der kommunalen Aufgabe der Fleischhygieneüberwachung, die vom Landkreis Passau wahrzunehmen ist,
  • und den staatlichen Kontrollen durch Landratsamt Passau und Regierung von Niederbayern.

Bei der Fleischhygieneüberwachung durch die Amtlichen Tierärzte des Landkreises Passau lassen die Untersuchungen der Sonderkommission "Wild" bei einem der beiden amtlichen Tierärzte Defizite erkennen.

Landratsamt Passau und Regierung von Niederbayern haben die Wildverarbeitungsbetriebe der Firma Berger in Ruderting (Betriebstätte 1) und Ortenburg (Betriebsstätte 2) im Rahmen ihrer Überwachungsaufgaben kontrolliert.

  • Die staatlichen Kontrollbehörden haben dabei immer wieder Mängel unterschiedlicher Schwere festgestellt und auf ihre Behebung gedrungen.
  • Die Beseitigung der Mängel haben sie auch regelmäßig überwacht.
  • Gleichwohl haben sie die ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen Sanktionen nicht in vollem Umfang ausgeschöpft.

4. Was das Zusammenwirken zwischen Strafverfolgungsbehörden und Veterinärverwaltung ab 2004 angeht, ergibt sich Folgendes:

  • Im vorliegenden Fall hat eine frühzeitige Kommunikation der Behörden stattgefunden.
  • Es gab aber hinsichtlich der lebensmittelrechtlichen Verdachtsmomente keine hinreichend eindeutige Verständigung über das weitere Vorgehen.

B. Bestandsaufnahme

Die Fa. Berger musste über die Jahre hinweg immer wieder angehalten werden, ordnungsmäßige Zustände herzustellen. Das stetige Drängen der Behörden hat regelmäßig auch zu einer Behebung der beanstandeten Mängel geführt. Das war mühsam, ist den Behörden aber immer wieder gelungen.

  • Durch Vor-Ort-Kontrollen des Landratsamtes Passau am 16.1. und des Landratsamtes und der Regierung am 18.1.2006 wurden gravierende hygienische Messstände festgestellt.
  • Die hygienische Situation war Anfang 2006 unhaltbar geworden und führte zur Schließung der Betriebe.

Nach Feststellung der aktuellen erheblichen Hygienemissstände griffen die Lebensmittelüberwachungsbehörden unverzüglich gegen die Firma Berger Wild durch:

  • Am 18.1.2006 stellte das Landratsamt Passau die Ware in den hygienisch zu beanstandenden Betrieben sicher.
  • Am 19.1.2006 lagen die ersten Untersuchungsergebnisse des LGL vor: 6 von 9 Proben der Kontrolle am 18.1. waren zu beanstanden. Diese Produkte sind allerdings nicht in den Handel gelangt.
  • Am 20.1.2006 veranlasste das Ministerium beim LGL eine sofortige landesweite Untersuchungskampagne für Waren der Firma Berger Wild.
  • Ebenfalls am 20.1.2006 hörten Landratsamt und Regierung die Firma Berger Wild zum beabsichtigten Widerruf bzw. Ruhen der erteilten EU-Zulassungen an - diese Anhörung ist in einem rechtsstaatlichen Verfahren unverzichtbar.
  • Am Sonntag, den 22.1.2006, ordneten Landratsamt und Stadt Passau Verkehrsverbote an:
    Die Firma Berger darf ihre Ware nur noch nach Begutachtung durch einen staatlich anerkannten Sachverständigen in Verkehr bringen.
  • Am Montag, den 23.1.2006, hörte das Ministerium die Firma zur beabsichtigten Information der Öffentlichkeit an.
  • Am Dienstag, den 24.1.2006, informierte das Ministerium die Öffentlichkeit über den Fall Berger.
  • Weitere Informationen folgten je nach Stand der Erkenntnisse, so am 25.1., 27.1.,31.1.,2.2., 7.2. und 15.2.
  • Die beanstandeten Produkte wurden jeweils auch im Internet veröffentlicht.
    Ebenfalls am 25.1.2006 informierte das Ministerium den Bund und die Länder und gab über das EU-Schnellwarnsystem eine Schnellmeldung heraus.
  • Am 27.1.2006 erfolgte der Widerruf aller von der Regierung erteilten Zulassungen für Verarbeitungsstätten der Firma Berger,
  • am 30.1.2006 entzog das Landratsamt Passau auch die Zulassung für den Federwildbetrieb in Ortenburg.
  • Damit waren die Betriebe der Firma Berger in Ortenburg und Ruderting definitiv geschlossen.
  • Am 31.1.2006 meldete die Firma Berger Insolvenz an.

Aus diesem stringenten Ablauf - zwischen der Aufdeckung der aktuellen Missstände bei Berger am 16. und 18.1.2006 und der endgültigen Schließung der Betriebsstätten Ortenburg und Ruderting liegen nur 10 Arbeitstage - wird deutlich:

Sicherheit und Gesundheit der Verbraucher stehen für das Ministerium konsequent an vorderster Stelle.

  • auch wenn der Firmeninhaber den Behörden jetzt vorwirft, seinen Betrieb vorschnell ruiniert zu haben und mit Schadensersatz droht,
  • auch wenn Mitarbeiter der Firma in Sorge um ihre Arbeitsplätze den Minister in einem Brandbrief bedrängt haben, die Firma zu schonen. Ein rechtsstaatliches Verfahren war aber bei aller Konsequenz des Handelns einzuhalten.

Alle notwendigen Entscheidungen wurden unverzüglich getroffen.

Der Schutz der Verbraucher wurde neben dem stringenten Vorgehen gegen die Firma auch durch eine schnelle und intensive Marktkontrolle (1.) sowie eine internationale Rückrufaktion (2.) gesichert.

1. Im Rahmen der vom LGL seit 21.1.2006 durchgeführten Untersuchungskampagne wurden bayernweit bisher (Stand 20.2.2006) insgesamt 292 Proben von Waren der Firma Berger untersucht.

  • 80 davon wurden als "für den Verzehr durch Menschen ungeeignet" beurteilt (z.B. wegen ranzigen, muffigen, stickigen oder sauren Geruches).
  • Bislang hat das zuständige LGL keine Probe als "gesundheitsschädlich" eingestuft.

Das LGL hatte auch in den zurückliegenden Jahren planmäßig Proben von Waren der Firma Berger Wild untersucht.

Diese Untersuchungen ließen keine von üblichen Beanstandungsquoten abweichende Häufung erkennen.

Auch die bei Wildfleisch durchgeführten regelmäßigen Untersuchungen der Radioaktivität zeigten keine Besonderheiten gegenüber anderem Wildfleisch.

2. Die von der Regierung von Niederbayern koordinierte Rückrufaktion hat folgenden Stand erreicht:

  • Die Firma Berger hatte sich zunächst schriftlich zum gesetzlich vorgesehenen freiwilligen Rückruf aller beanstandeten Produkte bereit erklärt.
  • Auf dieser Basis konnten für 38 der insgesamt 73 beanstandeten Produkte die Vertriebslisten ermittelt werden.
  • Weitere noch ausstehende Vertriebslisten wurden bislang jedoch nicht vorgelegt, obwohl die Stadt Passau die Firma auf die Verpflichtung zum Rückruf der beanstandeten Produktchargen hingewiesen hat.
  • Seit 14.2.2006 liegt der Regierung jedoch eine Erklärung der Anwälte der Firma Berger vor, in der mitgeteilt wird, dass "freiwillige Rückrufe aufgrund leichter sensorischer Beanstandungen" von nun ab nicht mehr erfolgen.
  • Die zuständigen Behörden drängen weiterhin auf die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten der Firma Berger zum Rückruf der beanstandeten Produktchargen und zur Zusammenarbeit.
  • Sie werden die Verpflichtungen ggf. gegenüber dem Insolvenzverwalter zwangsweise durchsetzen. 

C. Aufklärung der bisherigen Entwicklung

Neben der vorrangigen Gewährleistung der Verbrauchersicherheit hat das Ministerium im aktuellen Fall sein Augenmerk von Anfang an auch auf eine rückhaltlose Aufklärung der Vorgeschichte gerichtet.

Bereits am 23.1.2006 hat das Ministerium dazu bei der Regierung von Niederbayern eine Sonderkommission "Wild" ins Leben gerufen.

Unter Leitung des Vizepräsidenten des LGL hat die Sonderkommission

  • die Abwicklung des aktuellen Falles koordiniert und
  • eine intensive Aufklärung der verwaltungsinternen Vorgänge betrieben.

Dabei stützte sie sich auf die Auswertung der Behördenakten und Gespräche mit Mitarbeitern der Verwaltung.

Unterlagen der Firma Berger standen ihr nicht zur Verfügung.

Nach heutiger Erkenntnis ergibt sich im Einzelnen folgendes Bild:

1. Firma Berger

  • Die gesichteten Unterlagen und Aussagen von ehemaligen Beschäftigten der Firma Berger legen den Schluss nahe, dass bei der Firma Berger über Jahre hinweg firmenintern über die Verletzung von Lebensmittelrecht zur Täuschung von Kunden kommuniziert wurde.
  • So lassen die sichergestellten Unterlagen den Verdacht zu, dass Kunden bei der Produktdeklaration getäuscht worden sein könnten, etwa durch den Verkauf von Mufflon- oder Wildschaffleisch als "Gamsedelgulasch".
  • Darüber hinaus ist offenbar in größerem Umfang aufgetautes Fleisch als Frischfleisch gehandelt worden.
  • Ein Auftauen, wie dies bei der Firma Berger zum Teil geschehen ist (mit Dampfstrahler oder Warmwasser) ist lebensmittelrechtlich unzulässig und stellt eine grobe Missachtung der Kunden und massive Verletzung ihrer Interessen dar.
  • Weiterhin hat die Firma Berger offenbar nicht einwandfreies Fleisch, z.B. mit Gefrierbrand, so verpacken lassen, dass die betroffenen Stellen durch die Verpackung nicht sichtbar waren.
  • Aufgrund dieser und anderer Vorgänge ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Firma Berger wegen gewerbsmäßigen Betruges.
  • Darüber hinaus ist die illegale Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer Gegenstand staatsanwaltlicher Verfahren.
  • Im Bereich von Anlieferung und Betriebshygiene liegen deutliche Hinweise vor, dass die Firma in den letzten Jahren personell und organisatorisch auf ihre eigene rasante Umsatzentwicklung nicht ausreichend reagiert hat.
  • Als Wildbearbeitungsbetrieb betreibt die Firma Berger ein Saisongeschäft. Die Betriebsstätte 2 wurde im wesentlichen von Oktober bis Februar betrieben. Zu den Spitzenzeiten während der Jagdsaison hat die Firma teilweise extrem viel Wildfleisch verarbeitet.
  • Am 14.11.2003 hat das Unternehmen sein Geschäft durch eine EU-Zulassung für Federwildbearbeitung zusätzlich ausgeweitet.
  • Um die erhöhten Wildmengen zu verarbeiten, führte die Firma im Laufe des Jahres 2004 eine Nachtschicht ein.
  • Bei der Firma Berger muss es dann bisweilen zu gravierenden Kapazitätsüberschreitungen gekommen sein:
    Aus sichergestellten Unterlagen geht hervor, dass der Betrieb, ausgelegt für eine Kapazität von täglich rd. 800 Hasen, an manchen Tagen bis zu 3.000 Tiere verarbeitet hat.
  • Zusätzlich setzte das Unternehmen in immer größerem Umfang Personal aus dem Ausland ein - mit immer geringerer Qualifikation.
  • Waren bis März 2004 noch ungarische Arbeiter mit zulänglicher Qualifikation beschäftigt, so kamen danach in wachsendem Maße Hilfsarbeiter aus anderen osteuropäischen Staaten zum Einsatz, denen es offenbar an ausreichender Erfahrung in der Fleischverarbeitung fehlte.
  • Zur Saison im November 2004 war dadurch die Betriebshygiene nach den Feststellungen der Kontrollbehörden "auf ein nicht mehr zu rechtfertigendes Niveau abgesunken". Daraufhin drohte die Regierung von Niederbayern das Ruhen der Zulassung an. Die Firma Berger konnte die festgestellten Mängel jedoch zeitnah beseitigen.
  • Auch weitere Beanstandungen durch Landratsamt und Regierung hat das Unternehmen immer wieder behoben.

Ende 2005 spitzte sich die Lage dramatisch zu:

  • Die beiden deutschen Betriebsleiter schieden aus der Firma aus.
  • Hinzu kam, dass nach Aussage des Landratsamtes an der Betriebsstätte 2 zunehmend geringqualifizierte osteuropäische Hilfskräfte tätig waren. Das Unternehmen hat selbst nicht dafür gesorgt, dass eine sprachliche Verständigung mit diesen Mitarbeitern möglich war.

Im Januar 2006 war dann die Betriebshygiene auf einen nicht mehr haltbaren Stand abgesunken, was umgehend die Schließung beider Betriebsstätten zur Folge hatte.

2. Amtliche Kontrollen

Die Untersuchungen der Sonderkommission "Wild erstreckten sich auch darauf, ob bei der Firma Berger Veterinärkontrollen im erforderlichen Umfang stattgefunden haben.

2.1 Amtliche Tierärzte des Landkreises Passau

Für die Einhaltung des Fleischhygienerechts in fleischverarbeitenden Betrieben sind gesetzlich die Landkreise zuständig.

Sie bedienen sich dazu sogenannter amtlicher Tierärzte, die auf der Basis von Anstellungsverträgen nach dem BAT zur Kontrolle bestimmter ihnen zugewiesener Betriebe eingesetzt werden.

Für die beiden Betriebsstätten der Firma Berger Wild hat der Landkreis Passau je einen niedergelassenen Tierarzt als amtlichen Tierarzt bestellt (der Betriebsstätte 1 entspricht im folgenden der amtliche Tierarzt Nr. 1, der Betriebsstätte 2 der amtliche Tierarzt Nr. 2).

Eine Fleischbeschau durch den amtlichen Tierarzt muss notwendigerweise dann erfolgen, wenn im Betrieb tatsächlich Wild angeliefert wird, das nach Fleischhygienerecht beschaut werden muss.

  • Deshalb ist jeder Fleischbetrieb durch Gesetz verpflichtet, den amtlichen Tierarzt von sich aus zur amtlichen Fleischuntersuchung hinzuzuziehen
  • und ihn dementsprechend rechtzeitig vorher über die Anlieferung von Fleisch und die Durchführung von Arbeiten zu verständigen.

Für die Kontrollen durch die amtlichen Tierärzte bei der Firma Berger Wild ergibt sich folgendes Bild:

  • Nach der Stellungnahme des Landratsamtes Passau haben die amtlichen Tierärzte die Betriebsstätten der Firma Berger "immer im Rahmen der Fleischuntersuchung, also mindestens einmal arbeitstäglich" kontrolliert.
  • Aus den von der Sonderkommission gesichteten Unterlagen wird aber auch deutlich, dass die Firma Berger die amtlichen Tierärzte gezielt umgangen hat: So wurde offenbar des öfteren verdeckt außerhalb üblicher Betriebszeiten Wild verarbeitet, z.B. am Wochenende, in der Nacht oder mehrere Stunden vor dem regulären Arbeitsbeginn.
  • In den Unterlagen befindet sich eine betriebsinterne Korrespondenz, in der davon die Rede ist, die Verarbeitung von Federwild im Zeitraum von Freitag Mittag bis Sonntag Abend vorzunehmen, damit der amtliche Tierarzt nichts mitbekommt.

Hinsichtlich des amtlichen Tierarztes Nr.1 haben die Untersuchungen der Sonderkommission keine Hinweise auf eine mangelhafte Aufgabenerfüllung ergeben.

Hinsichtlich des amtlichen Tierarztes Nr.2 weist die Sonderkommission dagegen auf folgendes hin:

  • Ein Abgleich der abgerechneten Anwesenheitszeiten mit der Menge der verarbeiteten Tiere legt den Schluss nahe, dass Tierarzt Nr.2 seine Aufgaben häufig in sehr kurzer Zeit erledigt hat.
  • Überschlägige Berechnungen haben ergeben, dass auf die Beschau einzelner Tiere vielfach wohl nur wenige Sekunden verwendet wurden.
  • Es bestehen erhebliche Zweifel, dass in einer derart kurzen Zeit eine sachgerechte Beschau möglich war.

Die Sonderkommission hat die Dokumentation, die der amtliche Tierarzt Nr.2 vorgenommen hat, als nicht ausreichend bewertet.

Insofern liegen klare Versäumnisse vor.

Bis auf weiteres wurden die beiden amtlichen Tierärzte vom Landkreis Passau von ihren Pflichten entbunden. Im Fall des amtlichen Tierarztes Nr. 2 wird das Ministerium dem Landkreis Passau nahe legen, das Vertragsverhältnis zu beenden.

2.2 Landratsamt und Regierung

2.2.1 Landratsamt Passau

Die Kontrolle durch das staatliche Veterinäramt erfolgt im Gegensatz zur fortlaufenden Hygieneüberwachung durch die amtlichen Tierärzte des Landkreises stichprobenartig. 

  • Nach den Angaben des Landratsamtes Passau erfolgten regelmäßig Überprüfungen der seit 1995 EU-zugelassenen Betriebe.
  • Dabei wurden immer wieder geringe bis mittelgradige Hygienemängel festgestellt und ihre Beseitigung angemahnt.
  • Am 23.10.2001 wurde gegen die Firma Berger zur Durchsetzung von Auflagen ein Verarbeitungsverbot verhängt, gegen das die Firma bis vor das Verwaltungsgericht zog. Das Verfahren wurde schließlich nach Erfüllung der Auflagen eingestellt.
  • Die Firma Berger hat die festgestellten Mängel auf Veranlassung der Lebensmittelüberwachungsbehörden immer wieder jeweils zeitnah behoben.
  • Bei einer Sonderkontrollaktion am 1.12.2005 mit Kontrollschwerpunkt Kühl- und Gefrierräume wurden zwar Kennzeichnungsmängel, jedoch keine  gravierenden Hygienedefizite vorgefunden.
  • Bei den Kontrollen vom 16. und 18.1.2006 wurde festgestellt, dass die Hygiene bei der Firma Berger auf ein nicht mehr haltbares Maß abgesunken war. In der Folge wurde von den Lebensmittelüberwachungsbehörden die Schließung der Betriebsstätten veranlasst.

Die Kontrollen durch die Amtsveterinäre bei der Firma Berger erfolgten gemäß dem Bericht des Landratsamtes Passau in der Regel unangekündigt. Wenn z.B. die Anwesenheit verantwortlicher Personen der Firma Berger für die Kontrolle notwendig war, erfolgte eine Ankündigung grundsätzlich sehr kurzfristig ½ bis 1 Stunde vorher.

2.2.2 Regierung von Niederbayern

Die Regierung von Niederbayern kontrollierte die Firma Berger Wild im Rahmen ihrer Funktion als Zulassungsbehörde für EU-Zulassungen routinemäßig und anlassbezogen auf die Einhaltung der Zulassungsvoraussetzungen.

Dabei wirkte sie mit dem staatlichen Veterinäramt Passau zusammen.

Zum Kontrollumfang gehören u.a. die Betriebs-, Personal- und Produktionshygiene sowie die Eigenkontrollsysteme.

Die Firma Berger war dabei einer von insgesamt 67 EU-zugelassenen Fleischbetrieben im Regierungsbezirk Niederbayern.

  • Bei einer Routinekontrolle durch Regierung und Landratsamt am 25.11.2004 war laut Bericht der Regierung die Produktionshygiene bei Hasen und Wildgeflügel infolge von Personalproblemen auf ein derart niedriges Niveau abgesunken, dass die Regierung das Ruhen der Zulassung androhte.
  • Die Nachkontrolle am 2.12.2004 ergab, dass die Firma Berger die Mängel im Wesentlichen behoben hatte und wieder rechtmäßige Zustände anzutreffen waren.

2.3 Fazit für die Überwachung des Betriebes

  • Bei einem der amtlichen Tierärzte des Landkreises Passau gibt es nach dem Ermittlungsergebnis der Sonderkommission klare Anhaltspunkte für offenkundige Versäumnisse.
  • Die beteiligten Behörden - Landratsamt und Regierung - haben ihrerseits mit Hilfe von Beanstandungen und Fristsetzungen zur Beseitigung immer wieder dafür gesorgt, dass Mängel abgestellt und rechtmäßige Zustände hergestellt wurden.
  • Sie haben jedoch ihre rechtlichen Sanktionsmöglichkeiten als Vollzugsbehörden (z. B. Zwangsgeldandrohung, Bußgelder, ggf. auch vorläufige Schließung) nicht in jedem Fall vollständig ausgeschöpft. Das Verarbeitungsverbot von 2001 und die Androhung des Ruhens der Zulassung von 2004 zeigen gleichwohl die Bereitschaft und den Willen von Landratsamt Passau und Regierung Niederbayern, rechtmäßige Zustände zu erzwingen.

In einer zusammenfassenden Rückschau ergibt sich:

  • Im Nachhinein betrachtet wäre es besser und notwendig gewesen, schon früher und konsequenter durchzugreifen. Dies hätte das bestehende System der Veterinär- und Lebensmittelkontrollen in Bayern auch ermöglicht.
  • Für unzulässige Verquickungen zwischen den Kontrolleuren und der Firma Berger gibt es nach den bisherigen Erkenntnissen keine Anhaltspunkte.
  • Deshalb sollten von Pauschalverdächtigungen und Vorverurteilungen Abstand genommen werden.
  • Sollte es im Zuge der weiteren Ermittlungen noch neue Erkenntnisse geben, wird die Staatsanwaltschaft dies von sich aus aufgreifen.

3. Strafrechtliches Ermittlungsverfahren

Zu dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren in Sachen Berger seit 2003 berichte ich für Justizministerium und Innenministerium wie folgt:

  • Seit April 2003 führt das Hauptzollamt Landshut unter Leitung der Staatsanwaltschaft Landshut v.a. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern das bundesweite Wirtschaftsstrafverfahren "Pannonia" durch.
  • In einer konzertierten Aktion haben dabei am 21.4. 2004 ca. 1.000 Beamte 180 Objekte in Deutschland und weitere 100 Objekte in Ungarn durchsucht, darunter auch die Firma Berger.
  • Dabei beschlagnahmte das Hauptzollamt Landshut in Form einer Datensicherung einen Großteil der Betriebs-EDV der Firmenzentrale.
  • Bei der ersten Sichtung der Unterlagen durch das Hauptzollamt ergaben sich erste Verdachtsmomente für Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Bestimmungen, insbesondere Hinweise auf
    • eine mögliche Verlängerung von  Haltbarkeitsdaten,
    • das Auftauen und Verkaufen von tiefgefrorenem Fleisch als Frischfleisch und
    • die Verarbeitung von Federwild am Wochenende zum Umgehen der Kontrollen durch den amtlichen Tierarzt.
  • Eine genaue Chronologie der darauf in den nächsten Jahren folgenden Kontakte zwischen Strafverfolgungsbehörden und Lebensmittelüberwachungsbehörden ist als Anlage zu diesem Bericht verteilt worden. 

Die Auswertung der betriebsinternen Korrespondenz der Fa. Berger durch die Ermittlungsbehörden erwies sich in der Folgezeit als sehr schwierig:

  • Die sichergestellten Mails bestanden zunächst nur aus sog. "Textbodies" ohne Absender- und Adressdaten.
  • Die KPI Passau musste die Absender- und Adressdaten von rund 22.500 E-Mails ermitteln, mit den vorhandenen Textbodies verknüpfen und auswerten.
  • Bei den E-Mails handelte es sich um den Schriftverkehr zwischen einzelnen Firmenangestellten der Fa. Berger im wesentlichen Zeitraum vom 1.11.2003 bis 21.4.2004.
  • Weitere Probleme und zeitliche Verzögerungen ergaben sich daraus, dass die Ermittlungsbehörden sich erst das von der Firma Berger verwendete Mailserversystem "David/Tobit" verschaffen mussten und dass die Mails mit 2 Viren verseucht waren, deren Beseitigung weitere vier Wochen in Anspruch nahm.
  • Hinzu kamen Installationsprobleme und Datenverluste aus unbekannter Ursache, so dass die Überspielung der Daten auf die eigenen Rechner der Ermittlungsbehörden letztlich erst am 12.9.2005 abgeschlossen werden konnte.

Ab diesem Zeitpunkt konnte die Arbeit der Ermittlungsbehörden konkret vorangetrieben werden.

Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft

  • sollen in der Zeit von 1.11.2000 bis 24.03.2004 bei der Firma Berger Wild insgesamt 36 ungarische Arbeiter illegal beschäftigt worden sein.
  • Der mögliche Schaden für die Sozialversicherung wird auf annähernd 80.000 Euro beziffert.
  • Die Anklage dazu wird voraussichtlich in Kürze erhoben.

4. Kommunikation zwischen den Behörden:

Bei den Vorgängen um die Firma Berger hat es eine frühzeitige Kommunikation zwischen Strafverfolgungsbehörden, Regierung und Landratsamt gegeben.

Dennoch gab es keine hinreichend eindeutige Verständigung, wie angesichts des Verdachts von Verstößen gegen das Lebensmittelrecht weiter vorzugehen sei.

  • So schrieb die Staatsanwaltschaft Landshut am 24.8.2004 an das Veterinäramt Passau:
    "Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Einleitung des Ermittlungsverfahrens dem Beschuldigten noch nicht bekannt gegeben worden ist und ein Herantreten an ihn vorerst zu unterbleiben hat".
  • Auch von Seiten des Zolls und der Kripo kamen entsprechende Signale, die nach den Ermittlungen der Sonderkommission von der Veterinärverwaltung als Aufforderung zur Zurückhaltung verstanden wurden.

D. Schlussfolgerungen

1. Gemeinsame Bekanntmachung

Die Staatsministerien für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, der Justiz und des Inneren haben eine Gemeinsame Bekanntmachung erarbeitet, die am 18.02.2006 in Kraft getreten ist. Damit sollen künftig Missverständnisse ausgeschlossen werden.

Die Bekanntmachung stellt eindeutig klar,

  • dass die Strafverfolgungsbehörden und die Behörden des gesundheitlichen Verbraucherschutzes ihre Aufgaben ohne Zeitverzug, gleichrangig und eigenverantwortlich in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich wahrnehmen können.
  • Darüber hinaus wird die gegenseitige Unterrichtung über den Verdacht von Straftaten gegen Vorschriften des Lebensmittel-, Futtermittel- und Veterinärrechts konkretisiert.
  • Bayern tritt mit dieser Gemeinsamen Bekanntmachung auch in Vorlage für eine noch zu treffende bundesweite Regelung.

2. Spezialeinheit Lebensmittelüberwachung

Die bereits konzipierte Spezialeinheit Lebensmittelüberwachung wird am LGL in Oberschleißheim eingerichtet.

  • Sie wird die bisher vorhandenen Strukturen - einschließlich des mobilen Veterinärdienstes - in einer integrierten Einheit bündeln.
  • Dabei wird ein breiter interdisziplinärer Ansatz mit Tierärzten, Lebensmittel-Chemikern, Juristen, Technologen und EDV-Spezialisten verfolgt.
  • Aufgabe der Spezialeinheit ist eine umfassende Unterstützung nachgeordneter Behörden, ohne dass in deren Vollzugszuständigkeiten eingegriffen wird.
  • Die Spezialeinheit wird zusammen mit den zuständigen Behörden nach einem Jahresprogramm Vor-Ort-Kontrollen in risikoträchtigen Betrieben durchführen.

3. Verbesserte Dokumentation und Kommunikation

  • Im Rahmen des Qualitätsmanagements für die Lebensmittelüberwachung werden die Dokumentations- und Berichtspflichten standardisiert.
  • Die Spezialeinheit wird in die Kommunikationsstruktur der Lebensmittelüberwachung eingebunden. Die erforderlichen Haushaltsmittel dafür sind im Doppelhaushalt 2005/2006 eingeplant.

4. Rotation der amtlichen Tierärzte und der Amtstierärzte

Ziel sollte es sein, dass die amtlichen Tierärzte der Landkreise nicht mehr dauerhaft ein bestimmtes Unternehmen überwachen.

Nach 2 - 3 Jahren sollte ein Wechsel der Zuständigkeit / eine Rotation vorgenommen werden, soweit dies nach den Verhältnissen vor Ort angezeigt und möglich erscheint.

Im Rahmen der Qualifizierungsoffensive ist bei den staatlichen Amtstierärzten eine verstärkte vertikale Rotation geplant.
Für Aufgabenerledigung und berufliche Fortentwicklung ist es von Vorteil, wenn die Amtstierärzte unterschiedliche Tätigkeiten auf verschiedenen Verwaltungsebenen kennen gelernt haben.

5. Verbesserter Informantenschutz

Schließlich wurde der Schutz von Informanten gestärkt.

  • Am LGL wurde am 07.02.2006 eine Telefonhotline für vertrauliche Informationen eingerichtet.
    Damit wird nicht Denunziantentum Vorschub geleistet: Mit den Hinweisen wird verantwortungsbewusst umgegangen.

E. Schlussbemerkung

Zusammenfassend ist festzustellen:

Auch wenn in der Rückschau manches hätte besser laufen können, bleibt festzuhalten: Es geht um Fehlverhalten und unseriöse Geschäftspraktiken einer Firma.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verstößen gegen das Lebensmittelrecht und wegen gewerbsmäßigen Betruges.

Wegen illegaler Beschäftigung steht die Anklage kurz bevor.

Quelle: München [ stmugv ]

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