Ernährungsindustrie mit Umsatzplus von 3,3% in 2005
Bürokratieabbau gefordert - Lebensmittelkontrollen verstärken
Jürgen Abraham, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), teilte anlässlich der Internationalen Grünen Woche mit, dass der Umsatz der Ernährungsindustrie in 2005 um 3,3% auf 134,5 Mrd. Euro gestiegen ist. Die Ernährungsindustrie hat sich in einem konjunkturell äußerst schwierigen Marktumfeld sehr gut behauptet. Maßgeblich haben die Anstrengungen der Unternehmen im Export zu diesem Ergebnis beigetragen.
Im Ausland wurden nach BVE-Schätzung deutsche verarbeitete Lebensmittel im Wert von 29,7 Mrd. Euro umgesetzt. Das entspricht einem Zuwachs von 7,2% gegenüber dem Vorjahr. Damit stieg der Anteil der Exporte am Gesamtumsatz auf 22,1%.
Schwieriger gestaltet sich allerdings die Marktentwicklung im Inland. Zwar zeichnete sich seit der zweiten Jahreshälfte eine leichte Konjunkturerholung ab, doch das Umsatzwachstum im Inland blieb mit 2,2% bescheiden. Die Schwäche des privaten Verbrauchs drückt auf die Preise. Dank hochwertiger Qualitätsprodukte und interessanter Produktinnovationen konnte die Branche dennoch leicht zulegen.
Der Discount spielt im Lebensmittelhandel mit fast 40% Marktanteil weiter die dominierende Rolle, auch wenn sich die Markenhersteller 2005 deutlich besser behaupten konnten.
Sorge bereitet den Unternehmen nach wie vor die Entwicklung der Rohstoffkosten und der Energiepreise für Produktion und Logistik. Im hart umkämpften Lebensmittelmarkt sind Preiserhöhungen der Endprodukte nur in geringem Umfang möglich, so dass steigende Kosten unmittelbar die Gewinne und damit die Investitions- und Innovationsmöglichkeiten der Unternehmen beeinträchtigen.
Trotz positiver Prognosen verschiedener Wirtschafts- und Marktforschungsinstitute für den Konsum 2006 darf sich die Ernährungsindustrie keinen falschen Hoffnungen hingeben, erklärte Jürgen Abraham. Von Sondereffekten wie der Fußballweltmeisterschaft oder vorgezogenen Käufen wegen der Mehrwertsteuererhöhung 2007 werde die Branche kaum profitieren können. Die BVE rechne daher mit einem Zuwachs des Gesamtumsatzes von höchstens 2% für 2006.
So bleibt den Unternehmen nur die Möglichkeit, die schwache Performance auf dem Heimatmarkt mit zusätzlichen Aktivitäten im Ausland zu kompensieren. Diese Grundtendenz wird sich weiter verstärken. Abraham rief die Politik deshalb auf, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Ernährungsindustrie im Interesse der heimischen Arbeitsplätze zu verbessern.
Erste Bilanz der Regierungsarbeit
Der BVE-Vorsitzende zog eine erste Bilanz der Arbeit der neuen Bundesregierung. "Ich glaube, mehr Sachlichkeit und damit weniger Ideologie und Wunschdenken erkennen zu können. Diese Sachlichkeit ist auch unerlässlich, um die Probleme, die unser Land hat, unvoreingenommen zu analysieren und realistische Lösungswege zu beschreiten."
Im Koalitionsvertrag und auch in der Politik seit der Wahl der Bundeskanzlerin sieht die BVE einige positive Ansätze für die Ernährungsindustrie. Kritisch sieht die Branche vor allem die angekündigte Mehrwertsteuererhöhung um 3 Prozentpunkte ab 2007. Das ist Gift für das allgemeine Konsumklima, auf dessen positive Entwicklung die Hersteller angewiesen sind; zwar ist ein Großteil der Lebensmittel nicht von dem neuen Mehrwertsteuersatz betroffen, jedoch entzieht diese Erhöhung den Konsumenten rund 25 Mrd. Euro Kaufkraft und dies wiederum wird die Lebensmittelbranche nachhaltig spüren. "Wir halten daher die Mehrwertsteuererhöhung nach wie vor nicht für richtig; besser wäre eine konsequentere Abschaffung von Subventionen und ich hoffe, dass die Politik dazu in diesem Jahr noch die Bereitschaft und die Kraft finden kann.", so Jürgen Abraham vor der Presse in Berlin.
Positiv bewertete Abraham, dass sich die Bundesregierung der Bedeutung der Ernährungswirtschaft und damit auch der Ernährungsindustrie bewusst ist und sich für ihre Wettbewerbsfähigkeit einsetzen will. Diese Absicht müsse aber in konkrete Handlungen umgesetzt werden. Dazu zählt aus Sicht der BVE an erster Stelle der dringend notwendige Bürokratieabbau.
Abraham kritisierte ein Zuviel an einschränkenden Bestimmungen für die Unternehmer. Diese würden den Herstellern die Freiheit nehmen, sich mit innovativen Produkten am deutschen Markt, in der EU und global zu bewähren. Innovationen kämen dem Verbraucher zugute; sie würden ihm aber vorenthalten, wenn es für die Unternehmen zu schwierig oder zu kostspielig werde, sie zu entwickeln und im Markt durchzusetzen.
Appell zum Bürokratieabbau
Abraham richtete daher den Appell an die Politik, 2006 zum Jahr des Bürokratieabbaus zu machen. Er ermutigte die Bundesregierung, mit dem Bürokratieabbau ernst zu machen. Er betonte, dass er die EU-Kommission, die ähnliches plant, in diesem Vorhaben unterstützen wird und er forderte die Wirtschaft auf, sich aktiv in diesen Prozess mit überzeugenden Vorschlägen einzubringen.
Die Ernährungsindustrie sei bereits intensiver Gegenstand Brüsseler Regelungen. Europäisch sei erfreulicherweise vieles schon vereinheitlicht, vieles sei aber viel zu umfangreich und viel zu kompliziert geregelt worden. Aber nicht nur dort müsse man ansetzen, sondern auch im eigenen Land; in der Vergangenheit wurden gerne auf EU-Richtlinien noch nationale Wünsche draufgesattelt; deshalb begrüßte Jürgen Abraham die Ankündigung von Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel umso mehr, EU-Richtlinien künftig strikt "1 zu 1" umzusetzen.
Fleischbranche nimmt Eigenverantwortung ernst
Zu den in der Fleischbranche in den letzten Wochen aufgedeckten Skandalen stellte der BVE-Vorsitzende fest, dass es sich zum größten Teil um kriminelle Vorkommnisse gehandelt habe. Durch die umfangreiche Berichterstattung habe der Eindruck eines flächendeckenden Missstandes entstehen können - tatsächlich habe es sich aber um einige wenige Einzelfälle gehandelt. Dies ändere aber nichts daran, dass jedes Kilo verdorbenes Fleisch im Markt, ein Kilo zuviel sei!
Die BVE stimme daher mit Bundesminister Seehofer darin überein, alles zu tun, um derartige kriminelle Machenschaften zu erschweren. Die Wirtschaft leiste bereits heute umfangreiche, eigenverantwortliche Qualitätssicherungsmaßnahmen, so Jürgen Abraham. Die Maßnahmen seien auch wirksam und die Situation habe sich in den letzten Jahren seit BSE auch deutlich verbessert. Beispielhaft seien das IFS (International Food Standard), BRC (British Retail Consortium) und das Q + S (Qualität + Sicherheit) System zu nennen. Neben der betrieblichen Eigenkontrolle und der staatlichen Überwachung sei dies eine dritte Säule wirksamer Sicherungsmaßnahmen. Selbstverständlich gebe es aber immer wieder Verbesserungsmöglichkeiten, an denen die Branche auch arbeite.
Verstärkte Lebensmittelkontrollen gefordert
Die aktuellen Geschehnisse hätten aber auch gezeigt, dass es im Bereich der amtlichen Kontrolle, des Zusammenwirkens der amtlichen Kontrollinstanzen in den Bundesländern untereinander und mit dem Bund zum Teil erheblichen Verbesserungsbedarf gebe.
Dort müsse man ansetzen und dort stelle sich die grundsätzliche Notwendigkeit, dem Bund eine größere Koordinationsfunktion einzuräumen. Es dürfe nicht sein, dass Deutschland ein unterschiedliches Maß an Lebensmittelsicherheit in den einzelnen Bundesländern habe und es dürfe auch nicht sein, dass der Bund dort nichts zu sagen habe, ja zum Teil nicht einmal umfassend informiert werde, was die Länder vor Ort finden und ermitteln.
Abraham forderte deshalb Bund und Länder auf, die Diskussion über die Föderalismusreform auch dazu zu nutzen, diese offensichtlichen Mängel abzustellen und nicht den Bundesländern in diesem politisch so hoch sensiblen Bereich der Lebensmittelsicherheit noch mehr Abweichungsmöglichkeiten von Bundesrecht einzuräumen. Weiter forderte Abraham verstärkte Lebensmittelkontrollen, um das Risiko "erwischt" zu werden zu erhöhen und Kriminelle abzuschrecken.
Verbraucherinformation darf Unternehmen und ihre Marken nicht gefährden
Verständnis äußerte der BVE-Vorsitzende für den Vorschlag von Bundesminister Seehofer, eine Informationspflicht desjenigen einzuführen, der unsichere Produkte angeboten bekommt. Problematisch bewertete er aber Überlegungen, vor dem Hintergrund der aktuellen Vorkommnisse wieder verstärkt nach einem Verbraucherinformationsgesetz zu rufen.
Ein solches Gesetz sei für die Ernährungsindustrie nur akzeptabel, wenn durch ausreichende Sicherungsmaßnahmen verhindert wird, dass Produkte und Unternehmen ungerechtfertigter Weise an den politischen Pranger gestellt werden. Die öffentliche Nennung eines Produktes, einer Marke habe die negativsten Auswirkungen auf das Unternehmen, es könne sogar in seinem Bestand gefährdet werden. Daher sei Vorsicht im Interesse von Verbrauchern, Arbeitnehmern und Untenehmen geboten!
Quelle: Berlin [ bve ]