BSE, Gammelfleisch und Genfood: Vor welchen Gefahren kann uns Europa schützen?

Ein Interview mit Sebastian Krapohl

Ein Skandal jagt den anderen. Bayern bekommt das Gammelfleisch-Problem anscheinend nicht in den Griff. Was sind die Ursachen dafür? Wir sprachen mit Sebastian Krapohl, Assistent am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen, der über Lebensmittelregulierung forscht.

Herr Krapohl, sind Sie nach fünf Jahren Regulierungsforschung Vegetarier?

Nein, das bin ich nicht. Dafür esse ich zu gerne fränkische Spezialitäten. Aber Spaß beiseite: Wie uns BSE und Gammelfleisch zeigen, birgt der Fleischkonsum zwar bestimmte Risiken, aber die sind im Vergleich zu anderen Risiken sehr klein. Bereits beim Autofahren ist das Risiko zu sterben um ein Vielfaches höher. Außerdem sind Lebensmittel, insbesondere Fleisch, heute natürlich besser reguliert als noch vor zehn Jahren. Der BSE-Skandal hat hier seine Spuren hinterlassen.

Trotzdem bekommt Bayern das Gammelfleisch-Problem nicht in den Griff. Was ist die Ursache?

Die Gammelfleisch-Skandale stellen ein reines Problem des Gesetzesvollzuges dar. Es gibt ausreichend gute und strenge Vorschriften für die Frische von Fleisch und Fleischprodukten. Sie berücksichtigen sowohl die Gesundheitsgefahren als auch unseren Ekel vor jahrelang gelagerten Produkten. Das Problem liegt in der Durchsetzung der Vorschriften. Diese Aufgabe liegt bei den Bundesländern. Es ist deshalb das alleinige Problem der bayerischen Veterinärverwaltung, wenn in Bayern gehäuft solche Skandale auftreten. Offensichtlich fehlt es an hier an Kapazitäten: Es gibt zu wenig Tests, zu wenig Kontrolleure. Diese Kapazitäten muss man erhöhen. Anders geht es nicht.

Fehlende Kontrollen – das erinnert an den BSE-Skandal, in dem jahrelang unentdeckt blieb, dass auch bayerische Rinder betroffen sind. Hat man seitdem nicht dazugelernt?

Die Gammelfleisch-Skandale sind schon etwas anderes als das BSE-Problem in den 90er Jahren. Sicher, damals mangelte es wie heute an Lebensmittelkontrollen, aber im Gegensatz zu BSE gibt es beim Gammelfleisch klare gesetzliche Vorschriften.
In der BSE-Krise fehlte es aber schon an adäquaten Regulierungen. Die Fleischproduktion war damals unterreguliert. Man muss sich das vorstellen: Ein europaweites Verbot von Risikomaterialien wie Rinderhirn, Rückenmark und Nervengewebe gab es erst ab dem Jahr 2000. Das war 14 Jahre nachdem der erste BSE-Fall registriert wurde, und vier Jahre nachdem Großbritannien zugegeben hat, dass von dem Erreger eine Gefahr ausgeht.

Hat die EU seither dazugelernt?

Ja und nein. Sicher, in Hinblick auf BSE gibt es seit dem Jahr 2000 viele schützende Regelungen, wie zum Beispiel das europaweite Verbot, Tiermehl an Rinder zu verfüttern. Das Problem besteht aber darin, dass die Regulierungsinstitutionen der EU nach wie vor sehr schwach sind. Zwar hat man eine neue Europäische Lebensmittelbehörde eingerichtet, die sich mit der Sicherheit von Lebensmittel beschäftigt, aber diese Behörde ist nur beratend tätig. Letztlich entscheiden – wie zu BSE-Zeiten – die Mitgliedstaaten und die Kommission.

Damit besteht immer noch die Gefahr, dass politische Interessen über die Sicherheit unserer Lebensmittel gestellt werden. Im BSE-Fall konnte zunächst England lange Zeit Maßnahmen hinauszögern um seine „Beef“-Industrie zu schützen. Als die Gefahren von BSE bekannt wurden, war dies zwar nicht mehr möglich, aber dann schützten die anderen Mitgliedstaaten ihre Industrie, indem sie britisches Rindfleisch verbannten und keine europaweiten Regulierungen zuließen. Wie das Auftreten von BSE in Deutschland, aber auch in anderen Mitgliedstaaten zeigte, war auch dies keine nachhaltige Strategie. Diese Gefahr, dass Staaten ihre Industrie schützen und nicht an die Sicherheit der Verbraucher denken, besteht nach wie vor.

Ist die EU damit für neue Probleme – wie im Bereich gentechnisch veränderter Lebensmittel – schlecht gerüstet? 

Im Bereich der Gentechnik haben wir noch ganz andere Probleme. Neben dem Problem, ob Genfood für unsere Gesundheit schädlich ist, stehen nämlich noch weitere Konflikte im Raum: Da ist die Frage, ob genveränderte Organismen nicht unser Ökosystem schädigen. Und weiter, ob wir genmanipulierte Lebensmittel wirklich essen wollen – oder ob sie nicht unseren Vorstellungen von „gutem“, das heißt vor allem von natürlichem Essen widersprechen. Die Europäische Lebensmittelbehörde hat aber nur das Mandat, sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen von Genfood zu beschäftigen. Zu Ökologie und Ethik kann sie nichts sagen. Das Problem ist, dass die europäischen Gesetzgeber – die Kommission, das Parlament und die Staaten im Rat – in diesen Fragen bisher nicht zu einer Einigung gekommen sind, so dass sie ungelöste politische Konflikte in die Lebensmittelregulierung hineintragen.

Also liegt in diesem Bereich politischer Sprengstoff?

Ja, das sehen wir schon heute. Die Kommission setzt zum Beispiel den Handel mit Genfood durch, obwohl sich viele Mitgliedstaaten dagegen sträuben. Die müssen aber klein beigeben, da eine Gesundheitsgefahr nicht bewiesen werden kann. Zudem besteht das Problem, dass sich die EU im Rahmen der Welthandelsorganisation zu einem Freihandel „sicherer“ Produkte verpflichtet hat.

Die Schwierigkeiten guter Regulierungspolitik ergeben sich anscheinend auch aus den wirtschaftlichen Einzelinteressen der Mitgliedstaaten. Wie könnte eine erfolgreiche europäische Regulierungspolitik denn aussehen?

Ein Bereich, den Europa erfolgreich reguliert, ist der Arzneimittelsektor. Zwar kann man auch bei Arzneimitteln nicht alle Nebenwirkungen ausschalten – vor allem nicht bei hochwirksamen Medikamenten gegen schwere Krankheiten wie Krebs oder AIDS –, aber einen großen Skandal wie Contergan in den 1960er Jahren hatten wir seit Bestehen der europäischen Arzneimittelregulierung nicht mehr.

Was ist die Ursache für diesen Erfolg?

Der Grund liegt in einem extrem starken Expertennetzwerk: Wir haben in Europa starke nationale Zulassungsbehörden mit hohem Fachwissen, und es gibt eine recht unabhängige Europäische Arzneimittelbehörde. Diese Behörden arbeiten bei der europaweiten Zulassung von Arzneimitteln eng zusammen. Sie erstellen auf der Grundlage von Versuchsdaten Empfehlungen, welche Medikamente zugelassen werden sollen und welche nicht. Diese Empfehlungen müssen zwar von der Kommission und den Mitgliedstaaten bestätigt werden, aber das ist auf Grund der Vorarbeiten durch die nationalen und europäischen Behörden reine Routine. Die politischen Interessen der Länder, zum Beispiel der Schutz der heimischen Pharmaindustrie, werden erfolgreich zurückgedrängt.

Trotzdem haben im Frühjahr sechs junge Männer einen Medikamententest in Großbritannien fast mit dem Leben bezahlt. Nachdem sie das Präparat des Würzburger Unternehmens TeGenero zur Bekämpfung von Leukämie eingenommen hatten, schwollen Kopf, Hals und Gliedmaßen monströs an; einem Opfer mussten Zehen und Finger amputiert werden. Lässt sich das nicht vermeiden?

Das war ein tragischer Fall. Aber so schlimm es klingen mag: Im Prinzip haben diese sechs Menschen für unsere Sicherheit bezahlt. Bei den Tests ist Umsicht geboten, aber verzichten können wir auf sie nicht, wenn wir ähnliche Fälle wie Contergan vermeiden wollen. Wenn wir auf Tests und Vormarktkontrolle verzichten wollten, könnten wir die Risiken nur nach der Marktzulassung bekämpfen – und damit wären wir alle potenzielle Versuchspersonen.

Herr Krapohl, ich danke Ihnen für das Gespräch! 

Zur Person

Sebastian Krapohl beschäftigt sich seit 2001 mit der Regulierungspolitik der Europäischen Union. Er schließt derzeit seine Doktorarbeit zur europäischen Arznei- und Lebensmittelregulierung ab. Er vertritt die These, dass starke, wirksame europäische Regulierungsinstitutionen nur nach großen Skandalen zustande kommen – und auch nur, wenn sie auf nationale Vorschriften aufbauen können. Während Arzneimittel nach dem Contergan-Skandal der frühen 1960er Jahre dank nationaler und europäischer Regulierung heute sehr sicher seien, erscheine die neue Europäische Lebensmittelbehörde als kraftloser Riese. Im Zweifelsfall werde sie sich nicht gegen den Protektionismus von Mitgliedstaaten zur Wehr setzen können.

Sebastian Krapohl ist seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen. Zuvor arbeitete er dort in einem Forschungsprojekt über EU-Regulierungspolitik. Er absolvierte in den Jahren 2004 bis 2005 einen Forschungsaufenthalt am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, ist Absolvent der London School of Economics und studierte im Grundstudium Politikwissenschaft in Bamberg.

Quelle: Bamberg [ Michael Kerler – Uni Bamberg ]

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