aid-Forum diskutiert Ernährungskommunikation für junge Menschen
Von "gut gemeint" zu "gut gemacht"
Die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen sind Erwachsenen oft fremd. Das realisieren sie spätestens dann, wenn ihnen das eigene Kind ein neues Handy erklären muss. Die Auseinandersetzung mit dem Alltag junger Menschen ist jedoch unverzichtbar für eine wirksame Ernährungskommunikation. "Viele lehrreiche Maßnahmen begeistern die Macher mehr als die Zielgruppe", so Dr. Margret Büning-Fesel, Geschäftsführender Vorstand des aid infodienst, beim 9. aid-Forum in Bonn. Vor diesem Hintergrund diskutierten am 10. Mai 300 Vertreter aus Forschung, Politik, Medien und Praxis unter dem Motto "Gut gemeint - genial daneben" Ansatzpunkte für eine nachhaltige Ernährungs- und Verbraucherbildung.
Oft liegt es nicht an fehlendem Ernährungswissen, dass ein Kinder übergewichtig bzw. essgestört ist. "Dass Obst und Gemüse gesund ist, weiß so gut wie jedes Kind" bestätigte Karin Fries von Synovate Kids + Teens, München. Wissen allein habe aber keinen automatischen Effekt auf das Essverhalten. Die Grenzen einer rein kognitiv orientierten Ernährungskommunikation sind damit klar. Anke Oepping von der Universität Paderborn sieht in einer gesunden Schulverpflegung großes Potenzial, das Essverhalten junger Menschen positiv zu prägen. Dr. Ulrike Philipps vom Landesinstitut für Schulentwicklung, Stuttgart betonte ebenfalls die Notwendigkeit von Maßnahmen, die über den Unterricht hinausgehen. Ansatzpunkte in der Grundschule seien eine intensive Elternarbeit sowie ein regelmäßiges gemeinsames Pausenfrühstück. Auch die qualitative Überprüfung von Außer-Haus-Angeboten sei eine Möglichkeit. Für entscheidend hält Fries jedoch, Kindern positive Erfahrungen beim gesunden Essen und Trinken zu verschaffen. Vor allem durch ein positives Vorbildverhalten von Eltern und Leitbildern.
Auch wenn es bereits zahlreiche erfolgreiche Projekte und Aktionen gibt, so werden diese angesichts der zunehmenden Anzahl übergewichtiger Kinder als Tropfen auf den heißen Stein empfunden. Ob die Organisation eines Schulfrühstücks oder die Einbeziehung der Familie - Aktionen dieser Art sind zur Zeit noch größtenteils von der Motivation Einzelner abhängig. Es könne nicht sein, dass die Verantwortung auf einzelne Eltern oder Lehrer abgewälzt würde, kritisierte daher eine Teilnehmerin die fehlende Verbindlichkeit aktueller Bildungskonzepte. Tatsächlich gestalten sich einheitliche Mindestregelungen nicht zuletzt wegen des föderalen Bildungsauftrags schwierig. Eine Institutionalisierung sei vielleicht über Ernährungsbeauftragte in den Einrichtungen denkbar, so der Vorschlag einer Teilnehmerin. Prof. Dr. Ines Heindl, geschäftführende Direktorin des Instituts für Ernährungs- und Verbraucherbildung in Flensburg, stellte die Entwicklung von Schutzräumen für jüngere Kinder zur Diskussion. So könnten zum Beispiel Ganztagsschulen als Orte des Erlebens gestaltet werden, in denen Kinder in ihrer komplexen und oft unübersichtlichen Welt klarere Botschaften empfingen - beispielsweise ohne Cola-Automaten Ganz nach den aktuellen Entscheidungen in US-amerikanischen Schulen.
In der abschließenden Podiumsdiskussion stand vor allem der "Ton" der Ernährungskommunikation im Mittelpunkt. "Provokante TV-Formate haben grundsätzlich Potenzial, die Themen Essen und Trinken ins öffentliche Bewusstsein zu rücken", so die Ernährungsjournalistin Dagmar von Cramm. Der TV-Gesundheitscoach vom WDR Dr. Stefan Frädrich verteidigte Kommentare wie "Der kleine Tod steckt im Kühlschrank". Sie seien nötig um aufzurütteln. Denn, so Frädrich: "Menschen hören nur das, was sie wollen." Provokationen dürften allerdings nicht die einzige Methode sein, Ernährung zum Thema zu machen, so Anke Oepping. Auch die Leiterin des Referates für Ernährungspolitik und Ernährungsaufklärung im Bundesernährungsministerium, Ursula Horzetzky, zeigte sich offen gegenüber neuen Formaten mit Alltagsbezug, die die Diskussion über Essen und Trinken anstoßen. Bei einer sinnlichen Erfahrung wie dem Essen und Trinken dürfe jedoch kein schlechtes Gewissen gemacht werden. In "gut" und "böse" zu unterteilen sei kontraproduktiv. Das gelte es bei der Suche nach neuen Kommunikationsformen zu berücksichtigen.
Quelle: Bonn [ aid - Andrea Fenner ]