Zwei Jahre Lebensmittelklarheit.de unterschiedlich gewürdigt
Lebensmittelwirtschaft, Verbraucherschützer und Politik beurteilen Verbraucherportal sehr unterschiedlich
Seit gut zwei Jahren existiert das Verbraucherschutzportal lebensmittelklarheit.de. Zum Jubiläum zeigt sich wieder die doch sehr unterschiedliche Bewertung dieses vom Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz finanzierte und von der Verbraucherzentrale Bundesverband und Verbraucherzentrale Hessen redaktionell betreute Portal. Wir haben das im Folgenden dokumentiert:Zunächst die Stellungnahme des Bundesministeriums:
Interesse am Internetportal lebensmittelklarheit.de ungebrochen
Zwei Jahre nach dem Start täglich neue Anfragen
[BMLEV] Zwei Jahre nach dem Start des Internetportals www.lebensmittelklarheit.de ist das Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher ungebrochen: 7.300 Produktmeldungen und 3.700 Fachfragen an die Experten sind seit dem Start eingegangen.
Derzeit verzeichnen die Portalbetreiber Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und Verbraucherzentrale Hessen täglich bis zu fünf Produktmeldungen. "Das Portal hat den Verbrauchern eine Stimme gegeben und einen neuartigen Dialog zwischen Verbrauchern und Wirtschaft auf den Weg gebracht. Es lohnt sich, dies weiter auszubauen", sagte Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner anlässlich des zweijährigen Bestehens von www.lebensmittelklarheit.de.
Aus diesem Grund hat das Bundesverbraucherministerium im April 2013 die Förderung des überarbeiteten Projekts bis Ende 2014 verlängert. So wird das Portal in Zukunft Verbraucher und Wirtschaft noch aktiver einbinden. Über Umfragen und Rückmeldeoptionen können Verbraucher Position beziehen und der Redaktion mitteilen, ob Informationen für sie hilfreich waren. Damit fragwürdige Kennzeichnungen schnell vom Markt verschwinden, sollen zeitnah Lösungen mit Anbietern gefunden werden. Mehr Dialogforen mit Wirtschaft und Verbänden sollen dafür sorgen, Kennzeichnungsprobleme zwischen den direkt Betroffenen zu lösen.
Dass das Dialogprinzip funktioniert, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass rund 90 Prozent der Hersteller, die Anfragen aus dem Portal bekommen, darauf reagieren. Bei knapp 30 Prozent der im Portal diskutierten Produkte haben die Hersteller die Aufmachung oder Kennzeichnung der Produkte geändert. "Den Kunden zuzuhören lohnt sich für die Hersteller. Verbraucherinnen und Verbraucher haben nach dem geltenden Lebensmittelrecht einen Anspruch auf klare und wahre Kennzeichnung und erwarten dies auch. Täuschung und Irreführung sind verboten. Wer das als Hersteller ignoriert, muss auch in Kauf nehmen, dass er bei den Kunden nicht so gut dasteht", so Aigner.
Doch das Projekt verbessert auch die Datengrundlage, um zu erkennen, ob und wo Bedarf zur Weiterentwicklung der Regelungen zur Lebensmittelkennzeichnung besteht. Aus diesem Grund ist die Begleitforschung zum Portal fester und wichtiger Bestandteil des Projekts. Sie liefert repräsentative Daten, die auch in laufende Diskussionen, zum Beispiel zur Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln, einfließen.
Da sich immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher eine verlässliche Kennzeichnung regional erzeugter Produkte wünschen, hat das BMELV in fünf Regionen ein sogenanntes "Regionalfenster" auf Lebensmittelverpackungen testen lassen. Die Ergebnisse werden derzeit ausgewertet und sollen die Grundlage bilden für eine freiwillige Kennzeichnung regional erzeugter Produkte nach einheitlichen und nachvollziehbaren Kriterien.
Hintergrund
Ziel des Internetportals www.lebensmittelklarheit.de ist es, Täuschungen für Verbraucher in der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln zu erkennen, darzustellen und zu vermeiden. Verbraucher erhalten Informationen zum geltenden Kennzeichnungsrecht und können Beispiele für Produkte einsenden, von deren Aufmachung sie sich getäuscht fühlen. Die Portalbetreiber, Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und Verbraucherzentrale Hessen, prüfen die von Verbrauchern eingesandten Beispiele, holen Stellungnahmen der Hersteller ein, veröffentlichen das Ergebnis der Prüfung und bieten Interessierten die Möglichkeit zur Diskussion.
Die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) lobt sich für getane Arbeit und verspricht eine aktive Zukunft:
Lebensmittelkennzeichnung: Klartext statt Verbrauchertäuschung
lebensmittelklarheit.de zeigt seit zwei Jahren politischen Handlungsbedarf
[vzbv] Das Projekt Lebensmittelklarheit der Verbraucherzentralen und des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) zieht zum zweiten Jubiläum eine positive Bilanz. Auf dem gleichnamigen Onlineportal können Verbraucher auf Produkte hinweisen, von deren Aufmachung und Kennzeichnung sie sich getäuscht fühlen. Mehr als 7.300 Produktmeldungen sind bislang eingegangen, rund 3.700 Anfragen wurden an das Expertenforum gestellt. „Der Erfolg von Lebensmittelklarheit zeigt: Verbrauchertäuschung ist kein Einzelfall. Der politische Handlungsdruck ist hoch“, sagt Gerd Billen, Vorstand des vzbv. Fehlendes Verbrauchervertrauen belegt auch eine infas-Studie im Auftrag des vzbv. Demnach vermuten zwei von drei Verbrauchern große Missstände am Lebensmittelmarkt – und Produkte, die sie täuschen oder schädigen können.
Auf www.lebensmittelklarheit.de wurden seit Juli 2011 rund 360 Produktmeldungen nach fachlicher Prüfung und mit Stellungnahme der Hersteller veröffentlicht. Sie stehen exemplarisch für mehr als 1.500 berechtigte Verbraucherhinweise. Dabei werden Themenbereiche immer wieder aufgegriffen, unterschiedliche Hinweise beziehen sich auch auf dasselbe Produkt oder eine ähnliche Problematik. Viele Verbraucher fühlen sich durch Begriffe und Bilder auf Verpackungen getäuscht, etwa durch prominente Abbildungen von Zutaten, die nur in geringer Menge enthalten sind, oder unrealistische Serviervorschläge. Auch die unklare Kennzeichnung von Zusatzstoffen, Aromen und regionalen Produkten wird als häufiges Problem genannt.
Jeder dritte Anbieter hat reagiert und die Aufmachung seines Produkts angepasst. Gerd Billen: „Es ist gut, dass einzelne Unternehmen reagieren, aber das reicht nicht. Wir brauchen verbindliche Vorgaben für alle. Da hat sich nach wie vor nichts getan.“
Mehr Transparenz für Verbraucher
Lebensmittelklarheit fordert mehr Transparenz für Verbraucher durch richtige, eindeutige und verständliche Informationen auf Produkten. „Wir brauchen mehr Klartext für Lebensmittel. Dafür muss die neue Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern sorgen“, so Billen. Das bedeutet im Einzelnen:
- Klare Bezeichnung von Lebensmitteln auf der Vorderseite: Die Verkehrsbezeichnung, also eine klare Beschreibung des Lebensmittels, gehört auf die Schauseite der Verpackung. Sie muss sich am Verbraucherverständnis orientieren.
- Kein Versteckspiel bei Zutaten: Zutatenlisten gehören auf alle Verpackungen. Die bisherigen Ausnahmen wie bei Milchprodukten und alkoholischen Getränke sind zu beseitigen.
- Was gezeigt wird, muss enthalten sein: Die Abbildungen auf Lebensmittelverpackungen müssen der Wirklichkeit entsprechen, auf den Einsatz von Aromen muss auf der Schauseite hingewiesen werden. Zudem muss der Anteil aller Zutaten, die in Wort oder Bild hervorgehoben sind, angegeben sein.
- Ursprung und Herkunft nicht verschleiern: Angaben wie „hergestellt für …“ sind nicht aussagekräftig. Verbraucher wollen den Hersteller und den Ursprung der Rohstoffe wissen.
- Qualitäten definieren: Es sind eindeutige Regeln nötig, wann Unternehmen mit Qualitätseigenschaften wie Region, Tierschutz oder Tradition werben dürfen. Zudem sollten Angaben wie „ohne Konservierungsstoffe“ nur zulässig sein, wenn keine Zutaten mit gleicher Wirkung enthalten sind.
Neu: Verbraucher setzen Themenschwerpunkte
„Um Änderungen anzustoßen, ist die Sicht der Verbraucher unverzichtbar. Sie sind weiterhin aufgefordert, sich einzubringen“, sagt Hartmut König, fachlicher Projektleiter Lebensmittelklarheit. Neu ist, dass Verbraucher ab sofort über Themenschwerpunkte entscheiden können, zu denen auf dem Onlineportal Informationsbeiträge, Produktdarstellungen und Expertenfragen gebündelt werden. Zur Auswahl stehen aktuell die drei Themen Regionalität und Herkunft, Natürlichkeit und Tradition sowie Tierschutz.
Das Projekt Lebensmittelklarheit wird durch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) gefördert. Das BMELV hat die Förderung im April dieses Jahres bis Ende 2014 verlängert
Die SPD hat zusätzliche Ideen:
Verbraucherportal „Lebensmittelklarheit“ ausbauen und Marktwächter einführen
Anlässlich des zweijährigen Bestehens von www.lebensmittelklarheit.de erklären der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Ulrich Kelber und die verbraucherpolitische Sprecherin Elvira Drobinski-Weiß:
Nach zwei Jahren www.lebensmittelklarheit.de steht fest: Das Portal war ein Erfolg und muss gestärkt, die Verbraucherzentralen zu Marktwächtern ausgebaut werden.
Das Internetportal Lebensmittelklarheit gibt Verbraucherinnen und Verbrauchern in Bezug auf die Gestaltung von Produkten, deren Kennzeichnung oder Bewerbung Orientierung. Viele Lebensmittel entsprechen in ihrer Zusammensetzung nicht mehr dem, was Verbraucherinnen und Verbraucher aufgrund der Verkehrsbezeichnung und des Zutatenverzeichnisses erwarten. Produktverpackung und Werbung suggerieren eine Qualität oder Herkunft, die oft nicht drin steckt. Das Portal bietet auch Raum für Diskussionen und Verbraucherinnen und Verbraucher können darüber hinaus konkrete Produkte benennen, durch die sie sich getäuscht fühlen. In den zwei Jahren seit Bestehen des Portals wurde reger Gebrauch von diesen Möglichkeiten gemacht. So gab es fast 18.000 Anfragen in 2012. Dies zeigt, wie groß der Bedarf an einer umfassenden Marktbeobachtung im Bereich Lebensmittel ist.
Wir brauchen daher einen Marktwächter für den Lebensmittelmarkt. „Marktwächter“ sind vom Staat beauftragte zivilgesellschaftliche Verbraucherschutzorganisationen ohne hoheitliche Befugnisse wie die Verbraucherzentralen. Sie sollen den Markt beobachten, unlautere Praktiken aufspüren, Hinweise systematisch erfassen, Missstände an die staatliche Aufsicht weitergeben und zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher auch juristisch gegen unseriöse Anbieter vorgehen.
Das Portal www.lebensmittelklarheit.de muss zudem weiter ausgebaut werden. Überkomplexe Anbieterinformationen, die Verwendung von unpassenden Abbildungen (zum Beispiel Hühner auf der Wiese trotz Bodenhaltung) und unklare Verkehrsbezeichnungen verwirren viele Verbraucherinnen und Verbraucher und müssen ein Ende finden. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dies in den letzten Haushaltsberatungen gefordert.
Die Lebensmittelwirtschaft relativiert den Erfolg des Portals und meint, dass das Portal Täuschungen suggeriere:
Ernährungsindustrie für echte Transparenz, gegen suggerierte Täuschung
[BVE] Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) zieht zum zweijährigen Bestehen des vom Bundesministerium für Ernährung Landwirtschaft und Verbraucherschutz geförderten Internetportals „Lebensmittelklarheit“ Bilanz:
Die Branche unterstützt das Ziel, den Dialog zwischen Verbrauchern und Lebensmittelherstellern weiter zu fördern. Echte Transparenz setzt jedoch objektive und verständliche Informationen voraus, nicht subjektive und politisch motivierte Beurteilungen.
„Lebensmittelhersteller, die sich an die gesetzlichen Vorgaben zur Kennzeichnung und Aufmachung ihrer Produkte halten, dürfen nicht auf einem staatlich geförderten Portal der unlauteren Täuschung beschuldigt werden.“ sagt Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der BVE, „An dieser Grundsatzkritik ändern auch die in konstruktiver Zusammenarbeit von Ernährungsindustrie und Verbraucherzentralen erzielten Verbesserungen nichts.“.
Die Bedürfnisse der Verbraucher bestimmen das Lebensmittelangebot, dafür stehen die Unternehmen der Ernährungsindustrie jährlich mit hunderttausenden ihrer Kunden über zahlreiche Informationskanäle in Kontakt.
Der direkte Dialog zeigt, dass die Veröffentlichungen auf dem Portal nach wie vor nur ein sehr individuelles Meinungsbild marginaler Relevanz widerspiegeln. Täglich und zuverlässig versorgt die Branche mit hochwertigen und preiswerten Lebensmitteln 80 Millionen Verbraucher in Deutschland, nur 1500 Verbraucherhinweise lösten in den letzten 2 Jahren Veröffentlichungen in dem Portal aus. Es braucht keinen staatlich finanzierten Pranger für Lebensmittelhersteller, 91% der Verbraucher sind mit der Qualität und Vielfalt der Lebensmittel in Deutschland zufrieden, das belegt eine repräsentative Umfrage von Infratest dimap im Auftrag des BMELV (2013).
Quelle: Berlin [ Thomas Pröller ]