Bundesgerichtshof entscheidet über Schadensersatzansprüche dänischer Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaften
Vorinstanz muss klären, ob den dänischen Klägern tatsächlich Schaden entstanden ist
Die Klägerin ein Branchenverband genossenschaftlich organisierter dänischer Schlachthofgesellschaften und Schweinezüchter - begehrt aus abgetretenem Recht ihrer Mitglieder von der beklagten Bundesrepublik Deutschland Schadensersatz wegen der Verletzung europäischen Gemeinschaftsrechts. Sie wirft der Beklagten vor, von Anfang 1993 bis 1999 für Fleisch von nicht kastrierten männlichen Schweinen aus Dänemark faktisch ein Importverbot verhängt zu haben, durch das ihren Mitgliedern in der genannten Zeit ein Schaden von mindestens 280.000.000 DM entstanden sei.In Dänemark wurden seit Anfang der neunziger Jahre nicht kastrierte männliche Schweine als Schlachttiere gezüchtet. Deren Fleisch kann beim Erhitzen einen strengen Geruch oder Geschmack aufweisen, wobei diese Gefahr mit zunehmendem Alter und Gewicht der Schweine zum Schlachtzeitpunkt zunimmt. Um geruchsbelastetes Fleisch feststellen und aussortieren zu können, wurde beim Schlachtvorgang das Skatol, ein im Darm gebildetes Abbauprodukt, gemessen. Nach Auffassung der Beklagten geht die Geruchsbelastung jedoch auf das Hormon Androstenon zurück, dessen Bildung durch eine frühe Kastration ausgeschaltet werden könne, während die Prüfung des Skatolgehalts zu keinen zuverlässigen Ergebnissen führe.
Durch die Veterinärkontrollrichtlinie 89/622/EWG wurde das bisherige System der Grenzkontrollen zugunsten einer durch den Versandmitgliedstaat durchzuführenden veterinärrechtlichen Kontrolle abgelöst, so dass die Genusstauglichkeit prinzipiell in diesem Staat zu prüfen war. Den zuständigen Behörden an den Bestimmungsorten sollte nur eine nicht diskriminierende veterinärrechtliche Kontrolle im Stichprobenverfahren vorbehalten bleiben. In der Frischfleischrichtlinie 64/433/EWG in der Fassung der zum 1. Januar 1993 umzusetzenden Richtlinie 91/497/EWG war bestimmt, dass der amtliche Tierarzt Fleisch, das einen starken Geschlechtsgeruch aufweist, für genussuntauglich erklärt und dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass Fleisch von nicht kastrierten männlichen Schweinen mit einem Tierkörpergewicht von mehr als 80 kg ein besonderes Kennzeichen trägt und einer Hitzebehandlung unterzogen wird, es sei denn, der Betrieb könne durch eine von den zuständigen Behörden anerkannte Methode sicherstellen, dass Schlachtkörper mit einem starken Geschlechtsgeruch festgestellt werden können.
Im Januar 1993 teilte der Bundesminister für Gesundheit den obersten Veterinärbehörden der Mitgliedstaaten mit, die Frischfleischrichtlinie werde in der Weise in nationales deutsches Recht umgesetzt, dass unabhängig von der Gewichtsgrenze ein Wert von 0,5 µg/g Androstenon festgesetzt werde, bei dessen Überschreitung das Fleisch einen starken Geschlechtsgeruch aufweise, genussuntauglich sei und nicht als frisches Fleisch in die Bundesrepublik Deutschland verbracht werden dürfe. Alle Sendungen von Schweinefleisch aus anderen Mitgliedstaaten würden nach der Veterinärkontrollrichtlinie – unabhängig von ihrer Genusstauglichkeitskennzeichnung – am Bestimmungsort auf die Einhaltung dieses Grenzwertes überprüft. Dementsprechend wurden in der Folgezeit zahlreiche Lieferungen von Schweinefleisch aus Dänemark von den deutschen Behörden geprüft und bei Überschreitung des Androstenongrenzwertes beanstandet und zurückgewiesen.
Auf eine von der Kommission im Jahr 1996 erhobene Vertragsverletzungsklage stellte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch Urteil vom 12. November 1998 (Rs. C-102/96) einen Verstoß der Beklagten gegen die genannten Richtlinienbestimmungen fest. Darauf wurde mit Wirkung zum 1. April 1999 die Vorschrift des § 17 der Fleischhygieneverordnung an das Gemeinschaftsrecht angepasst.
Die Klägerin hat den geltend gemachten Schadensersatzanspruch auf die Behauptung gestützt, die dänischen Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaften hätten im Hinblick auf das gemeinschaftswidrige Verhalten der Beklagten die Produktion nicht kastrierter männlicher Schweine zunächst vermindert und im Oktober 1993 nahezu vollständig eingestellt. Um den Export von Schweinefleisch nach Deutschland nicht zu gefährden, seien männliche Schweine in dem notwendigen Umfang kastriert aufgezogen worden. In der Zeit von 1993 bis 1999 seien etwa 39 Millionen Schweine für die Vermarktung in Deutschland geschlachtet worden, auf deren Kastration bei Beachtung des Gemeinschaftsrechts hätte verzichtet werden können. Bei der Vermarktung einer entsprechenden Menge unkastrierter männlicher Schweine hätten sich für sie Kosteneinsparungen von mindestens 280.000.000 DM ergeben.
Beide Vorinstanzen haben die Beklagte dem Grunde nach für verpflichtet gehalten, der Klägerin den erlittenen Schaden zu ersetzen. Das Landgericht hat die Klage im Hinblick auf die Beantragung eines Mahnbescheids am 6. Dezember 1999 allerdings insoweit als verjährt abgewiesen, als es um Ersatzansprüche für Schäden geht, die bis zum 6. Dezember 1996 entstanden sind. Demgegenüber hat das Berufungsgericht die Ansprüche insgesamt für unverjährt angesehen. Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt, mit der sie die vollständige Abweisung der Klage begehrt.
Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2006 (NVwZ 2007, 362) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EG verschiedene Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die sich darauf bezogen, inwieweit sich die betroffenen Produzenten und Vermarkter von Schweinefleisch bei der Verletzung harmonisierender Richtlinien auf Rechte beziehen können, die ihnen das Primärrecht verleiht, und inwieweit Grundsätze des Gemeinschaftsrechts auf die prinzipiell dem nationalen Recht überlassene Regelung der näheren Ausgestaltung des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs, insbesondere in Bezug auf seine Verjährung und auf den Vorrang des Primärrechtsschutzes, einwirken (vgl. Mitteilung der Pressestelle des Bundesgerichtshofs Nr. 137/06 vom 13. Oktober 2006). Der Gerichtshof hat diese Fragen mit Urteil vom 24. März 2009 (Rs. C-445/06) beantwortet.
Der unter anderem für Staatshaftungsansprüche zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das angefochtene Urteil des Oberlandesgerichts nun aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil noch nicht hinreichend festgestellt worden ist, ob der von der Klägerin geltend gemachte Schaden auf den der Beklagten angelasteten Verstößen beruht.
In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen hat der Senat in der Mitteilung des Bundesministers der Gesundheit und in der unterlassenen Anpassung der Vorschriften der Fleischhygieneverordnung an den Inhalt der Frischfleischrichtlinie einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht gesehen, durch den die Rechte der dänischen Schweinezüchter und Schlachthofgesellschaften aus der Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 EG) verletzt worden sind. Er hat den Einwand der Beklagten für nicht berechtigt gehalten, die Klägerin habe es unterlassen, Primärrechtsschutz gegen diesen Verstoß in Anspruch zu nehmen, weil eine Feststellungsklage gegen die Beklagte als Normgeber nicht zulässig gewesen sei. Die Klägerin müsse sich auch nicht entgegenhalten lassen, falls sich Importeure - was nicht aufgeklärt worden ist - möglicherweise nicht gegen die Zurückweisung von Fleischsendungen gewehrt hätten.
In der Frage der Verjährung des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs bis zur Neuregelung des Verjährungsrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts zum 1. Januar 2002 hat der Senat unter Berücksichtigung der vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft aufgezeigten gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Gleichwertigkeit und der Effektivität die Anwendung der dreißigjährigen Regelverjährung nach § 195 BGB a. F. für geboten erachtet, weil es in der maßgeblichen Zeit zwischen 1996 und 1999 zu dieser Frage in der Rechtsprechung und im wissenschaftlichen Schrifttum keine weitgehend einhellige Auffassung für die Anwendung der dreijährigen Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB a. F. gegeben hat, die eine revisionsrechtliche Klärung der Frage hätte entbehrlich machen können.
Der Senat ist jedoch den Rügen der Beklagten gefolgt, die Vorinstanzen hätten bislang keine hinreichenden Feststellungen zur Frage getroffen, ob der Verzicht auf die Produktion und Vermarktung unkastrierter männlicher Schweine unmittelbar auf die Verstöße der Beklagten gegen das Gemeinschaftsrecht zurückgeht oder auf einen autonomen, betriebswirtschaftlich begründeten Entschluss der Klägerin, die erkannt habe, dass der Verkauf unkastrierter männlicher Schweine auf dem deutschen Markt nicht ausreichend akzeptiert werde.
Urteil vom 4. Juni 2009 - III ZR 144/05 (Veröffentlicht am 9.7.2009)
LG Bonn – 1 O 459/00 – Entscheidung vom 30.1.2004
OLG Köln - 7 U 29/04 – Entscheidung vom 2.6.2005
Quelle: Karlsruhe [ BGH ]