Metzger trifft Kunst
Die Metzger mischen jetzt in der Kunstszene mit. Das wird ein Schock! Schwere Kost in Zeiten des Veggiewahns. Bei genauerer Betrachtung ist es eine große Überraschung, wie die Tätigkeit eines Berufsstandes sich in den Werken bildender Künstler vom Altertum bis in unsere Tage widerspiegelt. Fast zu allen Zeiten haben sich Künstler von Motiven aus der Berufswelt der Metzger inspirieren lassen. Die Kunstgeschichte und Geschichte dieses sehr alten Handwerks sind vielfältig verwoben, gilt doch das Metzgerhandwerk als das älteste Handwerk der Welt und markiert doch das Auftauchen von Kunst in der Steinzeit den Ursprung von Kultur.
In Zeiten teilweise absurder Ernährungsdebatten soll diese Ausstellung daran erinnern, wie sehr Fleisch mit der Geschichte des Menschen verbunden ist und wie weit wir uns von unserem Ursprung entfernt haben. Vielleicht wagen sich deshalb auch nur noch wenige Künstler an dieses Material heran.
Fleisch ist heute in der Kunst eingesetzt ein unterschätztes und tabuisiertes Material.
Fleisch ist vergänglich, roh, blutig, archaisch.
Die Künstlergruppe Gotensieben hat sich an dieses Material herangewagt. Kunst lädt in ihren besten Momenten den Betrachter zu einer Auseinandersetzung ein. Manchmal gefällt sie, manchmal stößt sie auf Ablehnung, oft lebt sie heutzutage von der Provokation. Nur gelingt es den meisten Künstlern immer seltener, tatsächlich ein Werk zu schaffen, dass die Menschen erreicht, sie nicht kalt lässt, das sie berührt, Zustimmung auslöst, oder eben auch Kritik und Verweigerung.
Und hier trifft der Metzger auf die Kunst.
Dass ein (kleiner) Teil der Bevölkerung den Berufsstand ablehnt, damit können die Metzger gut leben. Metzger zu sein, ist in den seltensten Fällen einfach nur ein Brotberuf. Metzger kann man nur sein, wenn man bereit ist, diesen Beruf mit Leib und Seele auszufüllen. Das verbindet den Metzger mit dem Künstler.
Bei der Ausstellung Metzgerei Seele & Söhne geht es um Resonanz. Die Bilder sprechen den Betrachter an, verstören ihn und bringen ein Denkprozess in Gang - oder auch nicht. Was lösen die Bilder beim Betrachter aus? Welchen Wechsel der Perspektive ermöglichen sie?
Man darf nicht unterschätzen, dass die Metzger in diesem Fall der Absender der Kunstaktion sind und damit in den öffentlichen Diskurs eintreten.
Gezeigt werden:
- historische Aufnahmen des Metzgerhandwerks
- die Werkgruppe Seelen der Künstlergruppe Gotensieben Als Kinder glaubten Klaus Reichert und Thomas Balzer fest daran, die Seele sei ein Organ, irgendwo im Körper verborgen. Als Mitglieder der Künstlergruppe haben sie sich auf die Suche nach der Seele gemacht und sind fündig geworden. Da Fleisch der Ursprung aller Kunstthemen ist, drängte sich für die Mitglieder der Künstlergruppe Gotensieben die Idee auf, Seelen durch Fleisch zu materialisieren. www.gotensieben.de
Die Künstlergruppe Gotensieben setzt damit die lange Tradition des Fleisches in der Kunst fort.
Historie: Bei genauerer Betrachtung ist es eigentümlich und sehr spannend wie die Tätigkeit eines Berufsstandes sich in den Werken bildender Künstler vom Altertum bis in unsere Tage widerspiegelt. Fast zu allen Zeiten haben sich Künstler von Motiven aus der Berufswelt der Metzger inspirieren lassen. Die üppigen fleischlichen Rundungen der Venus von Willendorf symbolisieren Fruchtbarkeit. In den Höhlenmalereien wird tierisches Fleisch als Nahrung und Totem und damit als Symbol der Macht illustriert. In der Sprache ist die Seele schon lange Fleisch. Menschen glauben an Reinkarnation und hoffen auf Seelenwanderung. Die Menschwerdung Gottes vollzieht sich durch Inkarnation (lat. incarnatio = Fleischwerdung).
Seit Pieter Aertsen 1552 als Erster ein mächtiges Stück Fleisch in den Mittelpunkt eines seiner Werke setzte (Vanitas-Stillleben mit Christus bei Maria und Martha), hat Fleisch die Maler nicht mehr losgelassen.
Auch bei Rembrandt, Joachim Beuckelaer, Maerten van Cleve beherrschen Fleischstücke die Gemälde. Nur Reiche konnten sich damals Fleisch leisten, das von Metzgern, Marktfrauen und Küchenmädchen zubereitet wurde.
Bei Vincenzo Campi, Bartolomeo Passerotti und Annibale Caracci galt das niedere Volk, dass das Fleisch zubereiten musste, als vulgär, roh und dem Fleisch ergeben. Die voluptas carnis, die Fleischeslust, wurde zum Synonym sündhaften Lebens.Goya, Delacroix, Daumier und immer wieder Chaim Soutine haben sich dem Fleischlichen in ihrer Malerei gewidmet (und nicht nur da). Aus der Fleischeslust wurde bei ihnen Verderbnis und Tod.
Bei Francis Bacon ist das Fleischliche der Figuren und damit ihr Verfall oft das Hauptthema: „Als Maler muss man immer daran denken, dass eine große Schönheit in der Farbe des Fleisches liegt.“
Auch Lucian Freud war sich der Macht des Fleisches sehr bewusst: „Die Farbe ist das Fleisch der Malerei“. Fleisch steht für irdisch, leiblich, menschlich und damit vergänglich.Im Wiener Aktionismus wollten Künstler um Hermann Nitsch Tabus brechen und eine satte Gesellschaft provozieren. Immer wieder wurde gegen Nitsch der Vorwurf der Blasphemie erhoben. Auch Tierschützer protestierten immer wieder gegen den Umgang mit geschlachteten Tieren im Rahmen seiner blutigen Happenings.
Im Alten Museum Berlin findet seit dem 1. Juni die AusstellungFleischstatt. In der Ankündigung heißt es:
Fleisch: Gerade noch bewegliche Grundlage des Lebens, plötzlich verwesende Substanz – für die einen abstoßend, für die anderen Nahrung oder Opfergabe an die Götter. Fleisch offenbart den allgegenwärtigen Konflikt zwischen Leben und Tod in der menschlichen Kultur. Die Position des Fleisches im Spannungsfeld zwischen Entstehen und Vergehen ist dabei paradox. Die Ausstellung fragt, wie dieses Paradoxon die Bereiche Ernährung, Kult und Körper beeinflusst und damit auch unser heutiges Verhältnis zum Fleisch prägt.
Eine gute Frage, finden wir. Wir beantworten sie mit unserer eigenen Ausstellung.
Gegenwart
Die KunstaktionMetzgerei Seele & Söhneverdichtet die Beziehung zwischen Metzgerhandwerk und Kunst im 21. Jahrhundert durch eine Reihe spannender Bezüge:
- das Material der Künstler stammt aus unseren Schlachthäusern
- die Künstler machen etwas sichtbar, was uns alle verbindet: die Seele!
- als Handwerker mit jahrhundertealter Tradition sind wir Teil der Seele unserer Gesellschafft
- Was wir tun (Schlachten und Essen erzeugen) ist eine sehr alte Kulturtechnik
- Töten, Ausnehmen, Braten stand am Beginn unser Kultur
Als die Grundbedürfnisse der Menschen nach Schutz und Nahrung gesichert waren, erst da konnte Kultur überhaupt erst entstehen.
Der Homo Sapiens hat aus Knochen kleine Kunstwerke geschaffen, er hat Höhlenwände mit Tieren bemalt, mit Tieren die er aufgegessen hat.
Nach dem Dach über dem Kopf, dem vollen Bauch und den kunstvoll bemalten Wänden hat sich der Mensch die Naturgeister ausgedacht und damit letztendlich die Religion erfunden.
Am Ende ist alles durchdrungen vom Fleisch und so liegt die Idee nahe, auch die Seele durch Fleisch sichtbar zu machen, wie es die Künstler der Künstlergruppe Gotensieben getan haben. In ihrer Kunst wird sichtbar, was nicht gezeigt werden kann oder auch nicht gezeigt werden darf oder soll.
Metzgerei Seele & Söhne in der Kunsthalle Ludwig
Die Kunsthalle Ludwig im Westen der Kunstmetropole Frankfurt ist in der Kunstcommunity schon längst kein Geheimtipp mehr. Die Kunsthalle ist neben den Museen der Stadt wohl einer der schönsten Orte um Kunst zu zeigen.
Kontakt: Klaus Reichert
Tel. 0171 895 6823 / Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Kunsthalle Ludwig / Künstlergruppe Gotensieben / Office
Gotenstraße 5-7 / 65929 Frankfurt-Höchst
Eine Gemeinschaftsproduktion der Kunsthalle Ludwig, der Künstlergruppe Gotensieben und der Fleischer-Innung Frankfurt-Darmstadt-Offenbach
19.09.2018 – 11.11.2018
15.00 – 18.00 Uhr und nach Vereinbarung