Autonome Metzgerei: Digitale Lösungen auf der SÜFFA
Der viel diskutierte Fachkräftemangel in Deutschland ist längst kein theoretisches oder zukünftiges Problem mehr, sondern allerorten spürbar. Einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge blieben zum Jahreswechsel bereits mehr als eine halbe Million Stellen unbesetzt. Neben Sozialberufen oder Informationstechnik ist das Handwerk besonders betroffen. Auch zahlreiche Metzgereibetriebe müssen aufgrund fehlenden Personals bereits ihre wöchentlichen Öffnungszeiten verkürzen oder Filialen schließen. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts fällt bis Mitte der 2030er Jahre knapp ein Drittel der heute Erwerbstätigen weg, wenn die Generation der Babyboomer in Rente geht. Dennoch sind Existenzängste unangebracht. Vielmehr gilt es, die Situation nüchtern zu bewerten und nach praktikablen Lösungsansätzen zu suchen – die oft unerwartete neue Chancen bergen. Die Stuttgarter SÜFFA, Fachmesse für die Fleischbranche, greift das ebenso brisante wie vielschichtige Thema im Rahmen einer digitalen Pressekonferenz auf (28.6.2023).
Vernetzung und Austausch auf der SÜFFA
„Als eine der wichtigsten Branchenplattformen informiert die SÜFFA auf über 20.000 Quadratmetern umfassend darüber, wie Metzgereibetriebe auf neue oder geänderte Anforderungen reagieren können“, sagt Andreas Wiesinger, Mitglied der Geschäftsleitung der Messe Stuttgart. „Die Messebesucherinnen und -besucher erwarten technische Innovationen und maßgeschneiderte Lösungen für Produktion oder Verkauf ebenso wie qualifizierte und kompetente Hilfe bei Investitionsentscheidungen oder in Personalfragen. Insgesamt wollen wir das Handwerk stärker in den Mittelpunkt rücken, gleichzeitig die Messe noch etwas internationaler aufstellen und dadurch den Community-Gedanken stärken, denn Vernetzung und Austausch sind im digitalen Zeitalter wichtiger denn je. Das betrifft insbesondere die Frage des Fachkräftemangels, dem auf ganz unterschiedliche Weise begegnet wird. Die SÜFFA zeigt, was möglich ist.“
Berufsbild in der Öffentlichkeit: „Attraktivität steigern“
Grundlegend wichtig sei es, die Attraktivität der Berufsbilder im Fleischerhandwerk „in der öffentlichen Wahrnehmung zu steigern, Interesse zu wecken und Karrierechancen aufzuzeigen“, betont Wolfgang Herbst, stellvertretender Landesinnungsmeister des Landesinnungsverbands für das Fleischerhandwerk in Baden-Württemberg e.V. Durch gezielte Arbeit an Schulen, „offene Türen“ oder Schnupperlehren könne der Verband hier aktiv Hilfestellung leisten. Letztlich liege es aber bei den Betrieben vor Ort, junge Menschen an der Schwelle zum Berufsleben von den Vorzügen des eigenen Unternehmens zu überzeugen. Wer fähige Nachwuchskräfte gewinnen und halten wolle, müsse dies heute „vielschichtig kommunizieren und vor allem etwas bieten“. Darum engagierten sich viele Betriebe zusätzlich in Bereichen wie Gesundheitsvorsorge und Weiterbildung, kämen für die Kosten eines Führerscheins oder – bei entsprechenden Leistungen – gar einer Meisterprüfung auf. Ein wichtiges Instrument zur Imagepflege seien nicht zuletzt die auf der SÜFFA ausgetragenen Berufsschulwettbewerbe. „Ich bin immer wieder aufs Neue beeindruckt von den fantastischen Ergebnissen, die dort präsentiert werden“, schwärmt Herbst. „Bei allen aktuellen Problemen macht dies Hoffnung für die Zukunft.“
Hochmotivierte Fachkräfte aus Indien
Die Nachwuchsgewinnung gehöre zu den großen Herausforderungen der kommenden Jahre, meint auch Joachim Lederer, Landesinnungsmeister des Landesinnungsverbands für das Fleischerhandwerk in Baden-Württemberg e.V. „Gutes Personal ist das wichtigste Kapital eines Unternehmens. Neben einer zielgruppenorientierten Werbung für unser Handwerk ist die Integration ausländischer Bewerber unabdingbar, denn ohne Integration werden wir unseren Fachkräftebedarf mittelfristig nicht decken können. Wie lange wollen wir noch warten?“ In Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer Freiburg hat die Fleischer-Innung Lörrach-Waldshut Ende 2020 ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, in dessen Rahmen junge Menschen aus Indien für eine Ausbildung in der deutschen Fleischbranche gewonnen werden sollen. Mit den hochmotivierten Nachwuchskräften, die bislang nach Südbaden gekommen seien, habe man gute Erfahrungen gemacht, berichtet Lederer. „Das Projekt ist so gut angelaufen, dass wir bei Medien und Politik inzwischen hohe Aufmerksamkeit genießen, und das weit über die Landesgrenzen hinaus.“
Finden und binden: „Mehr ist mehr“
Eyüp Aramaz, Geschäftsführer der deutschlandweit tätigen Marketing- und Recruiting-Agentur Aramaz Digital und Dozent für Social Media, Personalmarketing & Arbeitgebermarkenbildung an der FHM Bielefeld, sieht einen Lösungsansatz in maximal zielgruppenorientierter Mitarbeiterwerbung: „Durch den demografischen Wandel, die Digitalisierung und insbesondere die sozialen Medien herrschen heute ganz andere Verhältnisse als noch vor wenigen Jahrzehnten. Eine Anzeige in einer Zeitung oder Fachzeitschrift genügt nicht mehr, wenn man gute Mitarbeitende finden will. Heute ist Omnipräsenz das A und O – mehr ist tatsächlich mehr. Wir verfolgen daher eine ganzheitliche Strategie. Das gilt vor allem für das Smartphone, das in Sachen Nutzungsdauer traditionellen Medien längst den Rang abgelaufen hat.“ Dank moderner Bewerbungsmanagementsysteme werde der Bewerbungsprozess zudem stark vereinfacht, automatisiert und zentralisiert. Effiziente digitale Einarbeitungsprozesse und Benefit-Systeme sorgten danach für eine langfristige Bindung einmal gewonnener MitarbeiterInnen an den Betrieb.
Metzgerei 24/7: „Geschäftsmodell überdenken“
Wo trotz aller Anstrengungen kein qualifiziertes Personal aufzutreiben ist, kann die Technik weiterhelfen. Die Friedberger SmartStore24 GmbH bietet vollständig digitale Shop-Systeme an, die eine Fülle neuer Möglichkeiten eröffnen. So können Schließzeiten vermieden, Öffnungszeiten beliebig verlängert, Filialen erhalten oder sogar neu eröffnet werden – bei optimaler Verfügbarkeit des Sortiments. „Metzgerinnen und Metzger müssen über ihr Geschäftsmodell nachdenken“, sagt Geschäftsführer Michael Kimmich. Die SmartStore-Systeme ermöglichten „eine strategische Wende“ und seien damit weit mehr als Automaten, die lediglich „ein kleines Zusatzgeschäft versprechen“. Wie funktioniert das Ganze? „Die KundInnen betreten mittels EC-Karte oder Registrierungscode die Verkaufsstelle – ein klassisches Ladengeschäft oder einen Verkaufscontainer. Drinnen finden sie einen kompletten SB-Laden vor. Am Schluss scannt die Kasse per RFID-Tag die gewählten Produkte, bucht den Endpreis ab und gibt gleichzeitig eine Inventar-Rückmeldung an den Betreiber oder die Betreiberin.“ Von den zwölf Standorten, an denen die Systeme bislang zum Einsatz kommen, erhalte man vielversprechende Rückmeldungen, „mit bis zu fünfstelligen Umsätzen pro Woche“, freut sich Kimmich, der bereits weitere Projekte in Planung hat. „Da wir mit verschiedenen Partnern zusammenarbeiten, können wir innerhalb von sechs Wochen eine Verkaufsstelle an einem gewünschten Standort anbieten.“
Ohne Personal: „Atmosphäre und Wertigkeit vermitteln“
Wer ganz ohne Mitarbeiter vor Ort auskommen will oder muss, steht vor neuen Problemen. „Wichtig ist, die Corporate Identity des Unternehmens konsequent fortzusetzen“, erklärt Winfried Groß, Geschäftsführer der Schrutka-Peukert GmbH, Ladenbauer in Kulmbach. „Die Kundschaft erwartet eine bestimmte Atmosphäre und eine über Jahre erarbeitete Wertschätzung. Deshalb haben wir Kühlmöbel entwickelt, die mit einem typischen SB-Geschäft nicht vergleichbar sind und in Farbgebung, Material und Lichtgestaltung die Wertigkeit eines Fachgeschäfts vermitteln.“ Je nach räumlichen Gegebenheiten seien auch Hybrid-Lösungen denkbar, bei denen ein Teil des bestehenden Ladengeschäfts abgeschottet wird und der Rest außerhalb der regulären Öffnungszeiten zugänglich bleibe. „Für die Theke empfehlen wir einen energieeffizienten Aufsatz, der für Bedienung und Selbstbedienung gleichermaßen nutzbar ist. Daneben besteht die Möglichkeit, auch zu den regulären Öffnungszeiten Selbstbedienungsprodukte einzukaufen und den Vorgang über ein Zahlungsterminal abzuschließen. Auf diese Weise entfällt die Besetzung einer klassischen Kasse.“ Reine Verkaufscontainer-Filialen wiederum eröffneten zahlreiche Möglichkeiten der Nahversorgung und damit ganz andere Marktsegmente: „Hier können sich Metzgereien neu platzieren.“
Über die SÜFFA
Auf der SÜFFA in Stuttgart kommen Menschen und Märkte zusammen. Sie ist der Branchentreff für das Fleischerhandwerk und die mittelständische Industrie. In den Hallen präsentieren sich ausstellende Unternehmen aus den Bereichen Produktion, Verkauf und Ladenausstattung dem kompetenten Fachpublikum. Die SÜFFA-Specials lassen die Messe zusätzlich zu einem Ereignis werden, das kein Fachbetrieb verpassen darf.