Verbraucherschutzindex 2006: Fast alle Länder verbessern sich
Edda Müller: "Von einheitlichem Verbraucherschutz in ganz Deutschland weiter entfernt denn je"
Drei von sechzehn Bundesländern haben den Verbraucherschutz in den letzten beiden Jahren zum Teil erheblich ausgebaut. Gleichzeitig wird der Abstand zwischen starken und schwachen Bundesländern immer größer: Bei den Kontrollbehörden für Lebensmittelsicherheit oder Produktsicherheit bestehen von Bundesland zu Bundesland gravierende Unterschiede bei Kontrolldichte und Ausstattung. Dies sind zentrale Ergebnisse des Verbraucherschutzindex 2006, den der Verbraucherzentrale Bundesverband heute veröffentlichte. Die Verbraucher selbst erwarten eine aktivere Verbraucherpolitik: In einer parallel durchgeführten Verbraucherbefragung sprachen sich 80 Prozent der Befragten für bessere Beratungsmöglichkeiten und mehr Kontrollen aus.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband rief die Länder dazu auf, den vorhandenen Handlungsspielraum stärker auszuschöpfen. Mit Verweis auf die deutliche Verbesserung einzelner Länder sagte vzbv-Vorstand Prof. Dr. Edda Müller: "Es gibt keine Entschuldigung mehr für schlechten Verbraucherschutz - einige Länder machen vor, wie es geht."
Der Verbraucherschutzindex bildet ein Ranking der Verbraucherpolitik der 16 Bundesländer. Anhand von 59 Indikatoren wird die verbraucherpolitische Bilanz der Landesregierungen, der Landtage, der Kontrollbehörden und der Verbraucherzentralen bewertet.
Der jetzt vorgelegte Index 2006 zeigt: In die Verbraucherpolitik der Länder ist Bewegung gekommen. Spitzenreiter Brandenburg katapultierte sich gegenüber dem erstmals 2004 veröffentlichten Index vom bisherigen zehnten Platz im Ranking auf Platz eins. Deutlich verbessern konnten sich auch Hamburg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Ausnahmen von der positiven Entwicklung der übrigen Länder bilden Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen. Während Berlin stagniert, fallen Bremen und Mecklenburg-Vorpommern sogar noch hinter das ohnehin schlechte Ergebnis von 2004 zurück und landen auf den Plätzen 15 und 16.
Auch die besten Länder schöpfen Handlungsspielraum nicht aus
Zwei Ergebnisse trüben die positiven Entwicklungen: Selbst die Spitzengruppe der Länder schöpft das vorhandene verbraucherpolitische Handlungspotential bei weitem nicht aus. So erreichen die vier Spitzenreiter Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hamburg nur gut zwei Drittel der insgesamt erreichbaren Punktzahl.
Mit der sich öffnenden Schere zwischen starken und schwachen Ländern zeigt sich deutschlandweit ein zweiter bedenklicher Trend: Gegenüber dem Verbraucherschutzindex 2004 hat sich der Abstand zwischen dem besten und dem schlechtesten Ergebnis deutlich vergrößert - während einige Länder spürbare Verbesserungen aufweisen können, fallen ohnehin schwach platzierte Länder zurück.
Verbraucherschutz: Föderaler Flickenteppich
Vor allem bei den Kontrollbehörden aber auch bei den Verbraucherzentralen ist Deutschland damit weiter denn je von einem einheitlichen Verbraucherschutzniveau entfernt. "Dieses Thema gehört in die Verbraucherministerkonferenz von Bund und Ländern," sagte vzbv-Vorstand Prof. Dr. Edda Müller. Verbraucherschutzgesetze auf Bundesebene nützten nichts, wenn sie auf Länderebene nicht umgesetzt werden. Müller kritisierte die bisherige Arbeit der seit Januar bestehenden Verbraucherministerkonferenz: "Es wird Zeit, dass die Konferenz bei ihrer wichtigsten Aufgabe - der Bund-Länder-Koordination - greifbare Ergebnisse erzielt." Viele Länder konnten ihr Abschneiden im Verbraucherschutzindex durch bessere Koordination, klarere Zuständigkeiten und neu geschaffene Institutionen wie etwa Landesämter für Verbraucherschutz verbessern. "Verbraucherpolitik braucht Sichtbarkeit - wenn am Ende niemand zuständig und niemand verantwortlich ist, kann es auch keine gute Verbraucherpolitik geben," sagte Edda Müller.
Neue Ministerien: Aber was ändert sich für die Verbraucher
Fraglich ist aber, ob diese institutionellen Verbesserungen auch bei den Bürgern ankommen. In einer parallel zum Verbraucherschutzindex durchgeführten repräsentativen Befragung bewerteten nur gut ein Fünftel der Bundesbürger die Wirksamkeit des Verbraucherschutzes in ihrem Bundesland als gut oder sehr gut. Auch das Vertrauen in Behörden und Landesregierungen ist gering: Auf die Frage "Welche Institution setzt sich am wirksamsten für den Verbraucherschutz ein?" nannten 55 Prozent der Befragten die Verbraucherzentralen. Erst weit abgeschlagen folgen die Kontrollbehörden mit 13 und die Verbraucherschutzministerien mit neun Prozent.
Das Auseinanderdriften der Bundesländer macht sich auch bei den Verbraucherzentralen bemerkbar: Wegen finanzieller Kürzungen der Landesregierungen in Thüringen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern standen beziehungsweise stehen die Verbraucherzentralen vor existentiellen Problemen. In Mecklenburg-Vorpommern musste die Verbraucherzentrale 2004 sogar Insolvenz anmelden und kann nach ihrer Neugründung nur noch mit einem Rumpfbudget arbeiten.
Die Länder müssen handeln - die Forderungen des vzbv:
Der Verbraucherschutzindex zeigt: Die Länder müssen das Potential für eine wirksame Verbraucherpolitik besser ausschöpfen. Folgende Punkte sollen konkret dazu beitragen.
Verbraucherpolitik inhaltlich voranbringen
Ohne Konzept keine stringente Politik - der Verbraucherschutz muss aus der bisherigen Kontur- und Konzeptionslosigkeit heraustreten. Deshalb sollten die Länder ...
- in regelmäßigen Verbraucherschutzberichten ihre politischen Ziele darlegen und zugleich Rechenschaft ablegen,
- die Aktivitäten der Landesregierung ressortübergreifend koordinieren, um eine Verbraucherpolitik "aus einem Guss" zu machen.
- Die Landtagsfraktionen sollten verbraucherpolitische Leitlinien entwickeln.
Ressourcen sichern
Verbraucherschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Tatsächlich liefern sich die Länder derzeit einen Wettbewerb, wer das Niveau bei Verbraucherzentralen und Kontrollbehörden am weitesten absenken kann. Der bisherige Flickenteppich bei Kontrollbehörden und Beratungsmöglichkeiten macht Verbraucherschutz abhängig vom Wohnort. Deshalb sollten die Länder …
- die unabhängige Beratung und Information der Verbraucher durch die Verbraucherzentralen jährlich mit mindestens einem Euro pro Kopf fördern
- bei der Lebensmittelüberwachung, bei der Produktsicherheit und im Mess- und Eichwesen länderübergreifend wesentlich enger als bisher zusammenarbeiten und in der Verbraucherministerkonferenz Standards für ein einheitliches Kontrollniveau festlegen.
Transparenz ausbauen
Große Unterschiede gibt es weiterhin bei der Transparenz von Behörden und Landesregierungen: Doch gerade für Verbraucher ist das Bürgerrecht auf Information und Wahlfreiheit entscheidend. Die Länder sollten deshalb
- parallel zum Informationsfreiheitsgesetz des Bundes eigene Landesinformationsfreiheitsgesetze verabschieden
- im Gesetzgebungsverfahren die Lücken beim geplanten Bundesverbraucherinformationsgesetz schließen.
Quelle: Berlin [ vzbv ]