Geflügelproduktion: Fakten widerlegen Pauschalurteile

Im Rahmen der internationalen Antibiotika-Awareness-Woche organisierte dieSchweizer Geflügelbranche am 17. November einen Medienanlass zur Situationbezüglich Antibiotikaresistenzen in der Geflügelfleischproduktion. Prof.Dr. Roger Stephan, wohl profiliertester Experte auf diesem Gebiet,präsentierte in seinem Fachreferat wissenschaftliche Fakten, die negativePauschalurteile der Medien und der Öffentlichkeit widerlegen. NamhafteVertreter der Geflügelbranche bestätigten die im internationalen Vergleichsehr gute Situation beim Schweizer Geflügel und die grossen Anstrengungender Inlandproduktion, den Antibiotika-Einsatz und die Verbreitung resistenterKeime zu minimieren...

Dem Aviforum gelang es, für den Medienanlass vom 17. November in Zollikofeneine äusserst kompetente Person im Gebiet der Antibiotikaresistenzen fürein Input-Referat zu gewinnen: Prof. Dr. Roger Stephan vom Institut fürLebensmittelsicherheit der Universität Zürich. Er leitete mehrereUntersuchungen zur Resistenz-Problematik bei Geflügel und Geflügelfleischund wurde mehrfach für Auskünfte in den Medien angefragt.

PAUSCHALVORWÜRFE WISSENSCHAFTLICH NICHT BESTÄTIGT

Prof. Stephan beleuchtete die Problematik aus wissenschaftlicher Sicht underläuterte eingangs die verschiedenen Wirkmechanismen der Antibiotika undder Resistenzen. Die beim Geflügel am häufigsten vorkommendenmultiresistenten Keime sind ESBL-Bildner, die eine breite Gruppe vonAntibiotika-Wirksubstanzen wie «Scheren» zerschneiden und so inaktivieren.Die Anfang 2016 neu entdeckten und gefürchteten Resistenzen gegen Colistin,einem wichtigen Reserveantibiotikum, sind hingegen bislang nur aufImport-Geflügelfleisch nachgewiesen worden; Schweizer Geflügelfleisch wardavon nicht betroffen.

Die Tatsache, dass ESBL-bildende Bakterien beim Geflügel häufig gefundenwerden, erzeugte in den Medien wiederholt ein grosses Echo: Wann immer vonresistenten Keimen die Rede ist, wird das Geflügel als schlechtes Beispielvorgeführt, so Stephan. Ohne Kenntnis der genauen Sachlage werden in denMedien und in der öffentlichen Meinung vorschnelle Schlussfolgerungengezogen, wonach:

1. die Situation auf einen übermässigen Einsatz von Antibiotika in derTierproduktion zurückzuführen sei,

2. das Geflügel hauptverantwortlich für die Resistenzen beim Menschen sei,

3. auf dem Geflügelfleisch grosse Mengen multiresistenter Keime vorzufindenseien.

Alle drei Behauptungen seien aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar, wieStephan mit entsprechenden Studienresultaten, teils aus seinem Institut,belegen konnte. Seine Erkenntnisse und Argumente lassen sich wie folgtzusammenfassen:

  • Die Antibiotika-Behandlungsrate in Schweizer Geflügelbeständen istinternational auf sehr tiefem Niveau; weniger als jede 10. Herde mussbehandelt werden. Es kann also nicht von einem flächendeckenden,missbräuchlichen Antibiotikaeinsatz gesprochen werden.
  • Die Resistenz-Gene befinden sich auf sogenannten Plasmiden, die einfachzwischen Bakterien übertragen werden können. Solche Plasmide sind schon beiden importierten Elterntierküken auffindbar und werden vertikal über dasBrutei auf die Küken übertragen. Diese Resistenzen werden durch dieinternationale Vermehrungspyramide beim Geflügel weitergegeben und tretenalso nicht erst in der Schweizer Geflügelhaltung auf.
  • Die in Schweizer Geflügelbeständen eingesetzte Wirksubstanzen (v.a.Fluorchinolone) verursachen in der Regel nicht jene Resistenzen, die beiKeimen auf dem Geflügelfleisch gefunden werden.
  • Mit Hilfe einer genaueren Typisierung multiresistenter Keime lässt sichderen Verbreitungsweg ableiten. Entsprechende Untersuchungen haben gezeigt,dass beim Menschen andere ESBL-Typen dominieren als beim Geflügel; der beimMenschen mit 41% am häufigsten vorkommende Typ wurde beim Geflügel nichtgefunden.
  • Mittels aufwendiger Anreicherungs-Verfahren kann zwar häufig dieExistenz von ESBL-bildenden Keimen auf Geflügelfleisch nachgewiesen werden.Es zeigte sich aber, dass solche Keime nur in geringen Mengen aufGeflügelfleischproben vorkommen. Gemäss einer Untersuchung von Prof.Stephan waren nur bei 1,8% von 450 Geflügelfleischproben ESBL-Bildnerquantitativ nachweisbar (durch Auszählung der Keime bei üblicherNachweisgrenze).

Stephan hält fest, dass die Resistenz-Problematik sehr komplex sei und dassdie Schweizer Geflügelbranche schon sehr viel mache. Insbesondere habe einewissenschaftlich fundierte Risikoanalyse stattgefunden. Diese zeige, dass dieZahlen zum Vorkommen von ESBL-Keimen beim Geflügel viel zu kurz greifen undplakative Behauptungen der Situation nicht gerecht würden.

AUCH KONSUMENTEN IN DER VERANTWORTUNG

In der Geflügelfleischproduktion könne auch der Schlachthof alszusätzliche Interventionsstufe einbezogen werden, so Stephan. Noch nichtzugelassen, aber in Diskussion sind Verfahren zurSchlachtkörperdekontamination (Reduktion der Bakterienbelastung z.B. mitPeressigsäure). Der Vorteil solcher Massnahmen: Sie wirken sowohl gegenresistente Keime als auch gegen Campylobacter.

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