Naseweiß braucht Eiweiß. Proteinbedarf von Kindern
Godesberger Ernährungsforum 2004
Der Proteinbedarf eines Kindes ist eng an die Wachstumsgeschwindigkeit gekoppelt. Der Bedarf ist somit beim jungen Säugling am höchsten, um bereits im Verlauf des ersten Lebensjahres wesentlich abzunehmen. In den ersten drei Lebensmonaten haben Knaben gegenüber Mädchen einen leicht erhöhten Proteinbedarf. Mit dem pubertären Wachstumsschub steigt der Proteinbedarf kurzfristig wieder an. Die als Wachstum definierte grundsätzlich anabole Stoffwechselsituation des Kindes ist durch eine positive Stickstoffbilanz charakterisiert und unterscheidet sich dadurch vom Erwachsenen, der sich im Allgemeinen im Zustand einer 0-Bilanz befindet. In den ersten Lebensmonaten werden über 50% des Proteinbedarfs für das Wachstum benötigt. Mit einem Jahr beträgt der Anteil noch ca. 18 %.Die N-Retention ist wiederum eng mit der gleichzeitigen Energiezufuhr verknüpft und kann durch diese wesentlich beeinflusst werden. Die Nettoproteinsituation ist das Ergebnis aus einer immer gleichzeitig ablaufenden Proteinsynthese und Proteindegradation. Für 1 g Nettozugewinn an Körperprotein müssen ca. 7 g Protein synthetisiert und ca. 6 g abgebaut werden. Wird der Nettoproteinzuwachs gegen den Energieverbrauch aufgetragen, so schneidet die Regressionsgerade die Ordinate bei ca. 40 kcal/kg/24 h. Energetisch werden somit 40 kcal/kg/24 h alleine für die Abläufe von Proteinsynthese und Proteindegradation benötigt. Wird der Nettoproteinzugewinn gegen die Proteinzufuhr aufgetragen, so schneidet die Regressionsgerade die Abszisse bei einer Proteinzufuhr von 0,3-0,4 g/kg/24 h. Damit wird eine Mindestproteinzufuhr zur Vermeidung eines Nettoproteinabbaus beschrieben.
Zur Ermittlung des Proteinbedarfs sind zwei theoretische und eine experimentelle Methode einsetzbar: die faktorielle Methode, die Abschätzung der Stillmenge und die Messung der biologischen Reaktion auf die Zufuhr unterschiedlicher Eiweißmengen. Der Proteinbedarf ist durch nachfolgende Faktoren beeinflusst: Energieaufnahme, Proteinqualität und Verdaubarkeit, Verletzungen, Infektionen, Wachstum, Aufholwachstum und körperliche Aktivität. Eine Konsensusfindung durch verschiedene internationale Organisationen hat für junge Säuglinge einen Proteinbedarf von etwa 2,0-2,2 g/kg/Tag veranschlagt, der dann nach dem 6. Lebensmonat noch auf 1,2 g/kg/Tag geschätzt wird. Dieser Schätzung liegt eine 90%ige Konversion des Nahrungsproteins in Körperprotein zugrunde.
Extreme Proteinmangelsituationen kommen im Kindesalter vor allem im Rahmen einer extremen Fehlernährung vor. In der klassischen pädiatrischen Literatur wurde diese Situation als „Mehlnährschaden“ beschrieben und ist als Kwashiorkor in die internationale Literatur eingegangen. Diese extreme Form des Proteinmangels tritt am häufigsten bei älteren Säuglingen und Kleinkindern auf und ist klinisch durch Haut- und Haarveränderungen, Ödeme und eine große verfettete Leber charakterisiert. Der Proteinmangel wird durch gleichzeitig auftretende Infektionen akzentuiert. Tuberkulose spielt dabei in den Ländern der dritten Welt eine besondere Bedeutung. Einige Nährstoffe werden unter normalen Ernährungsbedingungen nur mit Fleischnahrung in ausreichender Menge zugeführt. Dazu gehören Eisen, Vitamin B12 und Carnitin. Die Bedeutung dieser Tatsache ergibt sich aus dem Verständnis des Intermediärstoffwechsels.
Quelle: Bad Godesberg [ Prof. Dr. Hansjosef Böhles, Zentrum für Kinderheilkunde, Frankfurt am Main ]