Neue Eiweiße - was bringt die Zukunft?
Godesberger Ernährungsforum 2004
Proteine/Eiweiße erfüllen im Organismus vielfältige Aufgaben; sie sind entsprechend ihrer Struktur und Funktion die „Entscheidungsträger“ für das geordnete Wirken im Stoffwechsel und bestimmen letztlich den Phänotyp und die Eigenschaften eines Lebewesens. Sie wirken z.B. als Enzyme und katalysieren viele Reaktionen bis hin zur Bildung von neuen Produkten, über Signalpeptide und Hormone wirken sie als Regulatoren von Stoffwechselkaskaden, erkennen als Antikörper Fremdsubstanzen und führen sie dem Abbau zu oder bilden Muskelproteine, Haut und Haare.Alle Eiweiße werden durch eine genetische Information determiniert und viele noch posttranslatorisch modifiziert. Im Gegensatz zu dem relativ einfachen Aufbau der genetischen Information durch die vier Basenpaare bestehen Proteine in der Regel aus 20 Aminosäuren. Diese Aminosäuren werden entsprechend der Basenfolge in der genetischen Information kombiniert und aus dieser Anordnung in der Primärstruktur ergeben sich dann Sekundär- und Tertiärstruktur. Aus diesen Strukturen leiten sich alle spezifischen Funktionen der Proteine ab.
Mit dem Kenntnisstand der Proteinchemie, Enzymologie und Molekularbiologie lassen sich Gene und damit Proteine aus bekannten Organismen in andere Organismen übertragen; erhalten bekannte Proteine durch spezifische Änderungen in der Struktur neue Eigenschaften. So lassen sich neue Proteine mit neuen Funktionen gezielt am „Reißbrett“ entwickeln. Am weitesten fortgeschritten und auch bereits vielfältig in der Anwendung ist der Transfer von bekannten Genen in Organismen, meist Pflanzen, hinsichtlich neuer Funktionen.
Gentechnische Verfahren ermöglichen es, sehr selektiv in den Stoffwechsel von Pflanzen einzugreifen, indem Gene neu eingeführt, vorhandene Gene aktiviert oder inhibiert werden (Metabolic engineering). Durch diese neuen Proteine kann die Pflanze neue wertgebende Inhaltsstoffe synthetisieren oder vorhandene Inhaltsstoffe verstärkt oder nicht bzw. nur in verminderten Umfang produzieren. Die Aktivitäten erstrecken sich sowohl auf Makro- wie Mikronährstoffe.
Im Gegensatz zu Tieren produzieren gerade unsere Hauptnutzpflanzen (Getreide, Leguminosen) nicht alle für unseren Körper essenziellen Aminosäuren; die Proteinwertigkeit ist hierdurch eingeschränkt. Im Allgemeinen sind Getreidespeicherproteine arm an der essenziellen Aminosäure Lysin, während Leguminosen nur geringe Mengen der schwefelhaltigen Aminosäuren Methionin und Cystein (Cystin) aufweisen. In der westlichen Hemisphäre herrscht kein Mangel an tierischem Eiweiß, aber gerade in Entwicklungsländern wird vorwiegend pflanzliches Eiweiß verzehrt, wodurch es zu Mangelerscheinungen kommen kann. Deshalb wird verstärkt an der Eiweißqualität von Reis, Mais, Cassava und (Süß-)Kartoffeln gearbeitet.
Im Reiskorn konnte der Gehalt an Lysin durch die Einführung des Gens für das ß-Phaseolinproteins aus der Gartenbohne signifikant gesteigert werden. Dieses lysinreiche Protein macht ca. 4 % des gesamten Eiweißgehalts im Reiskorn aus. In Süßkartoffeln wurde die Synthese eines eigenen Speicherproteins, das reich an essenziellen Aminosäuren ist, verstärkt. Die modifizierte Süßkartoffel hat einen 5mal höheren Eiweißgehalt, wodurch die essenziellen Aminosäuren Methionin, Threonin, Tryphtophan, Isoleucin und Lysin stark erhöht worden sind. Gene pflanzlicher Proteine, die reich an Methionin und Cystein sind, wurden identifiziert und isoliert. Erfolgreich wurden entsprechende Gene für ein Albumin aus der Sonnenblume in Lupinen und ein Albumin aus der Paranuss in Sojabohnen transferiert. Letzteres erwies sich als das Hauptallergen der Paranuss; die Arbeiten an diesem Projekt wurden eingestellt.
In Sojabohnen konnte der Methionin-Gehalt durch Änderungen in den Mengenverhältnissen der pflanzeneigenen Glycinin- und ß-Conglycinin-Proteine erhöht werden. Auch in Reis wurde ein modifiziertes Glycinin-Gen eingeführt und dieser Reis synthetisiert nun das methioninreiche Glycinin-Protein im Kontext mit dem reiseigenen Glutelin-Protein. Der Protein- und damit auch der Aminosäuren-Gehalt des gentechnisch modifizierten Reises ist ca. 20 % höher als im konventionellen Reis. Untersuchungen zur Verdaulichkeit und zur Allergenität des „neuen“ Reisproteins zeigen keine Unterschiede zum normalen Reisprotein auf.
An Kartoffel- und Mais- (Getreide-)stärken wird hinsichtlich der technologischen Stärke-Eigenschaften gearbeitet. Es ergab sich einerseits eine erhöhte Kältetoleranz und andererseits eine erhöhte Festigkeit der Kartoffelmatrix bei der gentechnisch modifizierten Kartoffel, beides ist für die Kartoffelindustrie von Bedeutung. Durch die Einführung einer Invertase aus Hefe lässt sich der Gehalt an Glykoalkaloiden bei Kartoffeln reduzieren – ein mehr als unerwartetes Ergebnis. Das bietet die Möglichkeit, die Solanine, unerwünschte, giftige Stoffe in Kartoffeln zu eliminieren. Durch die Einführung bestimmter mikrobieller Sucrose-Isomerasen kann in Kartoffeln auch eine Anreicherung nicht kariogener Zucker, hier Palatinose, erreicht werden.
Ebenso wurden spezielle Rapsvarietäten entwickelt, die langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren vermehrt synthetisieren, welche in der Säuglingsnahrung von Frühgeborenen zur Gehirn- bzw. Nervenentwicklung notwendig sind. Eine andere Rapsvarietät synthetisiert durch gentechnische Eingriffe vermehrt eine omega-3-Fettsäure, die den Vorläufer der als gesundheitsfördernd bekannten Docosahexanensäure (DHA, 22:6 n-3), darstellt. Diese Fettsäure wiederum ist die Ausgangssubstanz für die Prostaglandine E und F, Thromboxane und Leukotriene. Sie beeinflussen viele pyhsiologische Regulationsmechanismen, z.B. Entzündungsvorgänge und Blutgerinnung.
Die sekundären Pflanzenstoffe sind eine sehr heterogene Stoffklasse; mehr als 30.000 solcher Substanzen wurden bislang in Pflanzen gefunden und teilweise charakterisiert. Ihre Bedeutung für die Pflanzen aber auch für die Gesundheit des Menschen sind nur in Einzelfällen genauer untersucht. Für diese sekundären Pflanzenstoffe seien nur die Klassen der Carotinoide, Flavonoide, Glucosinolate, Saponine, Phytoöstrogene, Tannine, Phenole (Phenolsäuren), Sulfide, Sterole erwähnt. Summarisch kann gezeigt werden, dass diesen Substanzen antioxidative, anticanceroge, antithrombotische, immunstimulierende oder cholesterinsenkende Wirkungen zu kommen. Die Forschung zu den Möglichkeiten einer gentechnischen Beeinflussung der Synthese oder Neusynthese befinden sich noch im Status der Grundlagenforschung. Am weitesten fortgeschritten sind hier die Möglichkeiten im Bereich der Carotinoide.
Eingriffe in der Terpenoid-Stoffwechsel auf der Ebene des Geranyl-Geranyl-pyro-phosphats kann zu Synthese von Carotinoiden genutzt werden. Das bereits klassische Beispiel ist hier die Erzeugung des Golden Rice. Sie führten in den Reis (endosperm) 4 „neue“ Enzyme (2 pflanzliche: Phytoensynthase, Lycopen-ß-cyclase + 2 bakterielle: Phytoensynthase, Carotendesaturase) ein und konnten hierdurch erreichen, dass nun im Reisendosperm ß-Carotin gebildet wird. Ursprünglicher Reis synthetisiert 0,16 mg ß-Carotin/100 g Reis; die täglich empfohlene Menge liegt bei 6 mg/Tag. Das Ziel der weiteren Optimierungsversuche ist, einen Reis zu entwickeln, der soviel ß-Carotin enthält, dass bei normalem Reisverzehr mehr als die Hälfte des Vitamin A Bedarfs gedeckt wird. Vitamin A-Mangel herrscht vorwiegend im südostasiatischen Raum vor, Vitamin A-Mangelerkrankungen (z.B. Blindheit bei Kindern) sind keine Seltenheit.
Vitamin A ist ein fettlösliches Vitamin und eine gewisse Fettmenge ist zur hinreichenden Aufnahme mit der Ernährung notwendig. Deshalb wurde auch die Carotin-Biosynthese in Ölsaaten, insbesondere im Raps durchgeführt.
Eisenmangelerkrankungen gehören mit zu den am häufigsten vorkommenden ernährungsbedingten Mangelerkrankungen. Eisen ist ein essenzielles Element für viele unserer Enzyme, Sauerstoffträgerproteine. Die häufig, aber besonders in Entwicklungsländern, vorkommende Erkrankung ist die Blutanämie. Das Hämoglobin ist durch den Eisenmangel nicht mehr in der Lage, genügend Sauerstoff zu transportieren. Zur besseren Verfügbarkeit von Eisen wurden mehrere Wege beschritten. Das Gen für das Eisenspeicher-Protein Ferritin aus der Sojabohne wurde in den Reis transferiert. Ferittin wird im Reisendosperm stabil exprimiert und verdreifacht den Eisengehalt im Reiskorn. Der Verzehr einer normalen Portion dieses transgenen Reises liefert 30-50% des täglichen Eisenbedarfs. Daneben wurden in einer anderen Reisvarietät zusätzlich zum Ferritin-Gen noch das Gen eines Metallothionproteins aus der Gartenbohne integriert. Von den Metallothioninproteinen ist bekannt, dass sie die Eisenaufnahme im Darm erhöhen. Ein weiterer Weg, der nicht nur beim Reis, sondern auch bei Mais und Sojabohnen beschritten wurde, ist der enzymatische Abbau der Phytinsäure durch die Integration von pilzlichen Phytasen.
Einige pflanzliche Proteine, wie Thaumatin, Monellin oder Brazzein weisen eine sehr hohe Süßkraft auf, sie ist 500-2.000fach höher als die von Zucker. Zur Gewinnung oder Geschmacksverstärkung wurden Gene dieser Proteine Kartoffeln, Reis, Gurken und Tomaten (Tomatenmark) erfolgreich transferiert.
Allein soweit aus der Literatur bekannt ist, werden an mehr als 90 Pflanzenvarietäten gentechnische Untersuchungen zur Optimierung der Qualität von Nahrungsmittelpflanzen bzw. ihrer Inhaltstoffe durchgeführt.
Quelle: Bad Godesberg [ Prof. Dr. habil. Klaus-Dieter Jany, Bundesforschungsanstalt für Ernährung, Karlsruhe ]