Globaler Lebensmittelhandel: Informierte Verbraucher - Ein Streitfall für die WTO?

Europäische Standards unter Rechtfertigungsdruck

Der Verbraucherinformation über die Produktionsbedingungen von Lebensmitteln drohen Einschränkungen durch das Welthandelsrecht. Davor warnte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) auf einer Tagung zum Verbraucherschutz im globalen Lebensmittelmarkt in Berlin. "Unsere Lebensmittel werden immer internationaler. Das darf nicht dazu führen, dass die Wahlfreiheit der Verbraucher auf der Strecke bleibt," sagte vzbv-Vorstand Edda Müller. Der vzbv legte einen Acht-Punkte-Plan zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im globalen Lebensmittelhandel vor.

Zu Einschränkungen der Verbraucherinformation infolge der WTO-Regeln könnte es in folgenden Fällen kommen:

    • Wenn Produkte hinsichtlich ihres Herstellungsverfahrens gekennzeichnet werden müssen; hierunter fällt beispielsweise die Gentechnikkennzeichnungspflicht.
    • Bei Importbeschränkungen aufgrund der Produktionsbedingungen

Der Hintergrund:

Die Welthandelsorganisation betrachtet im globalen Lebensmittelhandel die Standards der internationalen Codex-Alimentarius-Kommission als Richtschnur für den freien Welthandel. Der Codex Alimentarius regelt in erster Linie die Produktsicherheit. Weitergehende nationale oder europäische Verbraucherschutzstandards werden von der WTO nur in engen Grenzen akzeptiert, vor allem wenn es um den Gesundheitsschutz geht. Der Europäischen Union droht deswegen beispielsweise eine Klage vor der Welthandelsorganisation wegen der Kennzeichnungspflicht bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln.

"Der informierte Verbraucher erwartet heute auch Informationen, unter welchen Bedingungen seine Lebensmittel produziert werden - das muss im Welthandelsrecht klipp und klar verankert werden," sagte vzbv-Chefin Edda Müller.

Beispiel Schimmelgifte: Höchstwerte als Handelshemmnis?

Auf die Grenzen des geltenden WTO-Rechts stößt jedoch nicht nur die Verbraucherinformation über Herstellungsverfahren. Das Beispiel des Schimmelgiftes Ochratoxin A verdeutlicht, dass auch die Auslegung des Vorsorgeprinzips international umstritten ist. Für den unter anderem in Kaffee vorkommenden Giftstoff gibt es auf internationaler Ebene bisher keinen vom Codex Alimentarius festgelegten Höchstwert für Kaffee. Den europäischen Höchstwert für das als krebserregend geltende Ochratoxin A sehen die Kaffeeexporteure Kolumbien, Brasilien und Ekuador denn auch als Behinderung des freien Welthandels. Die strengeren Verbraucherschutzgesetze in Europa haben nur dann gegenüber dem WTO-Recht Bestand, wenn sie nach eng ausgelegten Kriterien als wissenschaftlich belegt gelten. Die Beweislast liegt bei demjenigen, der höhere Verbraucherschutzstandards hat.

Vor diesem Hintergrund sieht der vzbv vor allem die unzureichende Verankerung des Vorsorgeprinzips innerhalb der Codex-Standards und der WTO als problematisch an. So gelangen Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der Verbraucher unter Rechtfertigungsdruck gegenüber der WTO.

Der vom vzbv vorgelegte Acht-Punkte-Plan zum Verbraucherschutz im globalen Lebensmittelhandel sieht vor:

  1. Das Welthandelsrecht muss das Verbraucherrecht auf Information und Wahlfreiheit anerkennen. Beschränkungen und Kennzeichnungspflichten für von Verbrauchern nicht akzeptierte Produktionsverfahren müssen möglich sein.
  2. Verbraucherrechte müssen innerhalb des WTO-Rechts verankert werden, beispielsweise durch die Aufnahme des Ziels "Verbraucherschutz" in die Präambel der WTO oder durch eine Verbraucherschutzklausel.
  3. Der Produktionsprozess muss auch im Codex Alimentarius berücksichtigt werden. So müssen die Codex-Richtlinien zur Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln eine Prozesskennzeichnungspflicht wie die der EU ermöglichen.
  4. Das Vorsorgeprinzip muss besser im Codex Alimentarius verankert werden. Die derzeit diskutierte Richtlinie zur Risikoanalyse in den Mitgliedsländern muss möglichst schnell verabschiedet werden.
  5. Die Transparenz im Codex Alimentarius muss erhöht werden. Auch Nichtregierungsorganisationen müssen zum Exekutivkomitee zugelassen werden und Expertenkomitees transparenter arbeiten.
  6. Die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen im Codex Alimentarius muss gestärkt werden. Die Mitgliedsstaaten sollen darin unterstützt werden, Verbraucherorganisationen in den Codex-Prozess einzubeziehen. Bisher kommen von 151 nichtstaatlichen Beobachtern 107 von der Industrie, nur 12 dagegen von Verbraucher- oder Umweltorganisationen.
  7. Die Beteiligung von Entwicklungsländern muss verbessert werden. Deutschland soll sich am dafür eingerichteten Trust Fund beteiligen.
  8. Die Bundesregierung soll - wie in ihrem Aktionsplan Verbraucherschutz im Mai 2003 angekündigt - ein ständiges nationales Codex-Komitee einrichten.

Beispiel Pestizide: EU-Grenzwerte zu streng?

Die im Codex Alimentarius festgelegten Pestizid-Höchstwerte liegen häufig oberhalb der in der EU zugelassenen Höchstwerte. Lassen sich diese Unterschiede auf Dauer aufrechterhalten? So hat beispielsweise China in einer Ausschuss-Sitzung der WTO im Juni 2004 kritisiert, dass die EU mit einigen Pestizid-Höchstwerten über die entsprechenden Codex-Höchstwerte hinausgeht.

Beispiel Benzoesäure: "So wenig wie nötig" oder "So viel wie bis zum Nachweis der Schädlichkeit möglich?"

Benzoesäure ist ein Konservierungsmittel, das bei empfindlichen Personen unerwünschte Reaktionen auslösen kann. Bei der letzten Sitzung der Codex-Alimentarius-Kommission im Juli 2004 wurde ein Höchstwert für das Vorkommen von Benzoesäure in Getränken beschlossen, der viermal so hoch ist wie der bisher in Europa zugelassene Wert. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben gegen diesen Wert protestiert und ihre Bedenken geäußert, dass durch den erhöhten Grenzwert die akzeptable tägliche Aufnahmemenge (ADI) überschritten werde. Der neue Höchstwert wurde trotzdem beschlossen - doch als Kompromiss einigte man sich schließlich auf eine zunächst dreijährige Testphase für den neuen Wert.

Was bedeutet dies für die EU-Mitgliedsländer? Wird die EU nun ihren strengeren Höchstwert aufgeben müssen, wenn sie innerhalb der nächsten drei Jahre keine Belege für Risiken durch eine erhöhte Aufnahme von Benzoesäure erbringen kann? Lässt sich das Vorsorgeprinzip "so wenig wie nötig" bei Zusatzstoffen aufrechterhalten oder muss es dem Prinzip "so viel, wie bis zum Nachweis der Schädlichkeit möglich ist" weichen?

Quelle: Berlin [ vzbv ]

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