Die Bundesregierung und und das Problem mit der Dienstleistungsfreiheit in der EU
Antworten im Parlament
Am 23. Februar antwortete der Staatssekretär Gerd Antes [BMWA] im Bundestag bei der Fragestunde zum Problemkreis Dienstleistungsfreiheit, der wie mehrmals berichtet vorallem in der Fleischbranche für manche Aufregung sorgt. meat-n-more.info dokumentiert diesen Teil der Fragestunde aus dem "Stenografischen Bericht der 159. Sitzung"Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Dann rufe ich auch die Frage 7 des Kollegen Hofbauer auf:
Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung für Änderungen der bestehenden Regelungen, insbesondere um schädliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu verhindern bzw. einzuschränken?
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:
Innerhalb der Europäischen Union besteht grundsätzlich Dienstleistungsfreiheit. Allerdings wurden mit dem Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zur Vermeidung schwerwiegender Störungen des nationalen Arbeitsmarktes für Deutschland und Österreich zur Flankierung der Einschränkungen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit zusätzliche Übergangsregelungen für die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung mit Arbeitnehmern für das Bau-, Reinigungs- und Innendekorateurgewerbe vereinbart. Für Unternehmen in diesen Sektoren ist es für die Übergangszeit grundsätzlich nicht möglich, im Wege der grenzüberschreitenden Dienstleistung Arbeitnehmer aus dem jeweiligen Herkunftsmitgliedstaat einzusetzen.
In den übrigen Wirtschaftsbereichen, insbesondere auch in der Fleisch verarbeitenden Industrie, ist die Bundesregierung mit Nachdruck bemüht, festzustellen, ob unter dem Deckmantel bestehender EU-Regelungen zur grenzüberschreitenden Dienstleistung zum Beispiel illegale Arbeitnehmerüberlassung praktiziert wird. Ein solcher Verdacht würde dann nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen sein, wenn wesentliche Kriterien der vorgenannten EU-Regelungen wie die vorübergehende und gelegentliche Ausübung der Tätigkeit nicht zuträfen.
Ein wesentliches Element für die Definition einer grenzüberschreitenden Dienstleistung ist außerdem die Verbundenheit des Leistungserbringers mit der Wirtschaft seines Herkunftslandes. Das heißt, reine Briefkastenfirmen sind von der Erbringung grenzüberschreitender Dienstleistungen ausgeschlossen. Die – von einzelnen Branchen abgesehen – grundsätzlich bestehende Dienstleistungsfreiheit innerhalb der Europäischen Union ist auch Bestandteil des am 1. Mai 2004 in Kraft getretenen Beitrittsvertrages. Eine nachträgliche Änderung dieses Vertrages ist faktisch nicht mehr möglich. Gegenwärtig kommt es darauf an, im Rahmen der behördlichen Kontrollen festzustellen, in welchem Umfang Missbräuche insbesondere in der Fleischindustrie vorliegen und wie diese gegebenenfalls zu bekämpfen sind.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Ihre Zusatzfragen, Herr Kollege Hofbauer.
Klaus Hofbauer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich glaube, angesichts von 5 Millionen Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland und mehreren Millionen, die dem Arbeitsmarkt eigentlich zur Verfügung stehen, bewegt die Menschen dieses Thema gewaltig. Es gibt in diesem Zusammenhang einige Begriffe und viele Gesetze, Verordnungen, Richtlinien und Vereinbarungen. Nur ein paar Schlagworte: Es gibt Übergangsregelungen, Grenzgängerregelungen, Werkverträge und die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Nun diskutieren wir über die Dienstleistungsrichtlinie. Vorab: Besteht nicht die Gefahr, dass die im Rahmen der EU-Osterweiterung – ich glaube sogar: parteiübergreifend – geforderten und anschließend festgelegten Übergangsregelungen unterlaufen werden?
Man hat den Eindruck, dass immer mehr Menschen aus dem Ausland – zum Teil illegal oder aufgrund verschiedener Genehmigungen – zu uns kommen. Deswegen frage ich konkret:
Erste Frage.
Sind die Beitrittsverhandlungen nicht gründlich genug geführt worden, sodass Lücken entstanden sind und nun Probleme auftreten, die man damals nicht erkennen konnte bzw. nicht erkennen wollte?
Zweite Frage.
Was tut man konkret? Leider Gottes müssen wir uns momentan auf Kontrollen beschränken. Aber gibt es keine anderen Möglichkeiten, hier Abhilfe zu schaffen? Ich sage als Bewohner einer Grenzregion und als jemand, der dort Politik macht, dass es kein Problem ist, wenn jemand im Rahmen der Grenzgängerregelung und mit einer Aufenthaltsgenehmigung bei uns für den gleichen Lohn tätig ist wie der deutsche Mitbürger. Aber was tut man, um die Vielzahl der Beschäftigten, die illegal zu uns kommen, abzuwehren?
Dritte Frage.
Herr Staatssekretär, momentan werden Beitrittsverhandlungen mit Rumänien und Bulgarien geführt. Soweit ich informiert bin, sind diese noch nicht abgeschlossen. Wird man aus den bislang gemachten Erfahrungen Konsequenzen ziehen und bestimmte Dinge berücksichtigen? Sicherlich wird es auch hier zu Übergangsregelungen kommen. Herr Präsident, das sind meine Fragen.
Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit:
Herr Abgeordneter Hofbauer, ich finde, dass Sie mit Ihrer Vorbemerkung Recht haben. Die Bundesregierung hat bei den Verhandlungen betreffend die EU-Osterweiterung sehr massiv für Übergangsregelungen gestritten und hat sie auch durchgesetzt. Ich will Ihnen ganz offen sagen: Bei den Beitrittsverhandlungen mit den zehn Erweiterungsländern waren Österreich und die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Forderung nach einer faktischen Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuerst völlig allein. Es gab eine ganze Reihe Alt-EU-Länder, die überhaupt kein Verständnis dafür hatten, dass wir darauf gedrungen haben, dass es nach der Erweiterung zuerst eine zweijährige, dann eine dreijährige und schließlich noch einmal eine zweijährige Übergangsfrist gibt, mit der die Arbeitnehmerfreizügigkeit praktisch eingeschränkt wird.
Wir haben das genau aus den Gründen gemacht, die Sie genannt haben. Wenn es knapp über 5 Millionen registrierte arbeitslose Menschen in Deutschland gibt, dann ist es überhaupt nicht witzig und spaßig, zu erleben, dass in bestimmten Wirtschaftsbereichen deutsche Arbeitnehmer entlassen und stattdessen andere Arbeitnehmer – mithilfe bestimmter Rechtskonstruktionen –beschäftigt werden, und zwar auch noch zu Dumpinglöhnen.
Um Ihre zweite Frage gleich zu beantworten: Wir gehen gegen solche Tatbestände massiv vor. Ich kann hier versichern: Die Bundesregierung wird alles tun, was in ihrer Macht steht, um solchen Zuständen, egal in welchen Wirtschaftsbereichen sie herrschen, Einhalt zu gebieten.
Sie haben in Ihrer ersten Frage danach gefragt, ob nachlässig verhandelt worden ist. Diese Frage beantworte ich ausdrücklich mit Nein. Ich habe gerade versucht, zu belegen, warum, wieso und weshalb. Sie müssen nämlich wissen, dass die Dienstleistungsfreiheit mit der EU-Osterweiterung oder einer anderen Erweiterung erst einmal überhaupt nichts zu tun hat.
Die Dienstleistungsfreiheit war schon wesentlicher Bestandteil der Römischen Verträge und ist auch einer der Grundpfeiler der Verträge, über die wir jetzt verhandeln. Diese Regelung wird genauso hochgehalten – das zeigen die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und anderer –wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit, wie die Herstellung des Binnenmarktes, wie die Warenfreiheit und Ähnliches. Die Dienstleistungsfreiheit ist also einer der Grundpfeiler. Daran haben wir gar nichts herumzudeuteln und das halten wir für richtig.
Die beschriebenen Tatbestände haben mit dem gegenwärtig diskutierten Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie auch überhaupt nichts zu tun. Sie müssen wissen: Überall da, wo Recht geschaffen wird, können dubiose kriminelle Elemente mit entsprechenden Machenschaften den Versuch unternehmen, Regelungen zu umgehen. Das haben wir über viele Jahre erlebt, beispielsweise beim Einsatz von Werkvertragsarbeitnehmern in der Bauwirtschaft. Deswegen ist die Bauwirtschaft von der Dienstleistungsfreiheit ausdrücklich ausgenommen. Man kann so etwas also überall erleben. Wir erleben es jetzt, und zwar sehr massiv, beispielsweise im Bereich der Fleischwirtschaft. Ich sage Ihnen, dass wir dagegen vorgehen.
In Ihrer dritten Frage haben Sie nach Rumänien und Bulgarien gefragt. Wir verhandeln. Ich nehme an, dass es mit Rumänien und Bulgarien, was die Arbeitnehmerfreizügigkeit und was bestimmte Fragen angeht, die gleichen Regelungen wie mit den zehn Ländern geben wird, die im Zuge der letzten Erweiterung zur Europäischen Union hinzugekommen sind. Das, was zunächst nur die Bundesrepublik Deutschland und Österreich wollten, wird in der Zwischenzeit – mit einer einzigen Ausnahme– von allen Mitgliedsländern angewandt. Man folgt uns also mittlerweile.
Auch wegen der Zustände in der Fleischwirtschaft darf ich Ihnen Folgendes sagen: Wir haben durch Verhandlungen mit Rumänien im letzten Jahr das geltende Kontingent an Werkvertragsarbeitnehmern um den Bereich Fleischwirtschaft ausdrücklich bereinigt; aus Rumänien dürfen also keine Arbeitnehmer über Werkvertragskontingente für die Fleischwirtschaft mehr entsandt werden. Davon ausgenommen sind nur bestehende Verträge. Sie können auch erfüllt werden. Es wird keine neuen geben. Sie sehen daran, dass wir sehr bemüht sind, in diesem Bereich auf die strenge Einhaltung der Regelungen zu achten bzw. diese Regelungen in den Vertragsverhandlungen mit Rumänien, Bulgarien und anderen Ländern entsprechend umzusetzen.
Lesen Sie hierzu auch:
Verbände:
Der Unternehmensverband und die Dienstleistungsfreiheit in der EU
Eine Stellungnahme des Verbandes der Fleischwirtschaft VDF e.V.
[27-02-2005] - In zahlreichen Branchen der deutschen Wirtschaft ist die Erledigung bestimmter Tätigkeiten über Werkverträge mit Subunternehmern ein übliches und rechtmäßiges Instrument. Auch in der... [mehr]
Markt & Wirtschaft:
Fleischbranche: „Schöne neue Dienstleistungswelt“
Eine gewerkschaftliche Bestandsaufnahme
[27-02-2005] - Die Situation in der deutschen Fleischwirtschaft ist wenig erfreulich. Sie ist geprägt von Strukturwandel und den ersten Auswirkungen der Dienstleistungsfreiheit in der erweiterten EU. ... So beginnt... [mehr]
Quelle: Berlin [ dbt ]