Verbraucherinformations-Verhinderungsgesetz im Bundestag
Regierungsfraktionen winken Horst Seehofers „Formulierungshilfe“ im Hoppla-Hopp-Verfahren durch und verzichten bis auf weiteres auf Transparenz bei Lebensmittelskandalen – Entschließungsantrag soll Unternehmen zu freiwilligem Wohlverhalten veranlassen – Deutsche Umwelthilfe: „Gegen die Wirkungslosigkeit eines Placebos hilft kein weiteres Placebo“
Das geplante Verbraucherinformationsgesetz (VIG) wird das exakte Gegenteil von dem bewirken, was es verspricht. Statt mehr Transparenz bei Lebensmittelskandalen zu garantieren, schützt es die Unternehmen konsequent vor insistierenden Auskunftsbegehren aus der Zivilgesellschaft. Das ist das vernichtende Urteil der Deutschen Umwelthilfe (DUH) über das heute von den Koalitionsfraktionen in erster Lesung in den Bundestag eingebrachte Gesetz.
„Die von Union und SPD unverändert übernommene ´Formulierungshilfe´ aus dem Haus von Horst Seehofer ist eines der größten Täuschungsmanöver der Politik in den letzten Jahren. Deshalb fahren die Nebelwerfer, die mit dem VIG den mündigen Verbraucher gestärkt sehen wollen, heute innerhalb und außerhalb des Parlaments Sonderschichten“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch in Berlin. Wie schlecht das Gewissen der Koalitionsfraktionen sei, könne man in dem Entschließungsantrag nachlesen, den sie im Rahmen der noch vor der Sommerpause anvisierten endgültigen Verabschiedung des Regelwerks in den Bundestag einbringen wollen. Darin werden die Unternehmen aufgefordert, freiwillig jene Transparenz herzustellen, vor deren verbindlicher gesetzlicher Regelung die große Koalition zurückgeschreckt sei. „Gegen die Wirkungslosigkeit eines Placebos wird ein weiteres Placebo angeboten. Das ist genau die Überdosis Verschleierung, die alle Parlamentarier, die den Verbraucherschutz und sich selbst ernst nehmen, auf die Barrikaden treiben müsste“, so Resch.
Weder Unternehmen noch Behörden sind nach dem Wortlaut des Gesetzentwurfs verpflichtet, die Bevölkerung aktiv und von sich aus über Funde belasteter Lebensmittel zu unterrichten. Auskunftsansprüche gegenüber privaten Unternehmen sind gar nicht erst vorgesehen, Informationsbegehren gegenüber Landes — oder Bundesbehörden können in der Praxis weitgehend abgeblockt werden. Inhaltlich wird der Anwendungsbereich des Gesetzes auf „Erzeugnisse im Sinne des „Lebensmittel- und Futtermittelgesetzes (LFGB)“ eingeengt. Den Rest des Transparenz-Verhinderungsgesetzes besorgen weit reichende „Ausnahmetatbestände“, unter die vor allem tatsächliche oder vorgebliche Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse fallen. Dabei sollen die Unternehmen — ohne jede inhaltliche Begründung - selbst bestimmen können, welche Daten unter das Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis fallen, und deshalb nicht zur Verfügung gestellt werden müssen.
Unternehmen können nach dem Wortlaut des Gesetzentwurfs sogar noch im Nachhinein, also nachdem sie von den Behörden über einen Auskunftsantrag aus der Bevölkerung unterrichtet wurden, für den konkreten Fall relevante Daten als Betriebs- und Geschäftsgeheimnis klassifizieren. Sicherheitshalber werden schließlich auch noch „sonstige wettbewerbsrelevante Informationen, die in ihrer Bedeutung für den Betrieb mit einem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis vergleichbar sind“, von der Bekanntgabepflicht befreit.
Am Beispiel der aktuellen Diskussion über die Belastung von Frucht- und Gemüsesäften in Kartonverpackungen mit der Druckchemikalie Isopropylthioxanton (ITX) lässt sich leicht nachvollziehen, dass das VIG in der nun eingebrachten Form keinen Fortschritt bringt. „Seit Monaten versucht die Deutsche Umwelthilfe im Bundesverbraucherschutz- und den zuständigen Länderministerien weitgehend erfolglos Informationen über das Ausmaß der ITX-Kontaminationen zu erhalten“, so die zuständige DUH-Projektleiterin Eva Leonhardt. „Wenn es doch einmal, wie im Fall Baden-Württembergs eine begrenzte Auskunftsbereitschaft, gibt, dann auf freiwilliger Basis. Auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes wird es einen Rechtsanspruch auf Information in einem solchen Fall nicht geben.“ Für die betroffenen Unternehmen wäre es ein Leichtes, die Daten unter Hinweis auf angebliche Geschäftsgeheimnisse oder wettbewerbsrelevante Informationen zu verweigern.
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch befürchtet sogar eine Verschlechterung der gegenwärtigen Rechtslage: „Bisher lag die Information der Bevölkerung wenigstens teilweise im Ermessen der Behörden. Nach dem Seehofer-Gesetz könnten die Unternehmen künftig praktisch jedes Informationsbegehren ohne Begründung unter Hinweis auf Betriebsgeheimnisse oder wettbewerbsrelevante Informationen abschmettern“. Der DUH-Bundesgeschäftsführer forderte die Bundesregierung auf, das Gesetz „nicht noch vor der Sommerpause Hoppla-Hopp durch den Bundestag zu peitschen“. Das Regelwerk müsse vor seiner Verabschiedung von Verbänden und Fachleuten seriös evaluiert werden. Dies sei nicht binnen eines Monats möglich. Die Koalitionsfraktionen müssten sich fragen lassen, ob sie sich künftig „mit dem Abnicken von ´Formulierungshilfen´ aus den Ministerien begnügen oder ihrem eigenen Gestaltungsauftrag als Abgeordnete nachkommen wollen“.
Die Deutsche Umwelthilfe hatte im April eine erste Detailanalyse der „Formulierungshilfe“ aus dem Verbraucherschutzministerium vorgelegt und vor der Einbringung des mangelhaften Entwurfs in den Bundestag gewarnt.
Quelle: Berlin [ duh ]