Regierungserklärung "Aktuelle Situation zur Vogelgrippe"
Von Bundesminister Horst Seehofer am 16. Februar 2006 im Deutschen Bundestag
Am heutigen Donnerstag hat Bundesminister Horst Seehofer zur aktuellen Situation nach der Vogelgrippe-Feststellung auf Rügen im Bundestag eine Regierungserklärung abgegeben. Das Script hierfür dokumentieren wir im Folgenden:
Es gilt das im Bundestag gesprochene Wort!
Sehr geehrter Präsident (Frau Präsidentin)!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Das Friedrich-Loeffler-Institut hat uns am Dienstag Abend mitgeteilt, dass bei Proben von 2 Schwänen, die auf der Insel Rügen tot aufgefunden wurden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die gefährliche Variante der Vogelgrippe festgestellt wurde. In der Fachsprache waren die Schwäne mit dem hochpathogenen H5N1-Virus infiziert - in unserer (Umgangs)Sprache würde es heißen, wir haben es mit einem für Vögel hochaggressiven Virus zu tun.
Die endgültige Bestätigung dieses Befundes durch das Friedrich Loeffler-Institut (und das europäische Referenzlabor) steht noch aus, wird aber für den Verlauf des heutigen Nachmittags erwartet.
Weitere Fälle von toten Tieren aus der näheren Umgebung des ersten Fundortes werden jetzt untersucht (etwa 40 Tiere). Bei einem Habicht, der in der vergangenen Woche in großer räumlicher Nähe zu dem Fundort der Schwäne tot aufgefunden wurde, hatten die ersten Analysen inzwischen ebenfalls eine Infektion mit dem Vogelgrippevirus zum Ergebnis.
Meine Damen und Herren, die vorliegenden Fälle treffen uns nicht unerwartet! Wir müssen davon ausgehen, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt!
Nach Meinung unserer Experten wäre es _ angesichts der jüngsten Entwicklungen in Süd- und Südosteuropa eher unwahrscheinlich gewesen, wenn wir hier in Deutschland von der Vogelgrippe bei Wildvögeln verschont geblieben wären.
Wir sind aber auf diesen Fall _ auf diese neue Situation vorbereitet!
Auf das Auftreten des Virus bei den Wildvögeln hier in Deutschland als weiteren, dritten Gefährdungsstrang.
Dabei dürfen wir die beiden übrigen Gefährdungsstränge nicht unbeachtet lassen: Neben dem Risiko durch die "Standvögel" bleibt es bei dem hohen Risiko durch die Rückkehr der Zugvögel in den kommenden Monaten. Auch hier hat sich in den vergangenen Tagen und Wochen durch die neu aufgetretenen Fälle in Afrika und auch in Südeuropa die Gefährdung erhöht.
Es ist nicht mehr nur die Südost-Route über die Türkei sondern jetzt auch die Zentral-Route über Italien und auch die Südwest-Route über Spanien betroffen.
Und als dritten wesentlichen Gefährdungsstrang: das Einschleppen des Virus über die Verbringung von Geflügel- und Geflügelprodukten über den Reiseverkehr aus Befallsgebieten.
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund dieser Situation _ dieser drei Gefährdungsstränge, die es momentan zu beachten gilt _ lassen Sie mich die Situation folgendermaßen zusammen fassen:
Wir müssen diese neue Sachlage als sehr ernst einstufen! Bei aller Besorgnis und bei allem Ernst der Situation besteht kein Anlass, in Panik zu verfallen! Aber sehr wohl zu erhöhter Wachsamkeit und Vorsicht!
Wir haben es im Moment mit einer Tierseuche zu tun! Innerhalb der Tierwelt mit einer Betroffenheit bei den Wildvögeln!
Wir sollten in dieser Situation alles daran setzen, Ruhe zu bewahren und uns auf das konsequente und geordnete Durchgreifen und Vorgehen entsprechend unserer vorbereiteten Krisenpläne verlassen!
Meine Damen und Herren, im Zweifel für die Sicherheit und Prävention! Auf diesen Leitsatz haben wir uns gestern auch nochmals im nationalen Krisenstab Tierseuchen verpflichtet, den wir kurzfristig einberufen haben.
Gemeinsam mit den übrigen betroffenen Ressorts der Bundesregierung und unseren wissenschaftlichen Instituten, mit den Bundesländern und auch mit der Wirtschaft (Geflügelzüchter und Deutscher Bauernverband als wesentliche betroffenen Akteure) haben wir dabei nochmals unser Maßnahmenpaket beraten.
Dabei waren wir alle einer Meinung: Oberste Priorität hat für den Moment, den Übergriff der Vogelgrippe auf den Bestand an Hausgeflügel zu verhindern!
Alle Anstrengungen darauf zu verwenden, unsere schon getroffenen Schutzmaßnahmen und Notfallpläne zum Wirken zu bringen - wo notwendig auch nachzusteuern!
Meine Damen und Herren, aus dem gesamten Maßnahmenpaket, das wir in den vergangenen Wochen und Monaten vorbereitet und zum größten Teil schon in Kraft gesetzt haben, will ich deshalb nochmals auf folgende Punkte hinweisen:
- Bezogen auf das konkrete Auftreten der Vogelgrippe jetzt in der Wildvogelpopulation in Mecklenburg-Vorpommern haben wir noch am Dienstag Abend mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern abgestimmt, dass umgehend die nach EU-Recht geforderten Sicherheitszonen eingerichtet wurden (Schutzzone im Radius von 3 Kilometern und Überwachungszone im Radius von 10 Kilometern um den Fundort).
- Gleichzeitig habe ich gestern Vormittag eine Verordnung unterschrieben, mit der die bundesweite Aufstallung des Geflügels nun unverzüglich in Kraft gesetzt wird und damit wiederum um mehrere Tage im Vergleich zu unserer Risikoeinschätzung vom Beginn der Woche vorgezogen wird. Die Verordnung ist heute im Bundesanzeiger veröffentlicht und tritt damit morgen, am 17. Februar, in Kraft.
Ergänzend dazu haben wir auch die Durchführung von Geflügelausstellungen vollständig untersagt (ohne Ausnahmemöglichkeiten) und eine stärkere Reglementierung des gewerbsmäßigen Handels mit Geflügel vorgenommen. - Auch das sogenannte Monitoring der Wildvögel - das wir bereits seit dem letzten Herbst geregelt haben wollen wir jetzt noch weiter verstärken. Denn die Wildvögel werden, wie sich jetzt auch bei uns in Deutschland gezeigt hat, als Überträger des Virus auch in Zukunft eine maßgebliche Rolle spielen.
Herr Minister Backhaus hat gestern aus Mecklenburg-Vorpommern berichtet, dass dort seit September im Rahmen unseres mit den Bundesländern vereinbarten und bereits installierten Wildvogelmonitorings - alleine in diesem Bundesland über 1.100 Proben von Wildvögeln auf den Virus getestet wurden (einschließlich Tests bei Nutztieren: über 3.300 Proben).
Meine Damen und Herren, im Moment und in den kommenden Tagen _ wird sicherlich die unmittelbare Abwehr der Gefahr des Eintrags der Vogelgrippe in den Hausgeflügelbestand im Vordergrund unserer Aktivitäten stehen.
Wir müssen jetzt sehen,
- dass die seit vielen Monaten getroffenen beziehungsweise vorbereiteten Vorsorge- und Schutzmaßnahmen,
- dass das Zusammenspiel der Maßnahmen und
- dass das Zusammenarbeiten der Behörden angesichts der neuen Gefährdungslage für die Übertragung von Tier zu Tier - ohne Probleme läuft und wo wir gegebenenfalls noch nachsteuern müssen.
Eines können wir aber bereits als Zwischenergebnis der vergangenen knapp 36 Stunden sagen: die Zusammenarbeit mit den Bundesländern in diesem Fall mit dem Land Mecklenburg -Vorpommern hat gut funktioniert; und wir sehen - darin war sich der nationale Krisenstab gestern im Übrigen auch einig - jedenfalls über die eben beschriebenen Maßnahmen hinaus im Moment keinen Anlass, etwas an unseren Schutzmaßnahmen in Frage zu stellen.
Meine Damen und Herren, klar muss dabei aber auch sein, das möchte ich hier nochmals sehr deutlich wiederholen: unsere staatliche Verantwortung und unsere Maßnahmen sind die eine Seite - da tun wir das Menschenmögliche, auf allen Ebenen Bund, Länder und die Institute -, auf der anderen Seite wird eine erfolgreiche Abwehr der Vogelgrippe aber nicht ohne verantwortliches Handeln der Bevölkerung und der Geflügelhalter bei uns in Deutschland zu erreichen sein.
Ich kann nur noch einmal dringend an die gesamte Bevölkerung appellieren, die Hinweise, Ratschläge und Tipps, die von den öffentlichen Stellen gegeben werden, peinlichst genau einzuhalten.
Und ich rufe die Bevölkerung dazu auf, das Auffinden von toten Vögeln unverzüglich an die örtlichen Behörden zu melden, die dann die weiteren Schritte in die Wege leiten können.
Und bitte - ganz eindringlich auf keinen Fall sollten tote Vögel angefasst werden!
Der beste Schutz ist Hände weg von toten Tieren! Damit verbunden auch die Bitte an die Eltern, Ihre Kinder darauf hinzuweisen und darauf zu achten, dass tote oder kranke Vögel nicht berührt werden.
Meine Damen und Herren, sie wissen dass innerhalb der Europäischen Union inzwischen neben Deutschland auch Griechenland, Italien, Slowenien, Slowakei, Österreich, Dänemark und Ungarn Verdachtsfälle beziehungsweise bestätigte Fälle von Vogelgrippe bei Wildvögeln gemeldet haben.
Wir dürfen deshalb nicht nur von einer nationalen Strategie sprechen sondern wir müssen mit einer Doppelstrategie auf diese Situation und auf diese neue Gefährdung reagieren!
Wenn wir uns am kommenden Montag mit den Ministerkollegen in Brüssel über die neue Situation im europäischen Kontext beraten, dann ist mir deshalb auch sehr daran gelegen, dass wir eine möglichst weitgehende Abstimmung auf europäischer Ebene erreichen.
Zwei konkrete Punkte will ich dabei aus unserer Sicht zur Sprache bringen:
- zum Einen nochmals bezogen auf das weiterhin bestehende hohe Risiko des Viruseintrags durch die Verbringung von Geflügel- und Geflügelprodukten über den Reiseverkehr aus Befallsgebieten. Neben unseren nationalen Kontrollen, die wir selbstverständlich weiter durchführen werden, ist hier aus meiner Sicht eine Deklarationspflicht für Reisende an den Außengrenzen der EU notwendig;
- zum Anderen bezogen auf den Erfahrungsaustausch zwischen den Ländern und die Forschung; bezogen auf die Entwicklung von Impfstoffen aber auch im Hinblick auf eine weiter gehende Ursachenforschung.
Denn wir stehen im Moment auch in Mecklenburg-Vorpommern vor einem noch sehr unklaren Geschehen bezüglich der Übertragungswege der Vogelgrippe. Die Wissenschaft hat eine Reihe von Hypothesen, wie es zu diesem Eintreten der Vogelgrippe bei uns in Deutschland zu einem Zeitpunkt kommen konnte, an dem man eigentlich noch nicht mit großen und weiten Vogelwanderungen rechnen konnte.
Aber es sind Spekulationen und wir müssen deshalb hier noch erheblichen Erfahrungsaustausch auf internationaler Ebene und innerhalb der Wissenschaft betreiben.
Meine Damen und Herren, es bleibt unser gemeinsames Ziel bezüglich dieser Tierseuche die Risiken zu minimieren und einen Eintrag in unsere Hausgeflügelbestände in Deutschland zu verhindern.
Wenn wir uns an die vorbereiteten Schutzmaßnahmen halten und diese Schutzmaßnahmen auch immer wieder an das Risiko anpassen dann sind wir in der Lage, diesen Kampf zu gewinnen.
Im Kabinett haben wir gestern vereinbart, dass ich die Bundesregierung und auch den Bundestag in den kommenden Tagen laufend über die weiteren Entwicklungen und unsere Maßnahmen unterrichten werde.
Für die Bevölkerung haben wir heute morgen in unserem Ministerium eine Hotline frei geschaltet, über die wir informieren und auch Ängste nehmen wollen!
Denn an der Gefährdungssituation bezüglich der Übertragung auf den Menschen hat sich im Moment noch nichts geändert. Das haben uns gestern auch nochmals die Experten des Robert Koch Instituts bestätigt.
Wir haben es mit einer Tierseuche zu tun! Und wenn wir uns an die aufgestellten Regeln halten, dann gilt auch weiterhin: Der beste Gesundheitsschutz ist, unsere Geflügelbestände zu schützen!
Und für die Bevölkerung gilt: Der beste Schutz ist Hände weg von toten Tieren!
Vielen Dank!
Quelle: Berlin [ bmelv ]