Handel zahlt höhere Preise, als es die Schweinehälftennotierung hergibt
Der Preis für Schweinefleisch erreicht einen neuen Tiefpunkt. Doch der Handel zahlt den Bauern Aufschläge und hält sich mit Aktionen zurück. Gleichwohl fordert er Wursthersteller dazu auf, ihre Preise an die günstigere Rohware anzupassen. Der Ein- und Verkauf von Schweinefleisch wird für den Lebensmittelhandel immer mehr zur politischen Herausforderung. Während unter dem Druck des Überangebots auf Erzeugerseite die Notierungen von vormals 2,30 (noch im Juli bei 1,42€) auf 1,25 Euro pro KG Schlachtgewicht abstürzen, halten sich Discounter und Supermärkte zurück, den Absatz mit niedrigeren Preisen anzukurbeln.
"Der Handel ist stark eingeschüchtert", konstatiert Hans-Richard Schneeweiß, Chef von Edeka Hessenring. Die Rücksicht auf die öffentliche Meinung veranlasse die Händler zu dem Versuch, die Gesetze von Angebot und Nachfrage auszuhebeln. Die Bauern protestieren in diesen Tagen wieder vor den Läden, Bundesministerin Julia Klöckner droht sogar mit gesetzlichen Niedrigpreis-Verboten. Landwirtschaft und Politik nehmen den Lebensmittelhandel in die Pflicht für eine Entwicklung, auf die der als Abnehmer von kaum einem Drittel der Menge nur begrenzten Einfluss hat. Zudem sind direkte Lieferbeziehungen zu Bauen eher die Ausnahme. Dennoch unternehmen die Edeka-Regionen Nord, Südwest und Südbayern den Versuch, wenigstens die Lieferanten ihrer Regionalprogramme vor dem finanziellen Kollaps zu bewahren. Sie sichern ihnen mit einem Aufpreis auf den aktuellen Marktpreis ein Minimum von 1,40 Euro pro KG Schweinefleisch. Kaufland führt Mindestnotierung für Haltungsform 2 ein Rewe zahlt bereits seit Ende 2020 Preise, die dem Marktniveau vor Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest und dem Zusammenbruch des Exportmarktes entprechen. Ab September 2021 werden die zusätzlichen Zahlungen noch einmal erhöht. Lidl hält schon seit mehr als einem Jahr am Preisniveau vor Beginn der Afrikanischen-Schweinepest-Krise fest und zahlt seinen Lieferanten Preise, die auf eine Notierung von über 1,45 Euro pro Kilogramm Schweinefleisch beruhen – auch wenn die Notierung darunter liegt. Trotz des Einbruchs der Notierung seien auch die Beschaffungspreise nicht nachverhandelt worden, betont der Discounter. Aldi Nord erklärt dazu, man führe "keine direkten Vertragsbeziehungen mit Landwirten, und Preisabsprachen oder -vorgaben an unsere Lieferanten sind durch das Kartellamt reglementiert."
Kaufland führt eine Mindestnotierung für Schweinefleisch aus Haltungsform Stufe 2 ein. Die Lieferanten erhalten mindestens 1,40 Euro/kg Schweinefleisch. Der Discounter verweist auf die Gespräche, die er seit Monaten mit Landwirten, Verarbeitern und Politik führt, betont jedoch zugleich, dass Preise das Ergebnis von Angebot und Nachfrage auf internationalen Märkten seien. Der Handel sei nur einer von mehreren Abnehmern. Es sei Sache der Politik, den Wandel der Landwirtschaft zu unterstützen und langfristig zu einer finanziellen Entlastung der Landwirte beizutragen. Vor allem brauche es aber weiterhin eine konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten, so der Appell des Discounters. Verteilungskämpfe gehen weiter Die Verteilungskämpfe sind damit nicht beendet. Die Fleischwarenindustrie sieht sich etwa von der Edeka-Zentrale mit der Forderung konfrontiert, die derzeitigen Kostenvorteile beim Fleischeinkauf in niedrigere Preise umzumünzen. Den geltenden Verträgen liegen meist noch Notierungen von 1,50 Euro/kg zugrunde. Irgendwo in der Wertschöpfungskette aus Züchtern, Mästern, Schlachtern, Verarbeitern und Vermarktern bleibe derzeit "Geld ohne Ende hängen", meint ein Beteiligter. Die Frage sei, wo die Industrie möchte diesen Vorteil verrechnen und verweist auf gestiegene Kosten für die Beendigung der Werkverträge, für Transport, Energie und Verpackung. Der Handel wiederum vermutet, dass die Lieferanten höhere Renditen einstreichen. An die Bauern jedenfalls gäben die Hersteller das Geld nicht weiter, sind Handelsmanager überzeugt.
Aus der Fleischbranche wiederum heißt es, der Handel erziele wegen des Aktionsverzichts deutlich höhere Margen von bis zu 35 Prozent. Aktionen bringen nur einstellige Spannen. Europaweit ist zu viel Schweinefleisch auf dem Markt. Wegen der Afrikanischen Schweinepest haben die Exportländer, allen voran China, ihre Grenzen dichtgemacht. Corona-Maßnahmen vermindern dauerhaft die heimische Nachfrage, zusätzlich verdirbt der verregnete Sommer das Grillgeschäft, und ohnehin geht die Nachfrage tendenziell zurück. Die Zahl der wöchentlichen Schlachtungen in Deutschland ist mit 850.000 weit von früheren Höchstständen von 1,1 Millionen entfernt und wird sich weiter verringern. Vor allem die konventionelle Schweinehaltung gerät dadurch zunehmend unter Druck. Der Abstand zwischen den historisch niedrigen Erzeugerpreisen und den opportunistischen Ladenpreisen wird immer größer. Lebensmittelzeitung 02.09.21