20 Jahre Neutrale Schlachtkörperklassifizierung
- Ein Rück- und Ausblick -
Die traditionelle Vermarktung von Lebendvieh auf Großmärkten der Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte verlor in den 1960er Jahren stark an Bedeutung. Technische Neuerungen, vor allem die Möglichkeit Fleisch in Kühltransportern über große Distanzen sicher befördern zu können, führte dazu, dass Schlachttiere in zahlreichen zu dieser Zeit gegründeten Versandschlachtereien direkt in den Erzeugungsgebieten geschlachtet wurden. Von dort wurden sie als Schlachthälften zu den Verarbeitern in die Ballungszentren transportiert.Im Zuge dieses Wandels erkannte die Mehrzahl der Marktbeteiligten, dass statt der Beurteilung des lebenden Viehs die Beurteilung des Schlachtkörpers erforderlich ist. Hierdurch erwartete man eine verbesserte Beurteilung des Wertes der geschlachteten Tiere.
In der Folge wurden in der damaligen Bundesrepublik Deutschland mit der Verabschiedung des Handelsklassengesetzes im Dezember 1968 erstmals gesetzliche Handelsklassen eingeführt. Als Merkmale wurden u.a. Qualität, Herkunft, Sortierung und Beständigkeit bestimmter Eigenschaften beschrieben.
Die Einstufung in Handelsklassen erfolgte durch nach Landesrecht ausgebildete und öffentlich bestellte Sachverständige, die jedoch Mitarbeiter der jeweiligen Schlachtbetriebe waren, ein Sachverhalt, der Jahre später zur Einführung der Neutralen Klassifizierung und Verwiegung führten sollte.
In den nordwestdeutschen Veredelungsgebieten etablierte sich schon früh eine zunächst von den Landwirtschaftskammern getragene Kontrolle dieser Sachverständigen. Gleichwohl kam es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen „Roter“ und „Grüner“ Seite. Schließlich beurteilten Mitarbeiter der Schlachtbetriebe Dinge, die dem Landwirt als Bezahlungsgrundlage dienen sollten – eine offenkundige Interessenkollision.
Anfang der 1980er Jahre regte sich in Niedersachsen zunehmend Unmut über diese Art der Klassifizierung. Die im Landesmarktverband für Vieh und Fleisch Niedersachsen zusammengeschlossenen Verbände der Land-, Vieh- und Fleischwirtschaft griffen die Situation auf und planten einen beliehenen Verein zur Durchführung der Klassifizierung und Verwiegung von Schlachttieren. 1987 schließlich sollte der Wechsel von der bis dahin schlachthofbestimmten Einstufung in Handelsklassen (Klassifizierung) zur Neutralen Klassifizierung umgesetzt werden.
Je näher der Termin rückte, desto mehr Probleme zeigten sich im Hinblick auf die ursprünglich vorgesehene Konstruktion. In dieser Situation wurde ein Beispiel aus Bayern, private Unternehmen mit der Durchführung von Klassifizierung und Verwiegung zu beauftragen, gerne aufgegriffen. Im Juni 1987 kam es schließlich zur „Geburt“ der Neutralen Klassifizierung und Verwiegung von Schlachttierkörpern in Niedersachsen.
Da viele Betriebe in dieser Zeit neben der Neutralen Klassifizierung durch unabhängige Unternehmen auch die Geräteklassifizierung einführten, kam es mancherorts zu tumultartigen Auseinandersetzungen zwischen „Roter“ und „Grüner“ Seite. Diese wurden ausgetragen auf dem Rücken vieler neuer Mitarbeiter, deren Berufsprofil und berufliches Selbstbewusstsein sich erst allmählich entwickelten. Auch die Rotation, vorgeschrieben in den Sachverständigen-Richtlinien der Länder, gehört zu Ihrem Berufsbild. Mindestens 3 Schlachtbetriebe und ihre Besonderheiten sind zu beherrschen – dazu gehört auch die Fähigkeit, den vielen starken Charakteren in Viehhandel und Schlachtbetrieben neutral und höflich zu begegnen. Die Mitarbeiter der ersten Stunde sind Kollegen, die es geschafft haben, in diesem stark emotionsgeladenen Umfeld mit Ruhe und Gelassenheit ihren Weg zu finden.
Nach dem Start der Neutralen Klassifizierung in Niedersachsen folgte 2 Jahre später deren Einführung in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Auch die anderen Bundesländer schlossen sich an und in erstaunlich kurzer Zeit etablierten sich nach 1987 verschiedene Unternehmen bundesweit am Markt. Staatliche Behörden (heute LANUV oder LAVES, früher die Bezirksregierungen oder das LEJ) übernahmen die Überwachung der Klassifizierung und Verwiegung und werden neben Routinekontrollen längst auch bei Streitfällen hinzugezogen.
Die Finanzierung der „Neutralen Klassifizierung und Verwiegung“ erfolgte von Anfang an durch die Vieh liefernde Landwirtschaft und durch die Schlachtbetriebe.
Ungeachtet der stark emotional ausgetragenen Auseinandersetzungen in Einzelfällen, findet die Arbeit der Neutralen Klassifizierungsunternehmen heute durchweg Zustimmung. Zusammen mit der neutralen Gewichtsfeststellung, (d.h. in erster Linie Kontrolle der Schnittführung und Überwachung der Wiegetechnik) konnte ein erheblicher Zuwachs an Transparenz, Sicherheit und Vertrauen in der Geschlachtetvermarktung erreicht werden. In Einzelfällen werden auch die Viehannahme und andere mit der Identifikation und Zuordnung der richtigen Schweine zum richtigen Landwirt in Zusammenhang stehende Aufgaben sowie die Überprüfung der durch die Tierärzte angeordneten Abschnitte durch Neutrale Unternehmen.
Bereits mit Beginn der Neutralen Klassifizierung und Verwiegung von Schlachttieren wurde in Nordrhein-Westfalen zu den gesetzlichen Vorschriften eine sogenannte Rahmenvereinbarung auf freiwilliger Basis eingeführt. Die am Vieh- und Fleischmarkt beteiligten Gruppierungen regelten darin Aufgaben, Pflichten und Rechte der Neutralen Klassifizierungsunternehmen, die weit über die gesetzlichen Anforderungen hinaus gehen. Auch Bereisungen der Schlachtbetriebe durch die Überwachungsbehörden zusammen mit Marktbeteiligten (insbesondere der „grünen“ Seite) wurden vereinbart und finden sehr regelmäßig statt. In den Beiratssitzungen werden die Ergebnisse offen diskutiert, mit Auflagen versehen und mögliche Maßnahmen ergriffen. Die Leitung des Beirates liegt in den Händen des LANUV (früher LEJ) in Düsseldorf.
Durch die fortwährende Weiterentwicklung der freiwilligen Rahmenvereinbarung in NRW gewann diese zunehmend an Bedeutung. Als im Jahre 2006 auch in Niedersachsen der Entschluss gefasst wurde, eine solche freiwillige Selbstverpflichtung einzuführen, diente sie als Vorbild und wurde schließlich 2006 mit geringfügigen Abweichungen auch für Niedersachsen übernommen. Damit hatten sich die beiden Bundesländer mit der größten Bedeutung in der Viehvermarktung zu einem offenen und besseren als dem gesetzlichen Standard entschlossen.
Die teilweise mehrstufige Erfassung und Lieferung von Schlachttieren führen trotz allem immer noch zu einer häufig als unzureichend erachteten Markttransparenz. Insbesondere die Schweinemäster wollen die Klassifizierungsergebnisse, die Schlachtgewichte und die durch die Tierärzte angeordneten Abschnitte sowie die Befunddaten je Einzelschwein früher erfahren. Bei Ablieferung zum Auto-FOM verlangen sie darüber hinaus auch Informationen über die Muskelfleischanteile je Einzelschwein. Im Hinblick auf Schlachtrinder steigt das Informationsbedürfnis ebenfalls, der Lieferant möchte auch hier möglichst noch am Tag der Lieferung via Internet die Daten abrufen können.
Als Ergebnis dieser Entwicklung steht die Neutrale Klassifizierung am Anfang eines neuen Zeitabschnittes.
Dies lässt sich anhand von zwei Initiativen, die sich im Grunde ergänzen, verdeutlichen:
- Arbeitstitel Blackbox: In jüngerer Zeit befasste sich der Beirat der Rahmenvereinbarung in NRW intensiv mit der Sicherung und der Verfügbarkeit der Schlachtdaten für die Einsender innerhalb von 24 Stunden. Zunächst sollen die Schlachtdaten zentral im Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) abrufbar gemacht werden. Im Rahmen eines Pilotprojektes, für das sich ein Schlachtbetrieb aus NRW und die SGS Germany zur Verfügung stellen, soll die Umsetzbarkeit überprüft werden. Zusätzlich werden auch die Überprüfung der Arbeitsergebnisse der Klassifizierer und ihre Kontrolle durch das LANUV sowie die Befunddaten der Tierärzte Teilaspekte sein. Auch niedersächsische Marktbeteiligte signalisierten bereits Ihre grundsätzliche Teilnahmebereitschaft und größtes Interesse.
- Arbeitstitel Neues Vieh- und Fleischgesetz: Die zweite neue „Baustelle“ ergibt sich aus dem neuen Fleischgesetz (tritt 2008 in Kraft). Hiernach müssen die Klassifizierungsunternehmen selbst den Landwirten / Einsendern auf Anfrage die Muskelfleischanteile je Einzeltier liefern. Derzeit verfügen sie über die benötigten Daten aber nur auf dem Endlos-Papier. Die oben skizzierte Blackbox-Lösung wäre somit auch dazu geeignet, dem neuen Fleischgesetz und den noch zu erwartenden Durchführungsverordnungen gerecht zu werden.
Im Rück- und Ausblick nach 20 Jahren Neutraler Klassifizierung und Verwiegung wird deutlich, dass trotz unterschiedlicher Interessenlagen Landwirte, Schlachtbetriebe und Viehhandelsunternehmen letztlich in demselben Spannungsfeld agieren. Neben dem Wunsch nach besserer und verlässlicherer Information steht eben auch die Erkenntnis, dass am Schlachtvieh- und Fleischmarkt alle in einem Boot sitzen. Hierzu gehören auch oder gerade auch die Neutralen Klassifizierungsunternehmen.
Seit 20 Jahren neutrale Kontrollen und mehr
Der Deutsche Verband Neutraler Kontroll- und Klassifizierungsstellen (DVK e.V.) weist sein 20-jähriges Jubiläum aus. Der Ursprung des Verbandes geht auf die Neutrale Klassifizierung und Verwiegung vor über 20 Jahren zurück. Heute besteht der Verband aus 13 deutschen Zertifizierungsstellen und Klassifizierungsunternehmen. Er vertritt deren Interessen bei Systemgebern und Politik. Effektive Zusammenarbeit und neutrale Kontrolle zeichnen den Erfolg für sichere Lebensmittel aus. Die Mitglieder sind in der Kontrolle wichtiger Standards und im Bereich der Neutralen Klassifizierung und Verwiegung an Schlachthöfen aktiv. Zu den Systemgebern gehören Qualität & Sicherheit, International Featured Standard Food, GlobalGAP, die obligatorische und fakultative Rindfleischetikettierung und Bio-Kontrollen nach der EU-Öko-Verordnung sowie weitergehende privatwirtschaftliche Kontrollsysteme aus bestimmten Bundesländern oder Bundesverbänden. Die Neutralen Kontrollen für die Klassifizierung und Verwiegung von Schlachtvieh werden gemäß dem neuen Fleischgesetz unter der Anerkennung der Unternehmen durch die BLE durchgeführt. In den letzten Jahren ist aufgrund der Internationalisierung und der gestiegenen rechtlichen Ansprüche eine neutrale Kontrolle wichtiger denn je. So werden z.T. auch staatliche Aufgaben auf die Kontrollstellen übertragen im Rahmen einer Public Private Partnership.
Die 13 Mitglieder des DVK e.V. sind ABCG (Alsfeld), ACG (Krefeld), Fleischprüfring Bayern e.V. (Vierkirchen), Intertek Deutschland GmbH (Leinfelden-Echterdingen), K & K GmbH (Burbach), LKS (Lichtenwalde), Milchprüfring Baden-Württemberg e.V. (Kirchheim), NKV-Treuhand GmbH (Bahlingen), QAL GmbH (Vierkirchen), SAI Global GmbH (Siegburg), SGS Germany GmbH (Emstek), TVL e.V. (Jena Göschwitz) und TÜV Süd Management Service GmbH (München).
Gemäß den Anforderungen an die Akkreditierung steht dem DVK e.V. ein Lenkungsgremium bestehend aus dem 1. Vorsitzenden Paul Daum (Kaiser´s Tengelmann AG), Renate Lange (Deutscher Hausfrauen-Bund, Landesverband), Paul Brand (Brand Qualitätsfleisch), Gerold Schmidt (Gäa e.V. Thüringen), Ralf Hägele (Agrarunternehmen Barnstädt e.G.) und Dr. Werner Dahmen (Ministerium für Verkehr. Landwirtschaft und Weinbau, Mainz) zur Seite. Aufgrund der hochkarätigen Zusammensetzung dieses Gremiums werden die Zertifizierungsstellen in ihrer Arbeit nachhaltig unterstützt und qualitativ gefördert.
Mehr zum Deutschen Verband Neutraler Kontroll- und Klassifizierungsunternehmen (DVK e.V.) hier im Internet.
Quelle: Bonn [ DVK ]