Eberimpfung: tierfreundliche Alternative zur Ferkelkastration ohne Betäubung
Wir, die Redaktion von fleischbranche.de, haben bereits vor 3 Tagen über den neuen Beschluß der Bundesregierung zu der Ferkelkastration geschrieben. Jetzt hat die Universität Hohenheim Alterntiven publiziert: Statt chirurgischer Ferkelkastration: Impfung gegen Ebergeruch ist tierfreundlichste Alternative. Die Universität Hohenheim untersucht Alternativen zur bisher üblichen, schmerzhaften Ferkelkastration ohne Betäubung: Ein Plädoyer für die Immunokastration. Zwei kleine Pikse statt zweier schmerzhafter Schnitte – die tierfreundliche Alternative zur chirurgischen Ferkelkastration ohne Betäubung gibt es längst. Bei der sogenannten Immunokastration impfen Landwirte die männlichen Ferkel in zwei Schritten, so dass diese zum Schlachtzeitpunkt mit Tieren vor der Pubertät vergleichbar sind. Doch obwohl es zugelassen ist und die Tiere schont, tut sich der Markt mit dem Verfahren noch schwer. Wissenschaftler der Universität Hohenheim in Stuttgart koordinieren seit gut einem Jahr ein europaweites Forschungsprojekt, das die Immunokastration vorantreiben soll – damit sie wettbewerbsfähiger, umweltfreundlicher und noch mehr auf das Tierwohl ausgerichtet wird. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördert das Projekt über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) mit insgesamt fast 1,3 Millionen Euro. An der Universität Hohenheim sind es gut 283.000 Euro Fördergelder, die das Projekt zu einem Schwergewicht der Forschung machen.
Es ist zurzeit eine der größten Herausforderungen für die Schweineproduktion in Europa: Die bisherige Praxis, Ferkel ohne jede Betäubung zu kastrieren, ist mit den heutigen Tierschutz-Standards nicht vereinbar. Eigentlich sollte sie daher zum Jahresende verboten werden – der Bundestag berät noch darüber, ob der Termin verschoben wird.
Das Problem: Die Beteiligten sind sich nicht darüber einig, welche alternative Methode die geeignetste ist. „Tatsache ist, dass das Problembewusstsein allgemein in Europa gestiegen ist“, erklärt Prof. Dr. Volker Stefanski, Schweine-Experte an der Universität Hohenheim. „Und aus Sicht des Tierwohls gibt es eine Methode, die den Ansprüchen am besten gerecht wird: die Immunokastration, bei der die Tiere gegen den Ebergeruch geimpft werden.“ Sie stünde sofort zur Verfügung, sei seit 15 Jahren zugelassen und etwa in Belgien schon weit verbreitet.“
Dennoch wird die Immunokastration in Deutschland noch kaum praktiziert. Um das zu ändern, untersucht er gemeinsam mit seinen Hohenheimer Kollegen apl. Prof. Dr. Ulrike Weiler, Prof. Dr. Korinna Huber, Prof. Dr. Ludwig Hölzle, den Doktoranden Linda Wiesner und Kevin Kress sowie sieben Partner-Institutionen aus ganz Europa, wie sich die Methode optimieren lässt. Titel des Forschungsprojektes: SuSI – ein Kürzel für „Sustainability in Pork Production with Immunocastration“.
Nicht tierschutzgerecht: Ebermast, Kastration unter Vollnarkose und unter lokaler Betäubung
Alle anderen Alternativen stellen aus Tierschutz-Sicht keinen wirklichen Gewinn dar, bestätigt Prof. Dr. Weiler. „Bei der Mast unkastrierter Eber stellt der unangenehme Ebergeruch, den das Fleisch mancher Eber aufweist, nur eines der Probleme dar“, erklärt die Expertin. „Ohne Kastration zeigen die Tiere ein wesentlich aggressiveres Verhalten. Vor allem das Penisbeißen ist weit verbreitet: Etwa jedes zehnte Tier trägt hochgradige Verletzungen davon, oft schmerzhafter als eine chirurgische Kastration.“
Bei einer Kastration unter Vollnarkose dagegen sind nicht nur die hohen Kosten ein Problem: „Bei einer Gasnarkose hat rund ein Fünftel der Tiere keine ordentliche Betäubung“, erläutert Prof. Dr. Weiler. „Außerdem haben die Ferkel nur wenig Energiereserven und müssen alle halbe Stunde trinken. Sie verpassen also Mahlzeiten und werden dadurch geschwächt. Darüber hinaus steigt die Gefahr, dass sie von der Mutter erdrückt werden.“
Auch die oft propagierte lokale Betäubung durch den Landwirt selbst sieht sie kritisch: „Die Anästhesie selbst ist schon schmerzhaft und sogar für Tierärzte nicht ganz einfach durchzuführen. Die Methode ist also nicht nur unzuverlässig, sie kann den Tieren sogar mehr Stress verursachen als die bisherige Praxis.“
Immunokastration: Unsicherheit und mangelnde Marktakzeptanz
Nach Ansicht der Forscher ist daher die Immunokastration die Methode der Wahl. Dabei erhält der Eber zwei Impfungen, die das Immunsystem zur Bildung von Antikörpern gegen körpereigene Hormone anregen. Nach der zweiten Impfung wird die Hormonproduktion eingestellt, der Pubertätseintritt verzögert sich. Die Kosten betragen rund 2,50 Euro pro Injektion, und der Landwirt darf sie selbst durchführen. „Eigentlich dient die Methode dem Verbraucherschutz und dem Tierschutz gleichermaßen“, meint Prof. Dr. Stefanski.
Dass sie dennoch in Deutschland bisher kaum praktiziert wird, sieht er vor allem in der mangelhaften Marktakzeptanz, denn Einzelhandel und Schlachtbetriebe lehnen die Produkte bisher meist ab. „Das Verfahren bedeutet außerdem eine Veränderung in der Produktionskette“, erläutert Prof. Dr. Stefanski. „Jetzt führt der Ferkelproduzent die Kastration durch, doch die Immunokastration findet später statt. Der Arbeitsschritt und die Kosten werden daher auf den Mäster übertragen – und diese Veränderung bringt Unsicherheit mit sich.“
Im Forschungsprojekt SuSI wollen die Forscher nun alle drei Säulen der Nachhaltigkeit – Wirtschaft, Umwelt und soziale Aspekte – bei der Immunkastration weiter optimieren: Sie soll wettbewerbsfähiger und umweltfreundlicher werden sowie das Tierwohl und damit die Wünsche der Verbraucher bestmöglich berücksichtigen.
Immunokastration sollte Standard-Methode sein
„Bereits jetzt können wir sagen, dass die Immunokastration in vielerlei Hinsicht besser abschneidet als die anderen Methoden“, berichtet Prof. Dr. Stefanski. „Die Umweltbilanz ist jetzt schon besser und bezüglich Magengeschwüre sind die Tiere unauffällig, was auf wenig Stress schließen lässt.“
Die Immunkastrate, so der Experte, zeigen insgesamt ein wesentlich weniger aggressives Verhalten. „Sie reiten außerdem kaum auf Buchtengenossen auf und schachten kaum aus. Verletzungen durch Penisbeißen sind daher selten.“ Kurzum: Nach dem bisherigen Kenntnisstand ist die Immunokastration zuverlässig und bewirkt eine positive Verhaltensänderung. „Das Verfahren sollte daher künftig Standard sein.“
Forschungsprojekt untersucht ökologische, ökonomische und soziale Aspekte
An der Universität Hohenheim steht vor allem der Aspekt des Tierwohls im Vordergrund. An der Versuchsstation Unterer Lindenhof haben die Wissenschaftler insgesamt rund 140 Schweine im Versuch – unkastrierte Eber, Immunokastrate und klassisch kastrierte Tiere.
Jeweils ein Teil der Tiere lebt unter Bedingungen, die der ökologischen Haltung entsprechen, ein anderer Teil wird unter konventionellen, aber stabilen Bedingungen gehalten. Der dritte Teil schließlich wird so gehalten, wie es in der Praxis auch oft gehandhabt wird: Konventionelle Haltung, jedoch mit Umstallung nach der Immunisierung – wobei die geänderte Gruppenzusammensetzung für die Tiere einen Stressfaktor darstellt.
Wie sich das auf die Tiere auswirkt, ermittelt das Forscherteam anhand verschiedener Faktoren. Sie beobachten, wie sich jeweils das Aggressions- und Sexualverhalten verändert. Sie entnehmen Blutproben um zu überprüfen, ob Antikörper nach der Immunisierung vorhanden sind, die die männlichen Geschlechtshormone unterdrücken, und ermitteln, ob das individuelle Verhalten mit dem Hormonspiegel korreliert.
Nach der Schlachtung der Tiere untersuchen die Hohenheimer Veterinärmediziner Prof. Dr. Ludwig Hölzle und Prof. Dr. Korinna Huber die Darmgesundheit und die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Darm der Tiere. Sie prüfen auf Magengeschwüre und verschicken Proben an Partner-Institutionen: Das Fleisch untersuchen die slowenischen Partner sensorisch, Kotproben gehen zum belgischen Partner für die Umweltbilanz.
Bis zum Ende des Projektes im August 2020 wollen die Projektpartner gemeinsam Erkenntnisse zur Ernährung der Immunokastrate gewinnen, sie wollen eine noch bessere Umweltbilanz erzielen mit weniger Stickstoffausscheidung und einer besseren Treibhausgasbilanz. Ihr Ziel ist die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens zu verbessern, die Verbraucherakzeptanz zu untersuchen und eine hohe Produktqualität zu gewährleisten.
HINTERGRUND zu den eingesetzten Versuchstieren
Im SuSI-Projekt werden Masthybriden (Pietrain / Deutsche Landrasse) eingesetzt. Die Tiere sind eine Eigenanzucht des Unteren Lindenhofs, der Versuchsstation der Universität Hohenheim. Im Alter von rund sechs Monaten werden die Tiere, wie ihre Artgenossen aus normalen Mastbetrieben, zur Schlachtung gebracht. Sie findet am Bildungs- und Wissenszentrum Boxberg (Landesanstalt für Schweinezucht LSZ) statt.
Schweine waren laut der Versuchstiermeldung von 2017 mit 237 Tieren das dritthäufigste Versuchstier an der Universität Hohenheim nach Hühnern (4.705 Tiere) und Hausmäusen (603 Tiere).
HINTERGRUND: Projekt Nachhaltige Schweinefleischproduktion mit Immunokastraten (SuSI)
Das Forschungsvorhaben SuSI startete am 1.9.2017 und wird bis 31.8.2020 laufen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördert es über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) an der Universität Hohenheim mit 283.179 Euro, die gesamte Fördersumme beträgt 1.293.000 Euro.
Die Universität Hohenheim koordiniert das Projekt. Kooperationspartner sind:
- Institute for Agricultural and Fisheries Research (Belgien),
- French National Institute for Agricultural Research (Frankreich),
- Kmetijski institut SLovenije = Agricultural Institute of Slovenia (Slowenien),
- University of Ljubljana-Veterinary Faculty (Slowenien),
- SEGES Pig Research Centre (Dänemark),
- Warsaw University of Life Sciences (Polen),
- Wageningen University (Niederlande).
Website: https://susi.uni-hohenheim.de/
HINTERGRUND: Schwergewichte der Forschung
33,1 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler der Universität Hohenheim 2017 für Forschung und Lehre. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 250.000 Euro für apparative Forschung bzw. 125.000 Euro für nicht-apparative Forschung.
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Expertenliste Ferkelkastration