Krebs durch Konsum nitritgepökelter Fleischerzeugnisse?
Zusammenfassung
Die Nitritaufnahme des Durchschnittsverbrauchers aus nitritgepökelten Fleischerzeugnissen wird mit den Nitritbelastungen aus anderen Quellen verglichen; diese sind die Reduktion von Nitrat aus der Nahrung, hauptsächlich aus der pflanzlichen Nahrung, und die endogene Synthese von Stickstoffmonoxid, NO. Nitrit aus Fleischerzeugnissen stellt nur einen Bruchteil der gesamten Nitritbelastung dar. Zur Frage eines Zusammenhangs zwischen dem Verzehr nitritgepökelter Fleischerzeugnisse und Krebs des Magens oder Gehirns werden diesbezügliche epidemiologische Untersuchungen kritisch gesichtet. Ein Hinweis auf einen Zusammenhang der beiden Parameter kann aus den betrachteten Untersuchungen nicht abgeleitet werden.
Einleitung
Die Frage, ob die Anwendung von Nitrit im Nitritpökelsalz bei der Herstellung von Fleischerzeugnissen zu einer Gesundheitsgefährdung führt, ist so alt wie die Kenntnisse über Vergiftungen durch Nitrit und wie das Wissen, dass aus Nitrit und Aminen unter bestimmten Umständen Krebs erzeugende Nitrosamine entstehen können, und zwar auch in Fleischerzeugnissen. Die Diskussion hat sich unlängst neu entzündet an der Frage, ob eine ökologische Lebensmittelerzeugung mit der Anwendung von Nitritpökelsalz vereinbar ist (LÜCKE, 2003).
Diese Diskussion wird von verschiedenen Seiten geführt, dabei werden wissenschaftliche, gesundheitspolitische, verbraucherpolitische, marktpolitische und emotionale Positionen vertreten und vermischt. Im vorliegenden Beitrag sollen aus wissenschaftlicher Sicht zwei Hauptfragen diskutiert werden:
- Welchen Mengen Nitrit ist der Durchschnittsverbraucher aus gepökelten Fleischerzeugnissen ausgesetzt und wieviel aus anderen Quellen?
- Wird durch den Konsum von Nitrit-gepökelten Fleischerzeugnissen die Häufigkeit von Krebserkrankungen erhöht?
Diese Fragen sind auch Gegenstand eines vom Katalyse-Institut e. V. (Köln) verbreiteten Gutachtens (rz-consult, 2000), welches zu der Schlussfolgerung kommt, dass aus Untersuchungen „eine teilweise drastische Risikoerhöhung für diverse Karzinomarten bei verstärktem Konsum von nitrat- und nitritgepökelten Fleischund Wurstwaren erkennbar ist“. Die Angaben und Folgerungen dieses Gutachtens müssen jedoch kritisch hinterfragt werden.
Nitrit aus Fleischerzeugnissen und anderen Quellen
Die durchschnittliche Pro-Kopf-Nitritaufnahme aus Fleischerzeugnissen kann aus den verzehrten Mengen gepökelter Fleischerzeugnisse und deren Nitritgehalten abgeschätzt werden. Der aktuelle Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch in Deutschland beträgt ca. 60 kg pro Jahr; etwa 40 % davon (24 kg) werden in Form von Fleischerzeugnissen (30 kg) verzehrt, von denen die Hauptmenge, ca. 90 %, mit Nitritpökelsalz hergestellt wird. Bei der Herstellung dieser Produkte wird ein großer Teil des zugesetzten Nitrits durch chemische Reaktionen mit Fleischbestandteilen verbraucht, z. B. durch die Bildung der erwünschten Pökelfarbe. Infolgedessen sind die Restnitritgehalte sehr viel niedriger als die aus der Nitritzugabe berechneten Gehalte. Nach Messungen der Bundesanstalt für Fleischforschung liegen die Restnitritgehalte in gepökelten Brühwursterzeugnissen bei 10-30 mg Nitrit/kg (als Natriumnitrit gerechnet), in gepökelten Rohfleischerzeugnissen bei 40-50 mg/kg (Irina DEDERER, persönl. Mitteilung). Da der Anteil der Brühwursterzeugnisse ca. 80 % und der Rohpökelprodukte ca. 20 % beträgt, ergibt sich ein nach Anteilen gewichteter Mittelwert von ca. 30 mg Nitrit pro kg gepökeltes Fleischerzeugnis. In den 30 kg im Lauf eines Jahres verzehrten Fleischerzeugnissen sind somit 900 mg oder 0,9 g Nitrit enthalten. Daraus ergibt sich eine durchschnittliche tägliche Pro-Kopf-Nitritaufnahme aus gepökelten Fleischerzeugnissen von ca. 2,5 mg. Etwa 6-fach höhere Werte werden jedoch im Gutachten des Katalyse-Institutes e. V. behauptet (rz-consult, 2000). Diese Angabe ist allerdings sachlich nicht haltbar, da die Unterschiede von Fleischverbrauch und Fleischverzehr sowie von Nitriteinsatz und Restnitrit im Gutachten nicht berücksichtigt wurden.
Nitrit wird auch in anderen Nahrungsmitteln gefunden, wenn auch in niedrigeren Konzentrationen als in gepökelten Fleischerzeugnissen, z. B. in Suppen, Sossen, Gewürzen, Fertiggerichten, Milchprodukten, Getreide. Die gesamte Pro-Kopf-Nitritaufnahme mit der Nahrung (als Natriumnitrit gerechnet) in Deutschland beträgt nach SELENKA und BRAND-GRIMM (1976) 4,9 mg/Tag, während SCHULZ (1998) neuerdings den wesentlich niedrigeren Wert von 0,4 mg/Tag angibt. Für das Vereinigte Königreich werden 3,6-6,3 mg/Tag, für Finnland 2,1 mg/Tag und für die Niederlande 7,8 mg/Tag angegeben (GANGOLLI et al., 1994). Diese Werte spiegeln überwiegend die Situation in den 70er und 80er Jahren, sie dürften heute allgemein niedriger liegen. Der Nitritgehalt der Nahrung hängt nicht zuletzt auch von der Aufbewahrung und Zubereitung der Speisen im Haushalt vor dem Verzehr ab.
Bekanntlich entsteht Nitrit auch im menschlichen Organismus aus Nitrat: Nitrat wird mit der Nahrung aufgenommen, ein Teil wird mit dem Speichel in die Mundhöhle ausgeschieden und dort durch die Bakterienflora zu Nitrit reduziert. Durchschnittliche tägliche Nitrataufnahmen (als Natriumnitrat gerechnet) mit der Nahrung werden von GANGOLLI et al. (1994) und SCHULZ (1998) in Deutschland mit 93, in Frankreich 121, in England 95, in den Niederlanden 99 mg pro Person angegeben. Etwa 5 % dieser Nitratmenge wird in Nitrit überführt, so dass auf diesem Weg zusätzlich ca. 5 mg Nitrit (als Natriumnitrit gerechnet) mit dem Speichel in den Magen gelangen. Dieses indirekte Nitrit stammt überwiegend aus der pflanzlichen Nahrung, da sie ca. 80 % des Nahrungsnitrats liefert.
Die weitaus wichtigste Quelle von Nitrit ist aber das vom Körper selbst gebildete Stickstoffmonoxid, NO. NO entsteht aus der Aminosäure Arginin und besitzt wichtige Aufgaben: es wirkt auf die Muskeln der Blutgefäße und dient so der Steuerung des Blutdrucks, es ist ein Signalstoff im Nervensystem (Neurotransmitter) und es dient dem Immunsystem des Körpers als chemischer Abwehrstoff. Ein gesunder Erwachsener produziert täglich 20 bis 30 mg NO (MOCHIZUKI et al., 2000), bei Infektionen und entzündlichen Erkrankungen ist der NO-Bedarf des Körpers für die Immunabwehr erhöht, die NO-Produktion wird gesteigert. Stickstoffmonoxid ist im Körper kurzlebig und wird im Stoffwechsel zunächst in Nitrit und schließlich in Nitrat umgewandelt. Aus 30 mg NO entstehen so 69 mg Natriumnitrit und letztendlich 85 mg Natriumnitrat. Die Nitritmenge aus NO ist also etwa 28-mal die Menge aus gepökelten Fleischerzeugnissen (2,5 mg pro Kopf und Tag, s. o.). Das Nitrit aus NO entsteht zwar vielerorts im Körper und erreicht nicht wie das Nitrit aus der Nahrung direkt den Magen. Jedoch ist eine Nitrosamin-Bildung auch nicht nur im Magen möglich. Zusätzlich wird ein Teil des Nitrats aus NO in Nitrit überführt; auf der Basis einer 5%igen Umwandlung entstehen aus den 85 mg Nitrat etwa 4 mg Nitrit.
Aus dem Vorangehenden folgt, dass gepökelte Fleischerzeugnisse nur für einen Bruchteil von etwa 3 % der gesamten Nitritexposition des Menschen verantwortlich gemacht werden können. Die Hauptmenge des Nitrits entsteht durch normale physiologische Prozesse und unabhängig von der Ernährung. Falls es durch Nitrit verursachte Gesundheitsschäden geben sollte (Unfälle und akute Vergiftungen ausgenommen), wäre also die Annahme eines Zusammenhangs derartiger Gesundheitsschäden und des Konsums gepökelter Fleischerzeugnisse von vornherein nicht plausibel!
Zusammenhang mit Krebs?
Die Hypothese, dass ein Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen des Menschen und dem Verzehr nitritgepökelter Fleischerzeugnisse besteht, wurde mit den Methoden der Epidemiologie, meist durch sogenannte Fall-Kontroll-Studien vielfach untersucht. Dabei werden Personen mit einer Krebserkrankung („Fälle“) und Personen ohne eine solche Erkrankung („Kontrollen“) nach ihrem Verzehr gepökelter Fleischerzeugnisse befragt, durch Interview oder Fragebogen. Wichtig ist, nicht die aktuelle Ernährungsweise einer Person, sondern die in der Vergangenheit, vor Jahrzehnten, zu erfahren. Der Grund dafür ist die meist jahrzehntelange Entstehungsgeschichte einer Krebserkrankung. Daher spielt die Zuverlässigkeit der Erinnerung bei Fällen wie Patienten eine große Rolle für die Zuverlässigkeit der Ergebnisse. Wenn in einer derartigen Untersuchung bei der Fallgruppe, d. h. den Krebspatienten, ein eindeutig größerer Verzehr nitritgepökelter Fleischerzeugnisse gefunden wird als bei der Kontrollgruppe, spricht dies für einen Zusammenhang, aber nicht notwendigerweise für einen ursächlichen Zusammenhang. Es gibt zahlreiche andere Faktoren, z. B. frühere Erkrankungen, Alter, Rauchen, Übergewicht, Alkohol, Lebensstil, Verzehr von Nahrungsmitteln mit Schutzwirkung (Obst, Gemüse) sowie unbekannte Faktoren, die in den beiden Gruppen verschieden sein können und die Krebserkrankung fördern oder hemmen könnten. Diese Faktoren müssen mög-lichst mitberücksichtigt und Fehlschlüsse durch sie soweit möglich ausgeschlossen werden; dies ist nur bedingt möglich.
Im Folgenden werden Arbeiten kritisch referiert, die in dem genannten Gutachten (rz-consult) als Belege für einen Zusammenhang des Verzehrs von gepökelten Fleischerzeugnissen und einer Krebs erzeugenden Wirkung angeführt werden. Dabei steht Magenkrebs im Vordergrund.
Magenkrebs
RISCH et al. (1985) befragten in Kanada 246 Magenkrebspatienten und eine gleiche Zahl von Kontrollpersonen (ohne Magenkrebs) nach den Verzehrsmengen einer großen Zahl (94) von Lebensmitteln und Getränken. Sodann berechneten sie mit Hilfe von Lebensmittelanalysen-Datenbanken (Food Composition Data Bank) die täglich aufgenommenen Mengen von Nitrit, Nitrat, Dimethylnitrosamin und einer Reihe anderer Stoffe. Bezüglich Nitrit ergab sich bei den Krebspatienten eine (zeitlich zurückliegende) mittlere tägliche Aufnahme von 1,4 mg, bei den Kontrollen eine (in diesem Fall nicht zurückliegende, sondern aktuelle) solche von 1,2 mg. Aus dem höheren Wert der Fälle schließen die Autoren auf einen signifikanten Trend steigenden Magenkrebsrisikos mit steigender Nitritaufnahme. Allerdings weisen die Autoren ausdrücklich auf Unzulänglichkeiten der Untersuchung hin: 'this study has a number of limitations which should be considered before conclusions are drawn'. Folgende kritische Umstände seien hervorgehoben: Die Patienten wurden nach ihrer zurückliegenden Ernährungsweise befragt, die Kontrollen nach der aktuellen. Angesichts eines gestiegenen Ernährungsbewusstseins und gesunkener Nitritanwendung in zahlreichen industrialisierten Ländern ist zu vermuten, dass die Kontrollpersonen mit der aktuellen Nitritaufnahme von 1,2 mg zum früheren Zeitpunkt ebenfalls mehr Nitrit aufnahmen. Der Unterschied der Nitritaufnahme der beiden Gruppen wäre damit geringer oder nicht mehr vorhanden. Ferner kommt die Studie zu dem Schluss, dass auch der Verzehr von Schokolade und von Kohlehydraten mit dem Magenkrebsrisiko positiv korreliert sind; letztere sind allgemein als Magenkrebsrisikofaktoren weder bekannt noch verdächtig. Dagegen ist die Aufnahme von Dimethylnitrosamin, einem prominenten kanzerogenen Nitrosamin, nicht mit dem Magenkrebsrisiko korreliert; seine Bildung im Magen bei Gegenwart von Nitrit ist jedoch der Grundstein der Nitrit-Nitrosamin-Krebs-Hypothese. Somit erscheinen die Befunde einer positiven Korrelation von Magenkrebs mit Nitrit und einer fehlenden Korrelation mit Nitrosamin inkonsistent und lassen das gesamte Ergebnis fraglich erscheinen. Weitere grundsätzliche Mängel werden von den Autoren selbst vorgebracht. Diese Gesamtbetrachtung der Arbeit von RISCH et al. zeigt, dass sie als Beleg für den laut Gutachten „positiven Zusammenhang zwischen dem Konsum gepökelter Lebensmittel und gastrointestinalen Karzinomrisiko“ untauglich ist.
Eine weitere Arbeit (LU und QIN, 1987) untersucht den Einfluss von Kochsalz (Natriumchlorid) auf das Auftreten von Krebs der Speiseröhre und des Magens in verschiedenen Bezirken der chinesischen Provinz Henan. In Teilen der Provinz werden besonders stark mit Salz konservierte Lebensmittel ('highly salted pickles ') verzehrt; die Autoren berichten eine Assoziation des Salzverbrauches mit Krebs der Speiseröhre und des Magens. Von Nitrit-Pökelsalz und von Fleisch ist in der Arbeit nicht die Rede, der Begriff 'pickles' wird nicht erläutert, er lässt aber den im Gutachten stillschweigend vollzogenen Schluss auf Nitrit nicht zu. Diese Arbeit ist also im Zusammenhang mit nitritgepökelten Fleischprodukten als irrelevant zu werten. Sie zeigt aber deutlich ein Problem, das auch bei anderen einschlägigen Arbeiten zur Nitritpökelsalzfrage latent vorhanden ist: ein hoher Konsum nitrit-gepökelter Fleischwaren ist meist von einer mehr oder weniger hohen Aufnahme von Kochsalz begleitet. Zahlreiche tierexperimentelle und epidemiologische Arbeiten belegen einen Zusammenhang von Magenkrebs und sehr hoher Kochsalzaufnahme (FOX et al., 1999). In epidemiologischen Untersuchungen über Nitritpökelsalz müsste daher versucht werden, zwischen einem Kochsalz-Effekt und einem Nitritpökelsalz-Effekt zu unterscheiden. In der oben genannten Arbeit von RISCH et al. wird die mögliche Rolle von Kochsalz nicht diskutiert. Dabei ist dort die Natrium-Aufnahme (ein Indikator der Kochsalz-Aufnahme) angegeben, sie ist bei den untersuchten Krebspatienten wesentlich höher als bei den Kontrollpersonen!
GONZALEZ et al. (1994) untersuchten in Spanien die Ernährung von 354 Magenkrebspatienten und 354 Patienten ohne Magenkrebs. Die Ernährungsweise aller Probanden wurde durch Interview und Fragebogen ermittelt; die Nitrosaminaufnahme der Probanden, genauer die Aufnahme von Dimethylnitrosamin (DMNA) als mutmaßlich wichtigstes Nitrosamin, wurde auf der Grundlage einer Übersichts-Arbeit (CORNÉE et al., 1992) errechnet; diese gibt für 26 in Frankreich meistverzehrte Nahrungsmittel oder Nahrungsmittelgruppen deren Gehalte von DMNA an, wobei die Werte für Fleischwaren aus der Zeit vor 1980 stammen. Diese Werte sind somit auf französische Verhältnisse, besonders betreffend das Angebot und den Verzehr von Fleisch und Fleischerzeugnissen, abgestimmt. Ihre Übernahme auf spanische Herstellungs- und Ernährungsgewohnheiten erfolgt unbesehen und ist durch Untersuchungen nicht abgesichert. GONZALEZ et al. errechnen auf dieser Grundlage eine positive Korrelation von Magenkrebsrisiko und DMNA-Aufnahme; sie interpretieren diesen Befund jedoch zurückhaltend und verweisen auf die Schwierigkeiten der zuverlässigen Ermittlung der Nitrosaminaufnahme. Die Kochsalz-Aufnahme wurde nicht berücksichtigt. Angesichts dieser Umstände ist die Relevanz der errechneten Korrelation von Magenkrebsrisiko und Nitrosaminaufnahme als fraglich zu werten. Unter heutigen Verhältnissen sind die DMNA-Gehalte von Fleischerzeugnissen in der Regel niedriger als vor 1980, so dass auch aus diesem Grund die Untersuchung von GONZALEZ et al. nur eingeschränkte Bedeutung besitzt.
Eine weitere Untersuchung in Spanien (SANCHEZ-DIEZ et al., 1992) basiert auf nur 109 Fällen mit Magenkrebs und 123 Kontrollen aus einer ländlichen Bergregion Nordwestspaniens mit hoher Magenkrebsinzidenz. Die Untersuchungsmethode und die Ergebnisse sind in der Publikation nur spärlich dokumentiert; nur frisches Obst, frisches Gemüse und selbst hergestellte ('home-made') Wurst werden als mögliche Risikofaktoren betrachtet. Es wurden nicht die Verzehrsmengen, sondern nur die Häufigkeit (täglich / 1-2 mal in der Woche / nie) erfragt. Offenbar war ein Teil der Fälle schon verstorben und konnte nicht befragt werden; ersatzweise wurden nahe Verwandte befragt, was die Zuverlässigkeit der Daten mindert. Die Ergebnisse werden ungewöhnlich knapp mitgeteilt. Hausgemachte Wurst – luftgetrocknete und geräucherte zusammengenommen – wird als Risikofaktor bezeichnet, jedoch ist in der Arbeit weder von Nitrit noch von Nitrat die Rede. Als denkbare Ursachen der Magenkrebserkrankungen nennen die Autoren vielmehr die Reizwirkung des Kochsalzes auf die Magenschleimhaut sowie das Räuchern der Wurst. Die Arbeit von SANCHEZ-DIEZ et al. ergibt somit weder einen Beweis für noch einen Verdacht auf eine Krebs erzeugende Wirkung von Nitrit-gepökelten Fleischerzeugnissen, sie erlaubt überhaupt keine Aussage betreffend Nitritpökelsalz, verweist jedoch auf eine mögliche Rolle von Kochsalz.
Eine Untersuchung in Italien erfasste 1016 Magenkrebspatienten und 1159 Kontrollpersonen. Die Häufigkeit und Portionsgrösse von 146 Nahrungsmitteln und Ge-tränken 2 Jahre vor der Erkankung bzw. Untersuchung wurden erfragt. Bei einer bestimmten Art der Versuchsauswertung ergab sich eine Erhöhung des Magenkrebsrisikos mit zunehmendem Konsum von Nitrit: Die Personen mit dem höchsten Nitritkonsum hatten ein 1,2-fach höheres Risiko als die Personen mit dem niedrigsten. Bei einer anderen Auswertung des Versuchs verschwand jedoch die Wirkung des Nitrits (BUIATTI et al., 1990). Ein enger Zusammenhang von gepökelten Fleischerzeugnissen und Magenkrebs kann somit aus der Arbeit nicht abgeleitet werden. Die Arbeit macht im Übrigen keinerlei Angaben über den Konsum von Kochsalz.
In diesem Zusammenhang muss eine Untersuchung aus den Niederlanden angeführt werden (van LOON et al., 1998), die im genannten Gutachten übersehen wurde. Es handelt sich dabei um eine prospektive Kohortenstudie. Dies bedeutet, dass anders als bei einer Fall-KontrollStudie eine große Gruppe Nicht-Erkrankter („Kohorte“) über Jahre hinweg in Bezug auf ihre Lebensweise und auf neu auftretende Erkrankungen untersucht wird. Untersuchungen dieser Art dauern entsprechend viel länger und sind teurer als FallKontroll-Studien, sie sind jedoch weniger störungsanfällig. Die genannte niederländische Untersuchung begann 1986 und erfasste 120 852 Personen im Alter von 55-69 Jahren. Nach 6,3 Jahren wurden die aufgetretenen Magenkrebserkrankungen in Beziehung zur Nitrat- und Nitritaufnahme der Personen ausgewertet. Weder bezüglich Nitrat noch bezüglich Nitrit ergab sich bei höherer Aufnahme ein höheres Magenkrebsrisiko. Die Aussage dieser Arbeit ist vom Ansatz her stärker als die einer Fall-Kontroll-Studie, zudem bezieht sie sich auf eine Population, deren Ernährungsverhalten mit dem der deutschen besser vergleichbar ist als z. B. das in einer chinesischen Provinz oder ländlichen Bergregion Spaniens.
Abschließend sei zur Ätiologie von Magenkrebs der Krebsatlas der Bundesrepublik Deutschland (BECKER und WAHREN-DORF, 1997) zitiert: „Eine Reihe von Studien lassen erkennen, dass Konservierungsmethoden, die insbesondere in vergangenen Zeiten vorherrschend waren, einen Risikofaktor für Magenkrebs darstellen. Es handelt sich dabei in erster Linie um das Salzen, Pökeln oder Räuchern von Fisch und Fleischprodukten... . Zusammenfassend lassen sich diese Befunde dahingehend interpretieren, dass im Rahmen eines steigenden Lebensstandards mit der zunehmenden Verfügbarkeit von frischen Früchten und Gemüse, zusammen mit einer Umstellung der Konservierungstechniken auf Frischhaltung durch Kühlung, eine Änderung des Lebensstiles stattgefunden hat, die faktisch präventiv gegen Magenkrebs wirkt und zu dem beobachteten starken Rückgang der Magenkrebssterblichkeit geführt hat“.
Hirnkrebs
Über Hirntumoren bei Kindern und eine Beziehung zu nitritgepökelten Fleischwaren liegt ebenfalls eine Reihe von Untersuchungen vor. Dabei wurde speziell die Frage untersucht, ob die Aufnahme gepökelter Fleischwaren durch die schwangere Mutter mit kindlichen Hirntumoren assoziiert ist. In einer Übersichtsarbeit (BLOT et al., 1999) wurden 14 diesbe-zügliche Arbeiten geprüft. Die Autoren kommen zu dem Schluss, die Hypothese, der Verzehr nitritgepökelter Fleischerzeugnisse führe zu einem erhöhten Risiko kindlicher Hirntumore, könne zwar nicht ganz verworfen werden, sie werde aber durch die publizierten Arbeiten auch nicht schlüssig belegt: 'at this time it cannot be concluded that eating cured meat has increased the risk of childhood brain cancer or any other cancers'. Das Gutachten des Katalyse-Instituts kommt auf der Grundlage von 7 diesbezüglichen Arbeiten zu dem Schluss: „Die Problematik kann derzeit noch nicht abschließend geklärt werden.“
Schlussfolgerungen
- Nitritgepökelte Fleischerzeugnisse liefern nur einen sehr geringen Beitrag von ca. 3 % zur gesamten Nitritbelastung des menschlichen Organismus. Der größte Teil der Nitritbelastung stammt aus der körpereigenen Produktion von Stickstoffmonoxid, ein weiterer Teil aus der Nitrataufnahme mit der Nahrung, und zwar hauptsächlich mit der pflanzlichen Nahrung.
- Die hier betrachteten epidemiologischen Untersuchungen belegen nicht eine Assoziation des Konsums nitritgepökelter Fleischerzeugnisse mit Krebs des Magens oder des Gehirns.
- Ein hoher Konsum nitritgepökelter Fleischerzeugnisse ist und war vor allem in zurückliegenden Zeiten begleitet von einem hohen Konsum von Kochsalz. Der Verzehr sehr stark gesalzener Speisen, wie er hierzulande kaum mehr üblich ist, ist als Risikofaktor für Magenkrebs bekannt. Dies bedeutet eine Fehlerquelle bei der Bewertung der epidemiologischen Ergebnisse: Untersuchungen, die den Kochsalzkonsum nicht mitberücksichtigen, laufen Gefahr, die Folgen eines hohen Kochsalzkonsums fälschlicherweise dem hohen Konsum gepökelter Fleischerzeugnisse und ihrem Nitritgehalt zuzuschreiben. Auf diese Weise würden nitritgepökelte Fleischerzeugnisse zu Unrecht als die Krebsrisikofaktoren beschuldigt. Die meisten der oben besprochenen Untersuchungen leiden an diesem Mangel, da sie Kochsalz als Risikofaktor vernachlässigen.
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Quelle: Kulmbach [ D. WILD ]