Vogelgrippe: Schlechtes Krisenmanagement
GRÜNE: Bund und Länder müssen Sicherheit für Mensch und Tier verbessern.
Auf Rügen und in Vorpommern sind inzwischen hunderte Vögel gefunden worden, die an dem hoch pathogenen Vogelgrippe-Erreger H5N1 verendet sind. Bislang sind nur Wildvögel betroffen. Ein Übergreifen des Virus auf Menschen oder vom Menschen gehaltenes Geflügel wurde in Deutschland zum Glück noch nicht beobachtet. Zum heutigen Zeitpunkt besteht die größte Gefahr im Übergreifen der Vogelgrippe auf große Geflügelbestände. Deutschlandweit werden mehr als 120 Millionen Hühner gehalten.
Für Menschen besteht eine Ansteckungsgefahr derzeit nur, wenn sie in engen Kontakt mit toten oder infizierten Tieren kommen. Aktuell dürfte daher für normale Verbraucher keine Gefahr bestehen. Hochgefährlich würde der H5N1 dann, wenn er sich eines Tages durch Mutation so weiterentwickelte, dass er sich auch von Mensch zu Mensch übertragen ließe. Dann könnte es zu einer Pandemie kommen, d.h. zu einer rapiden Ausbreitung der Vogelgrippe unter Menschen mit verheerenden Folgen. Eine solche Entwicklung ist aber derzeit nicht absehbar. Deshalb ist auch nicht davon auszugehen, dass etwa die Fußball-WM von einer Pandemie betroffen sein könnte. Entgegen anders lautenden, falschen Pressemeldungen ist eine Absage der WM, auch von grüner Seite, nicht gefordert worden.
Bisher haben die Behörden keinen ausreichenden Schutz für Mensch und Tier sicherstellen können. Unsere Kritikpunkte im einzelnen:
Krisenmanagement vor Ort und vom Bund hat versagt
"Schnelltests" der verendeten Schwäne auf Vogelgrippe dauerten volle sechs Tage. Tote Wildvögel wurden viel zu langsam aufgesammelt und lagen noch tagelang frei zugänglich am Strand herum und erhöhten die Ansteckungsgefahr für Menschen und das Risiko einer Weiterverbreitung durch Aasfresser. Örtliche Behörden waren personell und materiell völlig unzureichend vorbereitet (zu wenig Personal, fehlende Schutzanzüge, Fahrzeuge). Notwendige Maßnahmen wie Anforderung weiterer Hilfe vom Bund, schnelle Desinfektion und die Einrichtung von Sperrbezirken wurden verschleppt. Die ersten Schritte der neuen Bundesregierung im Seuchen-Ernstfall sind missglückt.
Vorbereitung der Länder z.T. unzureichend
Nicht alle Länder haben genug Personal, um bei einem Übergreifen der Seuche auf die Geflügelbestände der Lage Herr zu werden. Nur einige haben Rahmenvereinbarungen mit selbständigen Tierärzten geschlossen, damit diese im Krisenfall den Kreisveterinären zur Hilfe kommen. Die Schaffung einer mobilen Einsatzzentrale, wie von Bärbel Höhn als Verbraucherministerin in NRW schon 2003 gefordert, wurde von den Ländern erst im Januar 2006 beschlossen.
Völlig inakzeptabel ist, dass die Länder unterschiedlich viele Vogelgrippe-Medikamente (so genannte Neuraminidasehemmer, z.B. "Tamiflu") vorhalten, NRW z.B. für 30 Prozent, Sachsen-Anhalt für nur sechs Prozent der Bevölkerung.
Seehofer hat auf Probleme vor Ort zu spät reagiert
Noch in seiner Regierungserklärung vom 16. Februar und in seiner Pressekonferenz nach dem Treffen des Krisenstabs am 15. Februar herrschte für Horst Seehofer eitel Sonnenschein. Seehofer musste zu einem Eingreifen erst gedrängt werden. Erst nach massiver Kritik, die gerade wir Grünen in der Debatte über die Regierungserklärung vorgebracht haben, hat Seehofer Pannen vor Ort eingeräumt und reagiert.
Die Bundesregierung ist unentschlossen bezüglich Bundeskompetenzen für Seuchenschutz: Seehofer hat solche Kompetenzen gefordert, Kauder – und jetzt auch Merkel – lehnen sie genau so ab, wie CDU/CSU/SPD in den Ländern.
"Seuchentourismus" ist kontraproduktiv
Die medienwirksamen Besuche von Seehofer und Merkel auf Rügen (jeweils begleitet von einem Kameratross) bringen nichts und vergrößern eher die Gefahr, dass das Virus weiter getragen wird. In NRW hat es beim bisher einzigen Vogelgrippe-Geschehen im Jahr 2003 einen solchen "Seuchentourismus" bewusst nicht gegeben.
Bundesregierung hat kein Konzept für die beträchtlichen wirtschaftlichen und ökologischen Schäden
In Italien ist die Geflügelnachfrage um 70 Prozent, in Griechenland um 40 Prozent und in Frankreich um 15 Prozent zurückgegangen. Die Aufstallungspflicht trifft besonders Biobauern. Der Imageschaden in touristischen Gebieten und die ökologischen Verluste in der Wildvögelpopulation sind bislang noch nicht Gegenstand der Erörterungen. Auch hier wird nur auf Drängen und kurzsichtig vorgegangen, ein gutes Krisenkonzept fehlt.
GRÜNE Forderungen
- Einrichtung einer Task Force, die die Notfallpläne der Länder unter die Lupe nimmt und prüft, ob die praktische Umsetzung der Pläne hinreichend geübt wurde.
- Mehr Bundeskompetenzen: Die Maßnahmen zur Eindämmung einer Seuche, dürfen nicht allein bei den einzelnen Ländern und Kommunen liegen. Der Bund braucht hier stärkere Koordinierungskompetenzen, zum Beispiel Weisungsrechte im Rahmen einer Auftragsverwaltung. Außerdem muss die Kompetenz für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung im Pandemie-Fall beim Bund liegen, um ein einheitliches Schutzniveau für alle Bürger von Flensburg bis Freiburg sicherzustellen.
- Schaffung mobiler Einsatzzentralen: Zur Unterstützung der Behörden vor Ort müssen schleunigst die in den Niederlanden bewährten mobilen Einsatzzentralen geschaffen werden.
- Änderung der EU-Impfpolitik: Derzeit darf Geflügel in der EU nicht gegen Vogelgrippe geimpft werden. In den Niederlanden hatte diese Politik 2003 zur Folge, dass ca. 30 Millionen Tiere getötet werden mussten, weil sich die Vogelgrippe in den Geflügelbeständen rasant ausbreiten konnte. Dagegen muss die grüne Devise lauten: Impfen statt töten! Insbesondere Zuchttiere, Zootiere sowie Tiere von Hobbyhaltern und zum Eigenverbrauch müssen geimpft werden, so wie es 2003 erfolgreich in NRW geschehen ist. Impfen trägt zur Eindämmung der Seuche bei und ist aus Gründen des Tierschutzes geboten. Dahinter müssen wirtschaftliche Argumente (Kosten der Impfung, Schwierigkeiten beim Verkauf) zurückstehen.
- Vorhaltung von Vogelgrippe-Medikamente: Die Länder müssen genügend Vogelgrippe-Medikamente für ihre Bevölkerung (sog. Neuraminidasehemmer; z.B. "Tamiflu") vorhalten, mindestens orientiert an NRW für 30 Prozent der Bevölkerung.
Quelle: Berlin [ Bündnis 90 / DIE GRÜNEN ]